Kritik des Dachverbandes Tanz-Theater: "Die Stadt hat komplett versagt"

Wuppertal · Dass der Konflikt beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zwischen Adolphe Binder und Dirk Hesse so eskaliert ist, habe die Stadt zu verantworten, sagt Bertram Müller, Vorstand des Dachverbandes Tanz.

Bertram Müller: „Die Stadt muss klären, wer den Aktenvermerk der Presse zugespielt hat.“

Foto: Dagmar Krasshoff

Eine "kranke Konstruktion" — so nennt Bertram Müller das Organisationsmodell des Wuppertaler Tanztheaters. Müller ist Vorstandsmitglied des Dachverbandes Tanz und gründete vor rund 20 Jahren das Tanzhaus NRW, war selbst dort viele Jahre Intendant. "Es ist kurios, dass die Geschäftsführung hier auch die Entscheidungshoheit über alle künstlerischen Entscheidungen hat. Sowas gibt es sonst nicht an anderen Theatern." Zudem vertrete die Geschäftsführung die Interessen der Stadt als Gesellschafter der Tanztheater GmbH: "Das konnte so nicht funktionieren!"

Müller kritisiert vor allem eine fehlende Geschäftsordnung, die klare Zuständigkeiten regelt und "eine feine Balance" zwischen den beiden Bereichen und eine "ausgewogene Partnerschaft" hätte finden können. "Mit der Einstellung von Adolphe Binder hätte man zwingend so eine Geschäftsordnung erstellen müssen, das ist ein schweres Versäumnis der Stadt. Vor allem, als man gesehen hat, dass es große Konflikte zwischen Adolphe Binder und Geschäftsführer Dirk Hesse gibt, hätte man alles tun müssen, was hilft, die Lage zu deeskalieren. Genau das ist aber nicht geschehen", ärgert sich Bertram Müller.

Nach Meinung des Tanz-Experten hat die Stadt in der Sache "komplett versagt". "Das gilt für den Kulturdezernenten, den Oberbürgermeister, Herrn Slawig und auch den Beirat", echauffiert sich der 72-Jährige, der das Wuppertaler Tanztheater schon seit vielen Jahren kennt. "Bevor man einer fristlosen Kündigung zustimmt, hätte sich der Beirat ausgeruht mit den gegen Binder erhobenen Vorwürfen beschäftigen müssen. Ohne eine schriftliche Einlassung von Adolphe Binder geht sowas gar nicht! Man hat sich aber offenbar vom Geschäftsführer sowie Slawig unter Druck setzen lassen. Das ist alles ein Wahnsinn!"

Was Bertram Müller im Umgang mit diesem Konflikt vor allem fehlt, ist der "Spirit von Pina Bausch", das "Ringen nach Lösungen" — gemeinsam mit den Beteiligten, auch den Tänzern. "Es hat diese Compagnie ja gerade ausgezeichnet, dass die Tänzer hier keine namen- und gesichtslose Gruppe waren. Sie wurden gehört. Aber in dieser Angelegenheit hat man nicht einmal mit ihnen gesprochen. Man behauptet sogar, man wollte sie dadurch schützen. Das ist eine unglaubliche Frechheit und verdient den Namen Pina Bausch nicht!"

Müller wünscht sich, dass die Stadt jetzt die Fakten auf den Tisch legt, "was wirklich die Ursachen des Konflikts und der Kündigung sind". "Außerdem muss man unbedingt klären, wer den Aktenvermerk an die Öffentlichkeit gebracht und somit zur Verleumdung von Adolphe Binder beigetragen hat. Davon sollte sich der Beirat distanzieren, um den Ruf von Binder nicht weiter zu beschädigen."