Großartige Oper für über 270 Mitwirkende Eine Wuppertaler Sternstunde
Wuppertal · Ein Theaterwunder: „Das Labyrinth“ führte im Opernhaus rund 270 Musiker, Profis wie Laien, in einem grandiosen Theaterprojekt zusammen.
Dazu gehört Mut: Eine ambitionierte Oper für rund 270 Mitwirkende, überwiegend Laien, darunter viele Kinder und Jugendliche – und es funktioniert, sogar ganz großartig.
2015 kam „Das Labyrinth“ von Jonathan Dove in Aix-en-Provence zur Uraufführung. Die Wuppertaler Bühnen haben die beeindruckende Inszenierung von Marie-Eve Signeyrole, die bereits in verschiedenen Städten zu sehen war, nun übernommen. Mit dem hauseigenen Kinder- wie Jugendchor, Kurrende und Mädchenkurrende, Chören der Musikschulen Wuppertal und Remscheid, der Gymnasien am Kothen und Bayreuther Straße sowie einem eigens gegründeten Projektchor, mit dem Sinfonierorchester und dem um Gäste erweiterten Jugendorchester der Bergischen Musikschule, zwei Schauspielern und drei Gesangssolisten haben sie einen Klangkörper auf die Beine gestellt, der unter der Leitung von Opernchordirektor Markus Baisch über sich hinauswächst.
Der 1959 geborene englische Komponist Jonathan Dove versteht es wie kaum ein anderer, eine auch für Laien verständliche Musik zu schreiben, die nie anbiedernd ist und durch ständig wechselnde Klangeffekte die Spannung hält. Dabei ist die musikalische Struktur alles andere als einfach. An die Musiker, Laien hin und Profis her, werden hohe Ansprüche gestellt.
Der Chor singt in ständig wechselnden Besetzungen, und auch die Jüngsten haben anspruchsvolle Passagen zu bewältigen. Und im Orchester spielen die Nachwuchsmusiker keineswegs unbedeutende Füllstimmen. An den eminent wichtigen Schlaginstrumenten etwa, wahrlich nicht zu überhören und immer wieder prägend für die Musik, sitzen und stehen Schüler und angehende Studierende, und sie machen das ganz hervorragend.
Man muss dem Dirigenten Markus Baisch, stellvertretend für alle an der Aufführung wie an der Einstudierung Beteiligten, höchsten Respekt zollen für das absolut professionelle Niveau, das hier in anderthalbjähriger Probenarbeit erreicht wurde.
Inhaltlich geht es um den Theseus-Mythos: Als Kriegsschuld muss der Stadtstaat Athen jährlich sieben Mädchen und Jungen über das Mittelmeer nach Kreta schicken, wo sie dem Ungeheuer Minotaurus in dessen Labyrinth geopfert werden. Theseus fährt, allen Einwänden seiner Mutter zum Trotz, nach Kreta und besiegt das Monster. Am Ende feiern die Athener die Rückkehr der aus dem Labyrinth befreiten Kinder.
Die Regie erzählt diese Geschichte nicht nach, sondern schafft einen offenen Assoziationsrahmen. Auf faszinierende Weise werden die Chöre choreographiert, beispielsweise zum Labyrinth gestellt, und eine Live-Kamera mit Direktbild zeigt das aus wechselnden Perspektiven. Die zweite Ebene sind Filmaufnahmen, die eingeblendet werden. Menschen im Schlauchboot auf offener See, das rief schon im Sommer 2015 beim Festival d’Aix-en-Provence eindeutige Assoziationen hervor.
Aber auch wenn auf der Bühne Kinder gewaltsam ihren Eltern entrissen werden, wenn sie von einem bühnenhohen Gitterzaun aufgehalten werden, dann sind das Momente, die unter die Haut gehen.
Schauspieler Gregor Henze spielt eindrucksvoll den König Minos – und das Mädchen, das mit klarer Stimme die Grundzüge der Handlung erklärt, hätte unbedingt eine Erwähnung im Programmheft verdient. Die schwierige Rolle des Retters Theseus singt Martin Koch mit beweglichem Tenor, Sebastian Campione gibt solide den Dädalus und Belinda Williams ebenso überzeugend die besorgte Mutter des Theseus.
Das Publikum wird zwischendurch Teil der Inszenierung, und das nicht nur, weil die Chöre in einer Szene um das Parkett herum aufgestellt sind. So wird dieses „Labyrinth“, mit einer Stunde Spieldauer kindertauglich dimensioniert, viel mehr als „nur“ eine bewegende Oper im konventionellen Sinn.
Denn darüber hinaus wird hier mit verblüffendem Erfolg die Idee umgesetzt, über das Musiktheater viele sehr unterschiedliche Menschen in großer künstlerischer Anstrengung zu verbinden und in einem humanitären Ideal zu vereinigen.
So nahe war die Stadtgesellschaft ihrer Oper wohl noch nie. Eine Sternstunde in der Wuppertaler Theatergeschichte.