Kündigung von Adolphe Binder Tanz-Dachverband hat Fragen

Wuppertal / Berlin · Der Berliner Dachverband Tanz Deutschland (DTD) hat sich am 3. September 2018 mit einem Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal und Vertreter der Gemeinde im Beirat der Tanztheater Wuppertal Pina Bausch GmbH gewendet.

Bertram Müller ist Mitglied im Vorstand des Dachverbandes Tanz Deutschland (DTD). Er hat einen umfangreichen Fragenkatalog an OB Mucke und den Tanztheater-Beirat formuliert.

Foto: Dagmar Krasshoff

Anlass des Schreibens ist die fristlose Kündigung der Intendantin des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch, die von einer international besetzten Findungskommission vorgeschlagen wurde, im Februar 2016 ernannt und erst vor gut einem Jahr ihre Arbeit gestartet hat.

Der Tanzverband schreibt: "Als Interessensvertretung des Tanzes in Deutschland ist es uns ein besonderes Anliegen, dass die Ballett- und Tanztheaterensembles ihre künstlerische Arbeit innerhalb vertraglich klar geregelter und finanziell gesicherter Rahmenbedingungen ausüben. Die Sorgfaltspflicht der Kulturbehörden gegenüber den künstlerischen oder kunstorganisierenden Akteuren erfordert ein verantwortungsvolles Agieren in den Aufsichtsgremien. Die unvermittelte Kündigung der Intendantin des Tanztheaters Wuppertal hat jedoch insbesondere durch die Vorabinformation der Presse, Unklarheit über die Gründe und fehlende Transparenz im Vorgehen der Entscheidungsträger den Ruf der Beteiligten und des Wuppertaler Tanztheaters nachhaltig geschädigt, im weiteren Sinne auch den Ruf der Sparte Tanz im Allgemeinen."

Weiter heißt es in der Stellungnahme aus Berlin: "Der Dachverband Tanz Deutschland sieht es als dringend notwendig an, über die Hintergründe der fristlosen Kündigung Klarheit zu schaffen — sowohl für die Tanzschaffenden in Deutschland wie für die Öffentlichkeit. Hierzu hat der Vorstand des Dachverbandes, Bertram Müller, Mitglied des Vorstands gebeten, konkrete Fragen zu formulieren. Bertram Müller ist ein ausgewiesener Kenner der kulturpolitischen Situation des Tanzes in Nordrhein-Westfalen, und Träger des Deutschen Tanzpreises 2014."

Hier der Wortlaut des Fragenkataloges:

1. Maßnahmen bezüglich der Implementierung der neu geschaffenen Intendanz und der damit verbundene Strukturveränderung
- 1.1 Wie und in welcher Form wurde die neu geschaffene Position der künstlerischen Intendanz im Vorfeld vorbereitet und das Mandat der Intendanz auch nach innen gesichert?
- 1.2 Hat die Stadt Wuppertal die Intendantin bei ihrem Auftrag unterstützt, den 2013 beschlossenen Transformationsprozess der Kompanie durch ihre Berufung in die Tat umzusetzen — und dies neun Jahre nach dem Tod von Pina Bausch und nach mehreren Übergangsversuchen?
- 1.3 Wurden die verschiedenen Funktionen/Aufgabenfelder des Geschäftsführers und der Intendantin durch eine entsprechende Geschäftsordnung o.ä. schriftlich geregelt? Falls nicht bei Vertragsabschluss, warum dann nicht bei den ersten Anzeichen des "Konflikts" im Sommer 2017?

- 1.4 Wurde auf entsprechende Hinweise, wie sie Frau Binder u.a. in ihrem offenen Brief vom 14.7.18 zusammenfassend formuliert hat, von Vertretern des Trägers eingegangen?
- 1.5 Wurde bei Vertragsabschluss oder zu Beginn des entstehenden Konflikts von Seiten der Gesellschafter der Frage, inwiefern der abgeschlossenen Intendantenvertrag, der umfassende künstlerische Freiheit und Verantwortung beinhaltet, mit der bis dahin gängigen Geschäftspraxis und den Dienstanweisungsrechten übereinstimmen?
- 1.6 Haben sich die Gesellschaftvertreter der Stadt in Anbetracht einer Zuspitzung des Konfliktes vermittelnd zwischen Geschäftsführer und Intendanz eingebracht (namentlich der Kulturdezernent, der Stadtkämmerer und der Oberbürgermeister)?


