„Die tote Stadt“ von Korngold im Opernhaus Klinisch kühl – wie im Keller der Pathologie
Wuppertal · „Die tote Stadt“ bietet große Oper – und die Regie verweigert dem Werk jede Romantik.
Ist das nun pathologischer Kitsch oder psychoanalytische Kunst im Geiste Siegmund Freuds? Gerade einmal 23 Jahre jung war Erich Wolfgang Korngold, gefeiertes Wunderkind der 1920er Jahre, als der Sensationserfolg „Die tote Stadt“ zur Uraufführung gelangte. Die Mischung aus verklärter Sehnsucht nach der Vergangenheit, die sich in Korngolds hyperromantischen Tonsprache niederschlägt, und gleichzeitiger Skepsis gegenüber der Moderne traf wohl den Nerv seiner (und vielleicht auch wieder unserer) Zeit.
Unter Opernliebhabern, insbesondere der Wagner-Strauss-Gemeinde, gilt das Werk als Geheimtipp. Jetzt erlebte das schwierige Stück eine spannende Premiere im Opernhaus.
Worum geht es? Hauptfigur Paul hat sich nach dem Tod seiner Frau Marie zurückgezogen und gibt sich ganz im Gedenken an diese hin, als er die Tänzerin Marietta kennen lernt, in der er die Verstorbene wiederzuerkennen glaubt. Er steigert sich immer tiefer in diese Idee hinein, bis er Marietta schließlich erwürgt – was sich dann aber als böser Traum entpuppt, aus dem Paul einigermaßen geheilt erwacht.
Starker Tobak für die Regie, wo doch schon die Metapher von der Stadt Brügge als „toter Stadt“ reichlich unglaubwürdig ist, wie jeder Brügge-Tourist bestätigen wird. Regisseur Immo Karaman bricht die Handlung auf und erzählt sie wie aus der Erinnerung Pauls heraus, der im Geiste die Beziehung zu seiner Frau noch einmal durchlebt – ziemlich sprunghaft und in vielen Rückblenden. Die Figuren von Marietta und Marie verschmelzen dabei zu einer Person. Marie war offenbar keineswegs das Idealbild, das Paul in ihr sehen wollte, und das muss er nach ihrem Tod akzeptieren lernen.
Karaman und Ausstatter Fabian Posca setzen der zutiefst morbiden Stimmung der Oper klinisch-kühle Räume entgegen: den Keller einer Pathologie (kennt man aus dem „Tatort“), wo Leichen in Kühlfächern liegen. Da sitzt Paul neben dem Leichnam Maries und verliert sich in Gedanken. Mit ein paar Vorhängen gibt es immer wieder verblüffende Szenenwechsel, und bei allen Freiheiten gegenüber dem Libretto gelingt damit eine ziemlich schlüssige und über weite Strecken spannende Deutung der Oper, die mehr und mehr wie ein Psycho-Krimi aussieht (trägt Paul vielleicht Schuld am Tod Maries?) – was am Ende, das ist eine kleine Enttäuschung, dann doch nicht ganz eingelöst wird.
Dann ist da noch die Frage, wie man mit der musikalischen Schlüsselstelle umgeht: das Lied „Glück, das mir verblieb“, erst von Marietta allein, dann im Duett mit Paul, im Finale vom geläuterten Paul allein gesungen und (boshaft gesagt) der große, ungemein beliebte Schmachtfetzen des Werkes, hinter dem der Rest der Musik schnell verschwinden kann.
Karaman inszeniert das einfach weg. Wenn Marietta das Lied singt, ist sie von einer Varieté-Kapelle umgeben, die wie in Zeitlupe agiert, Johannes Pell dirigiert dazu entsprechend langsam. Ziemlich boshaft gegenüber Korngold, den großen musikalischen Gedanken in so niedere Sphären zu verfrachten, eine (allzu) schöne Stelle neben vielen anderen, aber so behält die Oper ihr Gleichgewicht.
Wenn Paul das Lied dann ganz am Ende noch einmal singt, ist er schon von der Bühne gegangen, man hört ihn durch die einen spaltbreit geöffnete Tür – auch da wird die Bravour-Arie verwehrt.
Mit diesem Paul ist das überhaupt so eine Sache: Als gebrochene Figur taugt ein Heldentenor ja nicht, aber die Partie verlangt Kraft und zarte Töne. Jason Wickson gestaltet das ganz ordentlich, mit strahlender Höhe (wenn er laut singen darf), und (meistens) schönem, manchmal wackligem Piano, wodurch er hier und da dann doch in eine gewisse Weinerlichkeit verfällt – woran der Komponist nicht unschuldig ist.
Susanne Serfling ist eine lyrische Marie-Marietta, die man sich noch eine Spur intensiver wünschen würde. Simon Stricker singt Pauls Freund Frank und Mariettas Liebhaber Fritz (auch diese beiden Figuren sind zu einer zusammengefasst) mit grundsolidem Bariton, Ariana Lucas die Haushälterin Brigitta mit sattem Alt. Chor und Kinderchor bleiben weitgehend unsichtbar, singen aber präzise und mit schönem Ton.
Dirigent Johannes Pell vermeidet allzu großes Schwelgen in süffiger Spätromantik, hebt (maßvoll) die Dissonanzen und den nervösen Grundton hervor. Ein wenig fehlt dem Sinfonieorchester an diesem Premierenabend die Souveränität, das Über-der-Musik-stehen.
Alle Widersprüche dieses schwierigen Werkes werden hier nicht gelöst, aber auch daraus zieht die Produktion ihren Reiz. „Die tote Stadt“ bleibt eine Herausforderung. Die Wuppertaler Bühnen haben sie alles in allem ziemlich gut bewältigt.