OB-Kanididat Panagiotis Paschalis „Ich rechne mir gute Chancen aus“

Wuppertal · Panagiotis Paschalis (58), gebürtiger Grieche und aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt mit seiner Familie seit 2012 in Wuppertal. Hier war er der bundesweit erste Dezernent für Bürgerbeteiligung – zuständig auch für Recht und Beteiligungssteuerung. Von einer großen Ratsmehrheit wurde Paschalis abgewählt und ist seitdem Beamter im einstweiligen Ruhestand. Am 13. September tritt der gelernte Rechtsanwalt, der viele Jahrzehnte in Führungspositionen der freien Wirtschaft tätig war und die SPD nach seiner Abwahl verließ, als parteiloser, unabhängiger Oberbürgermeister-Kandidat an. Stefan Seitz und Roderich Trapp sprachen mit ihm.

Der unabhängige OB-Kandidat Panagiotis Paschalis.

Foto: Rainer Szesny

Rundschau: Warum wollen Sie Oberbürgermeister werden?

Paschalis: Ich bin immer jemand gewesen, der sich politisch und gesellschaftlich engagiert. Auch die Entscheidung, Dezernent in Wuppertal zu werden, rührt daher. Ich stamme aus einfachen Verhältnissen. Über Bildung, und mit Ehrgeiz konnte ich aufsteigen, ich blicke auf ein erfolgreiches Berufsleben in der Wirtschaft zurück. Dann ergab sich die Chance, in Wuppertal politisch zu arbeiten. Als politischer Wahlbeamter, als Dezernent für Bürgerbeteiligung, war es mein Ziel, die Gesellschaftspolitische Vision von „Mehr Demokratie wagen“ in Wuppertal mit Leben zu füllen. Das Ergebnis kann sich nach nur zwei Jahren sehen lassen, meine Abberufung hatte bekanntlich andere Gründe. Deswegen sage ich: Jetzt erst recht.

Rundschau: Für wie aussichtsreich schätzen Sie Ihre Kandidatur ein?

Paschalis: In vielen Städten regieren mittlerweile unabhängige Bürgermeister sehr erfolgreich. Die Wuppertaler Bürger sehen das und versprechen sich von einem unabhängigen Kandidaten, eine bessere Regierung und endlich auch mehr Gehör zu finden.. Bei der letzten OB-Wahl gaben in Wuppertal nur 36,7 Prozent ihre Stimme ab. Über 172.000 Menschen oder 63 Prozent aller Wahlberechtigten blieben der Wahlurne fern . Diese Menschen sind mutlos und haben kein Vertrauen in die Parteien und deren Repräsentanten. Das halte ich für sehr gefährlich für unsere Demokratie. Die zweite Gruppe, die ich im Blick habe, sind die vielen bürgerschaftlich engagierten Wuppertaler, die so vieles einfach selbst in die Hand nehmen und nicht warten, bis die Stadt etwas macht. Diese Menschen waren eine wichtige Säule der von mir initiierten Bürgerbeteiligung. Also lassen wir die Wuppertaler Bürger entscheiden. Viele wissen schon, was sie an mir haben, viele muss ich noch erreichen und überzeugen. Ich bin zuversichtlich und rechne mir gute Chancen aus.

Rundschau: Ihren Wahlkampf hatten Sie anders als die üblichen Parteiwahlkämpfe geplant. Was ist da mit den Corona-Einschränkungen noch machbar?

Paschalis: Das ist jetzt sehr schwierig geworden, gerade für mich als unabhängigen Kandidaten, denn ich bin auf den Kontakt mit den Bürgern angewiesen. Geplant waren viele offene Abende sowie Touren und Treffen in den Stadtteilen, um die Meinung der Bürger zu hören und von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. Ich möchte echte Beteiligung von Bürgern, keine Bürgerbeglückung. Deswegen sehe ich die klassische Programmatik von Parteien auch kritisch. Jetzt mussten wir uns neue Formate einfallen lassen. Meine Vespa, mit der ich viel unterwegs bin, bekommt einen Werbe-Aufsatz, so dass ich in die Quartiere fahren, für mich werben und mit den Menschen sprechen kann. Außerdem wird es ab Ende Juni elf moderierte Gespräche zwischen mir und Bürgern aus den verschiedensten Bereichen geben, die auf der Hardt stattfinden, gefilmt und dann online zur Verfügung gestellt werden. Natürlich inklusive der Aufforderung, mit mir zu diskutieren. Die Themen spannen sich von Jugend und Umwelt über Kultur bis zu Stadtentwicklung und Wirtschaft.

