Gralsritter mit Problemen
Die Premiere der Wagner-Oper "Parsifal" stieß beim Publikum nicht nur auf Zustimmung. Regisseur Thilo Reinhardt wagte sich an eine ungewöhnliche Interpretation.
"Was hat das denn mit Wagner zu tun?" Bereits nach einer Viertelstunde machte eine Premierenbesucherin ihrem Unmut lautstark Luft. Na ja, eine ganze Menge, könnte man antworten. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch. Regisseur Thilo Reinhardt deutet die exklusive Gralsrittergesellschaft in Wagners "Parsifal" um in ein elitäres Jungen-Internat mit höchst fragwürdigen Aufnahmeritualen. Das hat durchaus Logik und bewegt sich zwar nicht am Wort, aber doch am Sinn des Textbuches entlang: Eine Kaderschmiede zur angedachten Weltrettung.
Das eigentliche Problem aber ist, dass dem Regisseur zum zentralen Konflikt der Oper nicht viel einfällt. Klar, diese leicht faschistoide Bildungsanstalt steckt offensichtlich im Reformstau, aber warum sind die Lehrkräfte dort einem Keuschheitskodex unterworfen? Und der ist gleich so wirkmächtig, dass ein Verstoß dagegen, eine kurze Affäre von Direktor Amfortas mit Schulsekretärin Kundry, zur Katastrophe führt und fortan ein "Erlöser" benötigt wird?
Das wird durch die Inszenierung überhaupt nicht klar. Für Parsifal, der als Straßenkind nicht in die Welt der feinen Pinkel integriert wird, gibt es da eigentlich nichts, was er durch den ersten Kuss seines Lebens erkennen könnte.
Und dann rüstet die Inszenierung im letzten Akt mächtig auf und schickt, warum auch immer, eben diesen Parsifal als Anführer eines Trupps von UN-Blauhelmen in seine alte Schule, um da ordentlich aufzuräumen mit den alten Sitten. Da scheitert Thilo Rheinhardts ambitioniertes Regiekonzept krachend. Und doch ist das spannend: Ein "Parsifal", der Stoff zur Diskussion bietet und das Premierenpublikum polarisierte.
Musikalisch glänzen der junge Tilmann Unger in der Titelpartie mit immer klangschönem, leicht eingedunkelten und kraftvollem Tenor und Kathrin Göring als zunächst betörend lyrische Verführerin Kundry, die dann aber mit unerwartet großen dramatischen Furor aufwartet: Das ist (im sängerfreundlichen Bühnenbild) schon große Musik. Ordentlich, aber nicht auf diesem hohen Niveau singen Thomas Gazheli als mitunter etwas kurzatmiger Amfortas, Andreas Daum als in Ungnade gefallener Klingsor, Thorsten Grümbel als ungewohnt jugendlicher Sportlehrer Gurnemanz und Martin Blasius als greiser Schulvereinsvorsitzender Titurel. Sehr klangschön singen Chor und Extrachor (Einstudierung: Jens Bingert).
Toshiyuki Kamioka dirigiert zügig das zu Beginn nicht sehr genaue, zunehmend sicherere Sinfonieorchester über manches Wunder der Musik hinweg, baut ein paar eigentümliche Manierismen ein und hat dann auch wieder großartige Momente. Er hat schon herzlicheren Applaus erhalten.