Spielzeiteröffnung Oper / Sinfonieorchester Das laute Leiden des jungen Werther

Wuppertal · Die Oper zieht zur Saisoneröffnung in der Stadthalle — weil das Sinfonieorchester mit dieser Premiere schließlich auch seine Spielzeit eröffnet, heißt es generös von Theaterseite. Ob man dem Orchester damit einen Gefallen getan hat, darüber lässt sich streiten, denn das wäre tief drunten im Orchestergraben vielleicht besser aufgehoben gewesen.

Tenor Sangmin Jeon und Catriona Morrison auf der Bühne der Historischen Stadthalle. Im Hintergrund gibt es eine dezente Videoprojektion.

Foto: Wuppertaler Bühnen / Claudia Scheer van Erp

Nicht, weil es schlecht gespielt hätte, im Gegenteil. Aber unter der Leitung des Gastdirigenten John Nelson interpretiert es die Musik von Jules Massenets Oper "Werther" ziemlich erdenschwer und wuchtig. Das passt zur Stadthallenakustik, aber statt französischer Eleganz und Delikatesse klingt es doch nach gewichtigem Brahms, was ja auch schön ist, nur eben nicht nach Massenet. Nelson dürfte flexibler in den Tempi sein, gelegentlich auch eine Spur schneller, und mehr als gelegentlich eine deutliche Spur leiser. Das käme auch den Sängern entgegen.

Tenor Sangmin Jeon verleiht dem unglücklich liebenden Werther Kraft und Höhe und gestaltet die Partie mit manchen Zwischentönen sehr schön, dafür mit Recht bejubelt. Aber, um auf hohem Niveau zu nörgeln, ein "französischer" Tenor ist er nicht, dafür müsste die Stimme lyrischer, luftiger sein. Freilich: Ein Theater dieser Größe kann glücklich sein, überhaupt einen Tenor am Haus zu haben, der die Rolle so gut beherrscht. Catriona Morrison als Charlotte hat ein interessantes Timbre, das an Reiz verliert, wenn sie forciert gegen den zu dicken Orchesterklang ankommen muss — eindrucksvoll gesungen ist das allemal. Simon Stricker gibt ihren Ehemann Albert akkurat und unprätentiös, und Ralitsa Ralinova ist eine wunderbar jugendliche Schwester Sophie. Weil die Nebenrollen durchweg sehr ordentlich besetzt sind, bestätigt dieser Saisonauftakt bei den genannten interpretatorischen Einschränkungen das derzeit hohe musikalische Niveau der Wuppertaler Oper.

Nur schade, dass dieses wunderbare Stück nicht szenisch aufgeführt wird. Zwar folgen die Auf- und Abtritte der Sänger der Handlung, aber das allein macht noch kein Theater. Es gibt eine Bebilderung per Videoprojektion (Konzept: Karin Kotzbauer-Bode), die ganz hübsch aussieht, aber nicht allzu aufregend ist. In einen Bilderrahmen wird ein gemaltes Landschaftsbild eingeblendet, ein Baum auf einem Feld im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, mehr oder weniger stark herangezoomt und teilweise dezent animiert mit Schnee oder wachsenden Pflanzen, und manchmal huschen Werther und Charlotte schemenhaft als tanzendes Paar vorbei.

Meist geht der Blick aus einem Zimmer heraus durch das Fenster und wird in der angedeuteten Architektur und Inneneinrichtung in der Entstehungszeit von Goethes Werther-Roman (1774), in der sie ja auch spielt, verhaftet.
Ob das ein Verweis auf die Subjektivität von Goethes Werther sein soll, der sich im Inneren ein eigenes Kunst-Naturbild schafft? "Ich kehre in mich selbst zurück, und finde eine Welt", lautet ein zentraler Satz des Romans. Der Oper, konventioneller angelegt als tragische Liebesgeschichte, hilft das nicht weiter, auch nicht zum Verständnis der Handlung.

Trotzdem großer Jubel im nicht ausverkauften Großen Saal der Stadthalle. Für zwei weitere Vorstellungen zieht die Produktion dann ins vertraute Opernhaus zurück.

"Werther": etwa drei Stunden, eine Pause. Weitere Aufführungen am 30. September und 2. Dezember im Opernhaus. Karten gibt es bei der Kulturkarte unter Telefon 563-76 66 und auf kulturkarte-wuppertal.de