2. Fragen zu den Gründen der Kündigung
- 2.1 Was waren die Gründe der Vertreter der Stadt Wuppertal sowie des für die Kompanie zuständigen Beirats in den erst vor einem Jahr gestarteten Neuausrichtungsprozess einzugreifen und in Folge der durch eine international besetzte Findungskommission ausgewählten Intendantin gegenüber eine fristlose Kündigung auszusprechen?
- 2.2 In welchen konkreten Handlungsweisen der Intendantin Frau Binder sahen die Vertreter der Stadt Wuppertal die Handlungsfähigkeit des Tanztheaters so gravierend gefährdet, dass sie keinen Spielraum für eine sorgfältige und transparenten Aufklärung und dezidierte Untersuchung der Causa sahen, zumal - wie aus den Medien ersichtlich - die internationalen Gastspiele sowie der Spielplan in nahezu allen Teilen bereits mit Dritten rechtzeitig verabredet und publiziert waren?
- 2.3 Wurde der unbestreitbare künstlerische und wirtschaftliche Erfolg der ersten Spielzeit 2017/18 bei den Überlegungen zu einer Lösungsfindung mit in Betracht gezogen?
- 2.4 Warum wurde Herr Fries zum 1.3.18 zusätzlich als Prokurist mit umfassenden Vollmachten eingestellt?
- 2.5 Warum ist dies ohne Rücksprache mit der Intendantin erfolgt? (Herr Fries wurde berufen, obwohl er keine erkennbare Erfahrung in der Leitung eines Theaters geschweige denn einer Tanzkompanie hat — siehe Wuppertaler Stadtzeitung und Interview Herr Slawig auf 3sat).

- 2.6 Zu welchem Zeitpunkt wurde der Beirat bezüglich der Berufung des Prokuristen Fries einbezogen und wann wurde eine entsprechende Entscheidung darüber durch den Beirat getroffen?
- 2.6 Wie wurde die Kündigung letztendlich begründet und durch wen wurde sie ausgesprochen?


3. Fragen zur Handhabung der Kündigung
- 3.1 Wurde die Intendantin nach ihrer Sichtweise des Konfliktes befragt, insbesondere durch den Kulturbeigeordneten, den Stadtkämmerer/ Stadtdirektor, den Oberbürgermeister bzw. den Beirat angehört und ihre Stellungnahme zum Konflikt bei der Entscheidungsfindung entsprechend berücksichtigt?
- 3.2 Wurden namhafte und mit dem Verlauf der zurückliegenden Jahren vertraute künstlerische Vertreter der Kompanie im Verlauf und insbesondere in zeitlicher Nähe des Kündigungsbeschlusses (Juni / Juli 2018) über ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Neubeginn und der Zusammenarbeit mit der Intendantin befragt? Was waren deren Erfahrungen?
- 3.3 Inwieweit wurde seitens der Gesellschafter in ihrer Verantwortung, den Rat und den Beirat (nach § 113 der Gemeindeordnung) umgehend zu informieren, pflichtgemäß entsprochen? Warum wurde der Beirat nicht früher informiert?
- 3.4 Ab wann wurde der Versuch unternommen, den bis 2022 geschlossenen Intendantenvertrag vorzeitig aufzulösen und von wem und zu welchem Zeitpunkt wurde erstmals der Beschluss zur Kündigung der Intendantin gefasst?
- 3.5 Wurde die Intendantin über den entsprechenden Antrag / Aktenvermerk seitens der Geschäftsführung / des Beirats / der Stadt informiert?

- 3.6 Durch eine Indiskretion gelangten vertrauliche, nicht autorisierte Argumente eines durch die Geschäftsführung angestrebten Kündigungsplans an die Öffentlichkeit, was zu einer erheblichen Rufschädigung der Intendantin geführt hat (u.a. Deutschlandfunk vom 5.7. und Frankfurter Allgemeine Zeitung, Artikel von Frau Hüster). Hat der Beirat bzw. haben die Gesellschaftsvertreter nach dieser Veröffentlichung versucht, die Person(en) herauszufinden und entsprechend zu belangen, die mit der widerrechtlichen Weitergabe solch brisanter Interna zu tun hat(ten)?
- 3.7 Wurde in diesem Zusammenhang Strafanzeige ggf. gegen Unbekannt gestellt?

- 3.8 Hat die Stadt Wuppertal bzw. der Vorsitzende des Beirats durch eine öffentliche Gegendarstellung dafür gesorgt, die auf ihren Wahrheitsgehalt ungeprüften, schwerwiegenden Vorwürfe aus dem Aktenvermerk der Geschäftsführung bis zu einer abschließend gründlichen Überprüfung zurückzuweisen?

4. Fragen zur Schadensbegrenzung nach der fristlosen Kündigung
- 4.1 Welche unmittelbaren Maßnahmen ergreift die Stadt Wuppertal, um den durch die unangemessene Handhabung des Konflikts entstandenen Schaden abzumildern - insbesondere für eine, den Umständen entsprechend, angemessene Ruf- und Ehrenwahrung von Frau Binder zu sorgen?
- 4.2 Welche Schritte unternimmt die Stadt, um für die Zukunft des Wuppertaler Tanztheaters eine funktionsfähige Struktur (u.a. klar geregelte
Kompetenzabgrenzung und Regeln des Zusammenwirkens von Intendanz und Geschäftsführung) nach international üblichen Standards zu etablieren?

Das DTD-Schreiben endet so: "Der Dachverband Tanz Deutschland bittet um eine zeitnahe Beantwortung der oben genannten Fragen sowie ergänzende Informationen, die geeignet sind, die für uns und für viele Tanzschaffende offene Fragen zu diesem gravierenden Vorgang sachlich
befriedigend zu beantworten."