Rundschau: Ihre Meinung zum von Bundesfinanzminister Scholz vorgeschlagenen „Kommunalen Solidarpakt 2020“?

Paschalis: Den Solidarpakt begrüße ich sehr und hoffe, dass er bald Realität wird. Die riesigen Schulden der Kommunen sind ein Sprengsatz für die Demokratie. Auch unsere Stadt hat einen Neuanfang verdient, auch wenn nicht alles, was Wuppertal finanziell schwer drückt, fremdverschuldet ist. Die Fehler der Vergangenheit dürfen nicht ständig wiederholt werden. Es ist Zeit für einen Führungswechsel. Wuppertal braucht einen Oberbürgermeister, der auch rechnen kann. Auch ein Kämmerer, der das kann, wäre wünschenswert.

Rundschau: Wie meinen Sie das?

Paschalis: In Wuppertal gibt es ein Defizit an politischer Kultur, ein Demokratiedefizit. Die Blockade durch Unprofessionalität muss gelöst werden. Seit vielen Jahren werden laufend grundlegende Fehler gemacht. Es hilft nicht, die Augen davor zu verschließen und zu sagen: Das passiert halt. Wenn man sich die hier seit langer Zeit übliche Politik der Entscheidung in Hinterzimmern erspart, passiert es beispielsweise nicht, dass der Investorenkubus auf dem Bahnhofsvorplatz auf einen Fingerzeig des Investors, entgegen den Planungen, verschoben wird.

Rundschau: Ein großes Streitthema war die Bundesbahndirektion. Jetzt steigt die Stadt selbst als Mieterin ein.

Paschalis: Dieses Gebäude ist ein herausragendes und städtebaulich prägnantes Objekt. Als es seinerzeit zum Verkauf stand, hätte die Stadt, trotz Finanzschwierigkeiten, unbedingt zugreifen müssen. Schon um bestimmen zu können, was dort passiert. Aber man hat zugelassen, dass ein wegen Bestechung vorbestrafter Investor das Gebäude bekam. Mit den bekannten Folgen. Diesem Investor, der als Entwickler mit dem FOC hoffnungslos überfordert war, wird nun die Wartezeit per städtischen Mietpreis fürstlich entlohnt werden. Ähnliches kennt man vom Wicküler Park. Als es dort für Clees nicht gut lief, zogen flugs städtische Dienststellen dort ein. Die Motive einzelner Akteure in Stadt und Politik so mit dem Geld der Bürger umzugehen, erschließen sich mir nicht. Vor dem Hintergrund der laufenden Korruptionsskandale in der Stadt muss man das Schlimmste befürchten. Eine professionelle Analyse des Themas Bundesbahndirektion und darauf aufbauende Politikbeschlüsse hätten ein ganz anderes Ergebnis als das jetzige gebracht. Verwaltung ist an dieser Stelle schlichtweg das falsche Nutzungskonzept. Ein weiterer Verwaltungstempel neben den Rathäusern in Barmen und Elberfeld passt nicht ins Zeitalter der Digitalisierung.

Rundschau: Aktuell ist die nun wieder ganz neu diskutierte Forensik. Was sagen Sie?

Paschalis: Das Areal in Ronsdorf ist die nächstliegende und akzeptabelste Lösung. Für die damit hadernden Ronsdorfer Bürger habe ich Verständnis. Aber die Wuppertaler Politik hat den Anschein erweckt, sie hätte in einer Sache, die das Land steuert, etwas zu sagen. Dass die Kleine Höhe unangetastet bleibt, finde ich gut. Wuppertal hat viele andere brachliegende Flächen, die für kleine und mittlere Betriebe, in denen ich das Rückgrat und die Zukunft der Wuppertaler Wirtschaft sehe, entwickelt werden könnten.

Rundschau: Wie stehen Sie zum Pina Bausch Zentrum?

Paschalis: Das Werk von Pina Bausch, das Tanztheater, ist ein Juwel von internationaler Bedeutung. Das Schauspielhaus ist ein tolles Gebäude. Wohin sich aber das Pina Bausch Zentrum, vor allem mit seiner vierten Säule, dem „Wupperbogen“, der das Ganze zur Stadt und für die Bürger öffnen soll, entwickelt, da befürchte ich eine Kopfgeburt. Für Berater gab es bisher schon üppige Budgets. Bei einem Projekt dieser Größenordnung ist es meines Erachtens unumgänglich, die Bürger einzubeziehen. Wo, wenn nicht bei einem solchen Projekt, macht Bürgerbeteiligung Sinn? Das darf man nicht den üblichen Prozessen überlassen. Und ich sage deutlich: Eine Bürgerbefragung ist keine Bürgerbeteiligung!

