Spielzeiteröffnung Schauspiel Kleist auf der Showtreppe
Wuppertal · Im Opernhaus feierte "Der zerbrochne Krug" zum Spielzeitstart eine fulminante Premiere. Trotz werkgetreuer Sprache — dargeboten von einem grandiosen Ensemble — gab es in diesem Lustspiel von Heinrich von Kleist um einen Gerichtsfall viel zu lachen und vor allem zu gucken.
Regisseur Marcus Lobbes und Dramaturgin Barbara Noth verbinden mutig Altes, inzwischen Nostalgisches und aktuelles Zeitgeschehen — und das zahlt sich aus.
Es gibt ein Bühnenbild. Und was für eins! Vorbei sind die Zeiten, in denen sich Zuschauer auf leerer Bühne selbst etwas vorstellen müssen. Jetzt ist Wimmelbild-Zeit. Die anderthalb Stunden der Vorstellung reichen kaum, um alles zu erfassen. Pia Maria Mackert, die für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, schöpft aus dem Vollen. An schrillen Details ist ihre Version des niederländischen Dorfes Huisum kaum zu übertreffen. Auf drei Etagen siedelt sie jeden einzelnen Ort des Stückes an. So kann das, was die Figuren erzählen, gut sichtbar nachgespielt werden.
Verbunden werden die wie in einem verrückten Puppenhaus wirkenden Zimmer durch eine breite silberne Treppe, die zum Dorfplatz führt. Die 1970er und 80er Jahre sind zurück und mit ihnen "Disco, Disco" und Rudi Carrells Showbühne. Jonas Gruber ist nicht nur der Gerichtsrat Walter, der in einem kleinen Dorf die Rechtsprechung kontrollieren soll, sondern er ist Conférencier und Talkshow-Moderator zugleich. Mit pinkfarbenem Schlaghosenanzug, schwarzem Seitenscheitel und flotten Sprüchen, die natürlich nicht bei Kleist zu finden sind, erinnert er an Ilja Richter zu seinen besten Zeiten.
Überhaupt haben die Figuren alle Ähnlichkeit mit irgendwem. Der Dorfrichter Adam (Thomas Braus), der den Krug zerbrochen hat, aber die Schuld auf andere zu lenken versucht, hat etwas von der Horrorfilm-Figur Freddy Krueger. Mit halb eingeschlagenem Schädel, einem Leibesumfang wie Homer Simpson und riesigem Klumpfuß hat er direkt die Lacher auf seiner Seite. Der zu Unrecht beschuldigte Ruprecht mit Tarnanzug, Vokuhila-Frisur und dicker Halskette könnte der kleine Bruder von Rambo sein — zumal Darsteller Alexander Peiler Muskelmasse mitbringt. Der Schreiber Licht (Konstantin Rickert) hat die hohe Stirn von Frankensteins Monster. Eve (Lena Vogt) ist das Barmer Barbie-Girl. Und wo wir schon mal in Wuppertal sind: Frau Marthe Rull (Philippine Pachl) gleicht irgendwie Dörte aus Heckinghausen. Nur Frau Brigitte (Julia Reznik) ist eine veritable Niederländerin: Frau Antje, wie sie leibt und nie gelebt hat.
Dass die völlige Überzeichnung der Figuren und ihre verrückten Kostüme den Großteil der Komik in diesem Stück ausmachen, ist ein Genuss. Die Schauspieler zelebrieren die Übertreibung und Stereotypisierung. Nein, man muss sich als Zuschauer nicht die humoresken Elemente mühsam aus der Verssprache Heinrich von Kleists herauspicken. Sie werden sehr augenscheinlich auf einem Silbertablett, pardon, einer Silbertreppe serviert. Eigentlich muss man das Stück gar nicht kennen, um einen äußerst vergnüglichen Abend mit einem deutschen Klassiker der Theaterliteratur zu verbringen. Die Schauspieler tragen zudem die Texte mit soviel Betonung und deutlicher Aussprache sowie großen Gesten vor, dass man ihnen problemlos folgen kann.
Um dem "Zebrochnen Krug" trotz aller Persiflage eine Botschaft mitzugeben, hat Regisseur Marcus Lobbes deutliche Anspielungen auf das aktuelle Weltgeschehen einfließen lassen. Die Lügen des Dorfrichters: Fake News. Die haltlosen Schuldzuweisungen: Alternative Facts. Die Vorverurteilung von Unschuldigen: das Rechtsempfinden der Bevölkerung. Und schließlich die MeToo-Einlassungen von Eve, die vom Richter nachts in ihrer Kammer bedrängt wurde (wobei der Krug zu Fall kam) und am Schluss selbstbewusst den Missbrauch öffentlich macht. Ein absolut unklassischer Klassiker, der Freude macht auf eine neue Spielzeit der Wuppertaler Bühnen.
"Der zerbrochne Krug": Weitere Aufführungen am 23. September sowie am 3., 6., 13., 20. Oktober, sowie im November und Dezember im Opernhaus.
Karten gibt es bei der Kulturkarte unter Telefon 563—76 66 und im Netz auf www.kulturkarte-wuppertal.de