Direktor des Sinfonieorchesters Wuppertal Was macht eigentlich Raimund Kunze?

Wuppertal · Beim Aufstieg zur Verwaltungsetage des Sinfonieorchesters gibt der Pinguin im Dirigentenfrack ante portas Orientierung. Hinter dieser Tür kümmert sich Orchesterdirektor Raimund Kunze. Im Gegensatz zum Generalmusikdirektor, der als Konzert- und Operndirigent auf dem Podium im Licht der Öffentlichkeit steht, arbeitet der Orchesterdirektor sozusagen im Hinterzimmer.

Raimund Kunze auf der Bühne der Historischen Stadthalle in Wuppertal.

Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Seit dem 12. August 2021 trägt er als Dienstherr der 88 Sinfoniker verwaltungstechnisch die Verantwortung, während der GMD das Orchester künstlerisch verantwortet, wenn er anwesend ist. Die Arbeitsteilung bestand nicht immer. Musikdirektoren (Samuel Scheidt in Halle, J.S. Bach in Leipzig, G. Ph. Telemann und C. Ph. E. Bach in Hamburg, Robert Schumann in Düsseldorf unter anderem) waren ehemals Herren über Kirchenmusiker und Stadtpfeifer, die sozusagen als Ahnen heutiger, festangestellter Berufsmusiker der großen Sinfonieorchester gelten können. Im Gewandhaus zu Leipzig erinnert noch heute ein hervorragendes Restaurant („Stadtpfeifer“) daran.

Aus dem Musikdirektor früherer Zeiten wurde 1819 im preußisch-militärischen Berlin der Generalmusikdirektor, dessen Tätigkeit heutzutage meist als Halbstagsjob erledigt wird. Für auswärtige Dirigate wird ihm vertraglich viel Zeit eingeräumt, was dem Renommee des Orchesters wie der Stadt zugutekommt. In Wuppertal war GMD Hans-Martin Schneidt bis 1986 der letzte, dem die wöchentliche Probe seines Konzertchores zusätzlich zur Orchesterarbeit am Herzen lag. Dienstherr des Orchesters war damals das Kulturamt. Management, Dienst- und Vertretungspläne wurden von der Sekretärin des GMD und aus dem Orchester heraus geregelt.

Als 1995 umstrukturiert, das Kulturamt abgeschafft, der Konzertgesellschaft die Verantwortung für die Sinfoniekonzerte entzogen und der Stadtbetrieb Sinfonieorchester gegründet wurde, schuf man die Stelle des Orchesterdirektors. Die Berliner Philharmoniker hatten schon 1935 ihren „Intendanten“ bestellt.

Wer ist denn der Neue hier? Raimund Kunze wurde in Salzgitter geboren, hat nach dem Umzug der Familie in Hattingen Abitur gemacht. Mit sieben Jahren bekam er Klavierunterricht und wenig später ein Bechstein-Klavier von seinen Eltern geschenkt. Kammermusik, vor allem Klaviertrios mit Bruder und Freund wie auch das Organisieren der Auftritte machten ihm bald viel Spaß. Sein Klavierspiel wurde immer besser dank des privaten Klavierunterrichts bei der ukrainischen Pianistin Tatiana Gorevaia.

Als es nach dem Abitur um die Berufswahl ging, sahen die Eltern seine künstlerisch-pianistische Neigung kritisch, drängten ihn zu etwas, was für vernünftig gehalten wurde. So schrieb er sich um des lieben Friedens willen erst einmal in Bochum bei Wirtschaftswissenschaften ein, verfolgte aber bald doch seinen eigenen Weg und wechselte 2003 mit dem Berufsziel „Klavierpädagoge“ an die Folkwang Universität der Künste nach Essen.

Raimund Kunze mit Pinguin im Dirigintenfrack und Top Magazin-Autor Johannes Vesper.

Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Er hatte Unterricht bei Vladimir Shamo und Boris Bloch. Beide stammen aus der Ukraine und erfreuen sich internationaler Reputation. Auch seine Liebe zur Kammermusik verfolgte er in Werden, machte den Kammermusikschein bei dem Cellisten Alexander Hülshoff, mit dem er heute über das Orchesterzentrum NRW wieder in Kontakt steht. Liedbegleitung interessierte ihn vor allem. „Aber es entwickelte sich eine chronische, schmerzhafte Sehnenscheidenentzündung. Da machte das Klavierspiel nicht mehr viel Sinn.“

So wechselte er nach Beendigung des Studiums hinter die Bühne und begann nach einem Praktikum im Konzerthaus Dortmund und bei den Duisburger Philharmonikern das Masterstudium für Theater- und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main. Der Studiengang war erst kurz zuvor (2003) begründet worden und blieb bisher der einzige deutschlandweit. Er führt ein in die Welt des Theaters und der Berufsorchester: Management, Kulturpolitik, Kulturästhetik, Spielplanplanung, Kommunikation und vieles andere mehr wird vermittelt.

Schon vor Studienende erhielt Raimund Kunze eine Stelle im Künstlerischen Betriebsbüro der Staatsoper in Hannover, wechselte von dort zur Orchestertournee- und PR-Abteilung der Konzertdirektion Schmid, später zum Künstlersekretariat Astrid Schoerke. Dort vertrat und vermittelte er Musiker wie Martin Stadtfeld, Till Fellner, Heinrich Schiff und andere. Seine Kenntnis des Agentenmarktes sollte ihm noch zu Gute kommen, denn 2015 wurde ihm die Stelle des Orchesterdirektors der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz als Nachfolge von Susanne Fohr übertragen, die in gleicher Position zur Hamburger Staatsoper gegangen war. Da war er plötzlich Dienstvorgesetzter eines großen Sinfonieorchesters mit 99 Musikern, musste die Kosten immer im Blick behalten, Verhandlungen mit Agenturen für Solisten und Gastdirigenten führen und nebenbei natürlich auch Dienst- und Vertretungspläne managen.

Bei der Besetzung einer Orchesterdirektorenstelle werden ein abgeschlossenes Hochschulstudium ebenso vorausgesetzt wie gute Kenntnisse der Musikliteratur, des Tarif- und Arbeitsrechts und oft auch von OPAS. Achtung: Das sind nicht die weißhaarigen Senioren im Stammpublikum der klassischen Konzerte, sondern das ist die „Orchester Planungs- und Administrations System Software“, die zahlreiche Orchester weltweit in 15 Sprachen bei dem täglichen Wahnsinn digital unterstützt.

Die schwierigen Verhältnisse am Fünfspartentheater in Chemnitz mit der ehrwürdigen, schon 1833 gegründeten Robert-Schumann-Philharmonie forderten den jungen und engagierten Orchesterdirektor, Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit war der GMD ausgeschieden, musste ein neuer gesucht werden. „Da konnte ich mich entfalten und frei gestalten. Ich habe Konzertreihen geschaffen und Programme selbst gestaltet.“

Raimund Kunze im Interview.

Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Dazu hat der Orchesterdirektor natürlich im gruppendynamisch immer lebhaften Orchester oft eine vielfältige Gemengelage zu moderieren. Warum dürfen die Blechbläser, wenn sie bei der Opernaufführung Pausen haben, den Orchestergraben verlassen und die Holzbläser nicht? Sind wirklich für eine Aufführung vier Piccolotrompeten notwendig? Wenn ja, was kosten die? Kann man vielleicht mit zweien auskommen? Da streiten sich die Fachgruppen nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Dirigenten – und der Orchesterdirektor muss vermitteln oder auch entscheiden, was umsetzbar ist.

Das Musiker auch Menschen sind, glauben viele, jedoch nicht der berühmte Markus Lüpertz, selbst ja kein Musiker. Er sagte: „Der Künstler ist kein Mensch. Er ist ein Künstler, das ist etwas anderes.“ Das Sinfonieorchester Wuppertal hat Tourneen nach Japan hinter sich, trat im Concertgebouw zu Amsterdam, in der Kölner Philharmonie auf, erhielt mehrfach

jubelnden Applaus vom Mailänder Publikum. Sollte das Angebot von Promenadenkonzerten (sommerlich auf dem Laurentiusplatz, Filmmusik im Großen Saal) erweitert werden? Wichtige Zukunftsfragen fordern Tatkraft und Kompetenz des Orchesterdirektors.