Rundschau: Auch das Thema einer Wuppertaler Bundesgartenschau kam zuletzt wieder auf die Tagesordnung …

Paschalis: Eine BUGA ist die Gelegenheit, neue Ideen für städtische Räume zu entwickeln. Das Wuppertaler Konzept finde ich aber hausbacken und ein bisschen altmodisch. Eine BUGA bringt eventuell Geld in die Stadt, ich weiß aber nicht, ob damit wirklicher Mehrwert verbunden ist. Es ist ja gar nicht klar, was mit den BUGA-Flächen später passieren würde und ob sich der Verlust der dafür geopferten Flächen ökologisch und ökonomisch auszahlt.

Rundschau: Ihre Position zur Zukunftsmobilität?

Paschalis: Eine moderne Stadt muss multiple Bewegungsmittel bieten. Was in Wuppertal aber stark vernachlässigt wird, ist die innerstädtische Aufenthaltsqualität für Fußgänger und Fahrradfahrer. Ich glaube, dass sich das auch stark auf den Einzelhandel auswirkt. Wuppertals Kaufkraft liegt bei etwa 2,3 Milliarden Euro. Das ist nicht schlecht. Aber viele geben ihr Geld nicht in der Stadt aus, und Auswärtige kommen viel zu selten hierher. Wenn man etwas verändern will, muss vor jeder Therapie eine schonungslose Diagnose stehen. Und mit Blick auf Herrn Schneidewind, der mit vielen Zukunftskonzepten, auch in Sachen Mobilität, wirbt, sage ich: Erst muss man die lange überfälligen Hausaufgaben machen, dann kann man sich um Visionen kümmern.

Rundschau: Wenn Sie als OB gewählt würden, hätten Sie fast ausschließlich mit denen zu tun, die Sie abgewählt haben. Kein Problem?

Paschalis: Erstens müssen die Menschen, von denen Sie sprechen, wiedergewählt werden. Zweitens bin ich Profi und ein „Everybodys Darling“ wird in dieser Position zum Grußonkel. Ich habe viel Führungserfahrung, kann mit Menschen umgehen, aber auch „Stopp“ sagen. Wenn jemand ein Problem mit mir hat, ist das dessen Sache. Der Oberbürgermeister einer Großstadt kann es nicht allen Recht machen. Der Anspruch, beliebt und volksnah zu sein und zugleich über große Verwaltungsführungskompetenz zu verfügen, macht den Job zu einem der schwierigsten. In Wuppertal ist diese Verbindung meines Erachtens bisher nicht gelungen. Andreas Mucke ist es bisher leider nicht gelungen, und Herr Slawig, der als Kämmerer eigentlich genug mit den desolaten Finanzen zu tun hätte, vereint die immense Machtfülle eines früheren Oberstadtdirektors auf sich. Ein OB sollte als Chef der Verwaltung und Vorsitzender des Rates unabhängig von Parteiklüngel agieren. Er sollte der Politik Brücken bauen und gut vorbereitete Fakten und Informationen liefern. In Wuppertal aber gibt die Verwaltung die Entscheidungen vor, die von der Politik abgenickt werden. Das führt zu einem Demokratie-Defizit. Ich habe mit vielen unabhängigen Stadt-Chefs gesprochen: Ein moderierender Oberbürgermeister, der wie ein Projektmanager das Machbare sachlich und stark vertritt, kann im Zusammenspiel mit Rat, Bürgern und Stadtbezirken viel Einfluss nehmen. Aber Verwaltungsführung und Personal müssen unbedingt Chefsache sein.

Rundschau: Zum Schluss noch ein Wort zum Sport?

Paschalis: Wuppertal ist eine tolle Sportlerstadt mit viel Grün. In Sachen Sportpolitik ist mir kein großer Handlungsbedarf zu Ohren gekommen. Den BHC sähe ich gerne in Wuppertal, die Arena und deren Finanzierung ist aber Aufgabe des Vereins. Beim WSV hat die Stadt das ihr Mögliche getan, nun muss der Verein seine Hausaufgaben machen. Als Oberbürgermeister werde ich aber nicht jedes Wochenende mit Fan-Schal im Stadion des WSV sein. So sehe ich mich nicht. Ein Oberbürgermeister wird für etwas anderes gewählt. Mir liegt das Wohl der ganzen Stadt am Herzen. Deshalb wäre ich als unabhängiger Oberbürgermeister, auch wenn das Konflikte mit sich bringt, immer einer, für den das Bündnis mit der Bürgerschaft oberste Priorität hat.