OB-Kandidat Schneidewind im Interview „Klimawandel ist Corona im Großen“
Wuppertal · Am 30. April beendet Professor Dr. Uwe Schneidewind nach über zehn Jahren seine Tätigkeit als Präsident des weltweit angesehenen Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Das neue Ziel des 53-Jährigen: Im September will er als gemeinsamer Kandidat von CDU und Grünen zum Wuppertaler Oberbürgermeister gewählt werden. Die Rundschau-Redakteure Roderich Trapp und Stefan Seitz sprachen mit Schneidewind über den neuen Lebensabschnitt, den Wahlkampf in Corona-Zeiten, seine Stadt-Visionen – und über Karneval. Immerhin ist der Kandidat gebürtiger Kölner ...
Rundschau: Herr Schneidewind, gestern gab es am Wuppertal Institut ihr virtuelles Abschiedssymposium. Wie geht es jetzt konkret für Sie weiter?
Schneidewind: „Ab 1. Mai nehme ich meine Professur an der Uni Wuppertal wieder auf. Ich lasse mich aber zu 50 Prozent beurlauben, damit ich Zeit für den Wahlkampf habe. Sollte sich die Kommunalwahl doch noch nennenswert verschieben, dann muss man sich die neue Situation anschauen.“
Rundschau: Auf welche Art Wahlkampf stellen Sie sich in Corona-Zeiten ein?
Schneidewind: „Wir möchten auf jeden Fall Anfang Mai den Auftakt machen – egal, ob virtuell oder live. Und zwar mit Eckpunkten zu den vier für Wuppertal zentralen Themen Wirtschaft, Lebensqualität, Bildung und Mobilität. Das soll eine Diskussionsbasis sein, die wir bis zum Sommer mit beiden Parteien so konkretisieren, dass die Wähler dann wissen, wofür sie votieren. Grundsätzlich bin ich darauf vorbereitet, auf ganz vielen Kanälen Wahlkampf zu machen, und das sehr viel stärker auch digital. Ich hoffe aber auf Lockerungen im Sommer, denn ich habe mich eigentlich sehr darauf gefreut, ganz viel mit Menschen zu sprechen und in die Stadtteile zu gehen. Wichtig ist, dass der Wahlkampf inhaltliches Niveau und eine Visitenkarte für Wuppertal ist. Die Kandidatenlage ist ja sehr gut. Dass sich so viele respektable Personen zur Wahl stellen, obwohl es in den nächsten fünf Jahren hier für einen OB bestimmt nicht leicht wird, ist ein gutes Zeichen und macht Mut.“
Rundschau: Amtsinhaber Andreas Mucke steht derzeit beim Kampf gegen Corona in vorderster Front. Fürchten Sie, dass ihm das einen besonderen Amtsbonus verschafft und die Pandemie Ihr Kernthema Klimaschutz in den Schatten stellt?
Schneidewind: „Zunächst mal: Andreas Mucke und die Verwaltung machen in dieser Krise einen tollen Job. Aber das ist natürlich auch eine parteiübergreifende Gemeinschaftsleistung eines Oberbürgermeisters und eines sehr engagierten Gesundheitsdezernenten der SPD sowie eines Stadtkämmerers als Leiter des Krisenstabes und eines Ordnungsdezernenten, die der CDU angehören. Zudem ist das Klimathema ja jetzt nicht weg. Wir haben gerade Waldbrandgefahr im April. Und sollte noch ein Jahrhundertsommer kommen, dann kann es durchaus sein, dass beide Themen parallel diskutiert werden. Der Klimawandel ist Corona im Großen mit anderen Verzögerungseffekten. Grundsätzlich ist es aber auch ein Pluspunkt von Schwarz-Grün, dass man nicht auf ein einziges Thema festgelegt ist, sondern ganz viele aus der Mitte der Gesellschaft besetzt.“
Rundschau: Apropos Schwarz-Grün: Fühlen Sie sich mittlerweile eigentlich in der Wuppertaler CDU angekommen, bei der es zuletzt ja turbulent zuging?
Schneidewind: „Ich habe das nicht als so dramatisch wahrgenommen, als Kandidat war ich ja immer eine Konstante. Der Austausch mit den Akteuren in der CDU macht unheimlich viel Spaß und beide Seiten lernen viel dazu. Es tut mir auch gut, mal aus der bisherigen Blase herauszukommen und die professionelle Parteiarbeit auf kommunaler Ebene kennenzulernen. Neulich hat mir Rainer Spiecker (Anm. der Redaktion: der ehemalige Wuppertaler CDU-Vorsitzende und Ex-Bundestagsabgeordnete) Einblicke in den Straßenwahlkampf gegeben. Da sage ich: Wow! Mich aufzustellen, war für beide Parteien ja schon ein großer Sprung. Sie merken jetzt, dass mich eine übergreifende Perspektive antreibt, die auch christlich und wirtschaftlich geprägt ist, und ich aus Überzeugung für Schwarz-Grün beziehungsweise Grün-Schwarz stehe. Ich bin schließlich selbst ökologisch eher ein Spätberufener und war bis Mitte 20 noch stramm auf dem Weg zum Manager. Deshalb kann ich mich auch gut in Leute hineinversetzen, die nie die Grünen wählen würden.“
Rundschau: Öffnet das für Sie auch Türen in der Wirtschaft?