Die politischen Turbulenzen in Sachsen bei der Bundestagswahl 2017 und den rechtsradikalen Unruhen 2018 haben den jungen Familienvater Raimund Kunze durchaus beeindruckt. Um mit Rechten, die es auch im Theater gab, umzugehen, bedarf es großer Gelassenheit und Übersicht. Was war seine kniffeligste Situation in Chemnitz? Der Pianist und Dirigent Christian Zacharias röchelte telefonisch zwei Tage vor dem Sinfoniekonzert der Robert-Schumann-Philharmonie wegen Krankheit seinen Auftritt ab. Er sollte vom Klavier aus Mozarts Klavierkonzert Nr. 24 KV 491 und nach der Pause Bruckners 6. Sinfonie dirigieren. Innerhalb von zwei Tagen Pianist und Dirigent heranzuschaffen erforderte den ganzen Orchesterdirektor.

Hier nutzten alte Verbindungen zur Agentenszene – und einen Tag vor dem Konzert reiste der junge französische Pianist Jean-Paul Gasparian an und flog der knapp 80-jährige Leopold Hager aus Salzburg ein. Mit französischem Charme und österreichischer Souveränität gelang trotz der wirklich knappen Probenzeit ein bejubeltes Konzert.

Viel Planungsarbeit im Team ist unverzichtbar, wenn es darum geht, ein Sinfonieorchester zu managen.

Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Nach Jahren im völlig unterschätzten Chemnitz, einer Stadt ohne Image, entstand dann doch der Wunsch, sich neu zu orientieren. Die Stelle des Orchesterdirektors für das Wuppertaler Sinfonieorchester war ausgeschrieben worden, dringende familiäre Gründe kamen hinzu. Da fiel die Entscheidung schnell. Das Sinfonieorchester Wuppertal schätzte sich glücklich, die wichtige Stelle mit dem kompetenten und erfahrenen Orchestermanager besetzen zu können.

Innerhalb weniger Wochen wurden sozusagen in bergischer Tradition „Nägel mit Köppen gekloppt“, der Umzug nach Wuppertal realisiert und sich in die Arbeit gestürzt. Würde das bevorstehende Einführungskonzert von Patrick Hahn mit Marlis Petersen und der riesigen Alpensinfonie von Richard Strauss trotz Corona stattfinden können? Tat es! Aber dann fielen im Laufe der 159. Saison immer wieder Orchestermusiker aus oder gar auf der Bühne ohnmächtig um. Da sind Übersicht und Tatkraft gefragt.

Jetzt ist Raimund Kunze schon länger als ein Jahr im Amt, schätzt die gedeihliche Zusammenarbeit mit GMD Patrick Hahn (mit dem ich gut kann) die motivierende Qualität des traditionsreichen und lebendigen Orchesters sowie das Arbeitsklima in der Verwaltung. Was findet er für seine Arbeit besonders wichtig? Bei der Programmgestaltung, die künstlerisch natürlich vor allem beim GMD liegt, geht es darum, ein attraktives Programm zwischen Publikumsvergnügen und moderner, zeitgenössischer, auch experimenteller Musik aufzustellen, zu finanzieren und auch die Kammermusikreihe der Orchestermitglieder zu ermöglichen, die hier ja dankenswerterweise die Konzertgesellschaft finanziell ermöglicht.

Neben aller täglichen Arbeit politisch wach zu sein, gesellschaftliche Tendenzen zu erkennen, für die Musik und das Orchester zu nutzen – das ist ihm wichtig. Die Educationsarbeit, wie sie von den Orchestermusikern mit viel Engagement sehr erfolgreich jahrelang betrieben worden ist und infolge von Umstrukturierungen 2018 endete, möchte er gerne mit den hoch motivierten Musikern wiederbeleben.

Kinder und Jugendliche, die die Zauberwirkung der Musik verspüren, sind das Publikum von morgen und eröffnen Zukunftsperspektiven. „Da bin ich offen und interessiert an allem, was dazu hilft. Die Familienkonzerte, Ohrenöffner, Musik im Gespräch: Das alles bietet schon beste Ansätze. Für die Jugendlichen zwischen zehn und 18 Jahren müssen wir noch mehr tun.“