Schneidewind: „Ich nehme viel Unterstützung aus der Wirtschaft wahr. Viele in der Wuppertaler Unternehmerschaft spüren jetzt, dass da einer ist, der auch die Sprache der Wirtschaft spricht, und dass man mit mir reden und gemeinsame Perspektiven entwickeln kann. Nehmen Sie mal den wichtigen Bereich der Autozulieferer: Es ist ja nicht so, dass wir hier in Wuppertal entscheiden, wie die Zukunft des Verbrennungsmotors aussieht. Aber vielleicht wäre es gut, jemanden an der Spitze der Stadt zu haben, der die ökonomischen und ökologischen Konsequenzen zugleich kennt und bei diesem Thema international vernetzt ist.“
Rundschau: Was für ein Typ Oberbürgermeister wäre denn Uwe Schneidewind?
Schneidewind: „Ich habe auf jeden Fall Respekt vor dem Amt in einer sich verändernden Parteienkonstellation. Aber das ist es auch, was mich an der Aufgabe besonders reizt. Einerseits muss man als Oberbürgermeister Menschen lieben und ihnen vermitteln, dass man sich um sie kümmert. Gerade in einer Krise wie jetzt. Andreas Mucke macht das gut. Aber man muss auch darüber hinaus denken. Wenn es um strategische Weichenstellungen geht, reicht das Kümmern nicht. Außerdem ist das OB-Amt eine der spannendsten Führungsaufgaben. Alleine bewirkt ein Oberbürgermeister gar nichts. Das sieht man ja zurzeit auch ein Stück weit. Die Autorität dafür muss man sich täglich neu erarbeiten. Da fühle ich mich durch die letzten 20 Jahre meines Berufslebens gut vorbereitet.“
Rundschau: Am Wuppertal Institut haben Sie sich akademisch mit Transformationsprozessen beschäftigt und über „Zukunftskunst“ geschrieben. Haben Sie keine Angst, mit Ihren Ideen an der politischen Realität und Verwaltungszwängen zu scheitern?
Schneidewind: „Wenn man lange in der Klimadebatte unterwegs war, dann hat man ja immer erklärt bekommen, was alles nicht möglich ist. Insofern staune ich gerade positiv darüber, was in der Corona-Krise machbar ist. Das Argument ‚das geht nicht’ kann man künftig also nicht mehr bringen. Es ist beispielsweise faszinierend, wie agil und dynamisch derzeit die Verwaltung arbeitet. Das sollte deren Selbstvertrauen und ihr Ansehen in der Bevölkerung heben – und künftig auch die Attraktivität der Stadt als Arbeitgeber verbessern. Und wenn wir über das wichtige Thema Mobilität reden: Der Verkehr wird sich radikal verändern. Wie eine Stadt damit umgeht, wird darüber entscheiden, wie sie wahrgenommen wird. Meine Ideen dazu möchte ich nicht als Anordnung von oben, sondern als einen produktiven Wettbewerb der Stadtteile um die besten Konzepte entwickeln.“
Rundschau: Für Pläne jeder Art braucht man vor allem auch Geld. Im Hinblick auf den Haushalt sieht es aktuell aber wieder düster aus, nachdem der Altschuldenfonds für finanzschwache Städte zwischenzeitlich schon zum Greifen nah schien. Wie stehen Sie dazu?
Schneidewind: „Den Altschuldenfonds brauchen wir auf jeden Fall. Die Diskussion muss nach der Krise, die nach meinem Eindruck die sozialen Gegensätze in Wuppertal aktuell noch verschärft, unbedingt weitergeführt werden. Deshalb müssen wir das Thema Altschuldenfonds in Bund und Land mit kraftvoller Stimme einbringen. Und Armin Laschet hat als NRW-Ministerpräsident in Berlin ja großen Einfluss.“
Rundschau: Beim Thema Berlin: Viele Leute fragen sich vielleicht, warum Uwe Schneidewind eigentlich kein überregionales politisches Amt anstrebt, sondern in Wuppertal kandidiert.
Schneidewind: „Mich hat es nie gereizt, das auf Landes- oder Bundesebene zu machen. Selbst als Wuppertal Institut sind wir langfrsitig oft einflussreicher als ein Minister, der in einem ganz kurzen Zeitfenster etwas erreichen muss. Kommunalpolitik ist Politik mit Menschen. Hier kann man konkret und vor Ort etwas bewegen. Und Wuppertal mit seinen Potenzialen entfacht in mir eine Leidenschaft, sich auch und gerade unter schwierigen Bedingungen für diese Stadt einzusetzen.“
Rundschau: Zum Schluss noch etwas ganz Persönliches: Als Oberbürgermeister müssten Sie an Karneval im Rathaus schunkeln. Das lag nicht allen Amtsinhabern im Blut. Für den gebürtigen Kölner Uwe Schneidwind aber kein Problem, oder?
Schneidewind: „Tatsächlich bin ich Karnevalsfreund, auch wenn ich in die Wuppertaler Karnevalskultur erst noch richtig eintauchen muss. In Köln haben wir eine Zeit lang direkt an der Zugstrecke gewohnt.“
Rundschau: Wieso hören wir bei Ihnen eigentlich keinen kölschen Dialekt heraus?
Schneidewind: „Meine Eltern stammen aus Sachsen und sind in 50er Jahren geflüchtet, bei uns wurde dann eher Hochdeutsch gesprochen. Aber im Herzen bin ich Rheinländer. Als ich nach Jahren in der Schweiz und Norddeutschland nach Wuppertal kam, war das erste Gefühl: Das klingt hier nach Heimat!“