Bundestagswahl 2021 Auf ein Wa(h)lnuss-Eis mit ... Anja Liebert

Wuppertal · Der Bundestagswahlkampf läuft auf vollen Touren, viel Stress für die Beteiligten. Die Rundschau beschert Kandidatinnen und Kandidaten aus dem großen Wuppertaler Wahlkreis I daher einen etwas entspannteren Termin und lädt sie in ihrem Lieblings-Eissalon auf ein „Wa(h)lnusseis“ ein. Redakteurin Nina Bossy traf die ehemalige Stadtverordnete Anja Liebert von Bündnis90/Die Grünen auf dem Barmer Werth.

Anja Liebert mit Hörnchen aus dem Eiscafé Wundertüte in Barmen.

Foto: Simone Bahrmann

Rundschau: Frau Liebert, Sie saßen 17 Jahre im Wuppertaler Stadtrat. Mehr beheimatet in einer Stadt und in der Kommunalpolitik kann man nicht sein. Warum jetzt Berlin?

Liebert: „Wir Grünen haben in Wuppertal ganz viele tolle neue Leute dazugewinnen können. Ich wollte nie zum Platzhirsch werden – ,ohne mich läuft es nicht.’ Und es gilt, neue Posten, woanders, zu besetzen. Im Landtag und im Bundestag hatten wir wirklich lange keinen Vertreter mehr. Für mich ist das jetzt ein guter Zeitpunkt, um mit meiner Erfahrung etwas Neues zu wagen. Ich hätte wirklich Spaß daran.“

Rundschau: Sie hoffen auf ein Direktmandat, gegen Helge Lindh, und belegen Listenplatz 27. Wie gut müssen Sie abschneiden, um einen Platz im Bundestag zu ergattern?

Liebert: „Die Chancen sind ziemlich gut. Ab 20 Prozent bin ich wohl dabei.“

Rundschau: Die Grünen sind von ihrem totalen Hoch zunächst abgestürzt, auf einmal kriegt die SPD Aufwind. Diese Bundestagswahl ist schon für uns als Beobachter enorm spannend. Wie haben Sie die letzten Wochen erlebt?

Liebert: „Das ständige Auf und Ab bei den Umfragen bedeutet ja, dass viele Menschen noch unentschlossen sind. Das motiviert mich, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen. Bei der letzten Bundestagswahl hatten die Grünen 8,9 Prozent, jetzt liegen drei Parteien fast gleichauf um die 20 Prozent. Das Rennen ist noch lange nicht entschieden.“

Rundschau: Wahlkampf bedeutet auch viele, viele Gespräche führen. Hat Sie im Austausch mit den Wuppertalern etwas besonders überrascht?

Liebert: „Eigentlich nicht. An Infoständen und bei Stadtteilaktionen sind die Themen bunt von Kommunalpolitik bis Bundespolitik. Der Klimaschutz bewegt aber alle und ist neben Corona das am meisten diskutierte Thema.“

Rundschau: Sie waren mit Marc Schulz als Partner unter anderem auch lange Chefin der Rastfraktion. Nun in einer neuen Rolle völlig den eigenen Platz zu finden, macht Ihnen das Sorge oder liegt hier der Reiz?

Liebert: „Da liegt der Reiz. Es tritt ein super Team in der Bundestagswahl an und ich freue mich, die Themen aus NRW, die derzeit im Bund nicht gut abgebildet werden, vertreten zu können.“

Rundschau: Welches für Wuppertal relevante Thema ist denn in den letzten Jahren auf der Strecke geblieben?

Liebert: „Die Mobilitätswende. Wir brauchen dringend Investitionen in den Öffentlichen Personennahverkehr, um die Klimaziele zu erreichen. Die Autolobby setzt nur auf andere Technik, will aber am System nichts ändern. Die Mobilität der Zukunft ist vernetzt. Die Frage muss doch sein: Wie komme ich am besten von A nach B? Derzeit lautet sie eher: Wo steht das Auto 23 Stunden am Tag ungenutzt rum?

Rundschau: Eine bundesweite Schlagzeile war der Starkregen, der auch Wuppertal schwer getroffen hat. Was kann Bundespolitik leisten, um Menschen lokal vor solchen Naturereignissen besser zu schützen?

Liebert: „Die Klimakrise ist sichtbar und spürbar bei uns angekommen und ich fühle mit den betroffenen Menschen. Wir brauchen gute Konzepte, um die weitere Versiegelung freier Flächen zu stoppen. Ein besseres Warnsystem und die zukunftsfeste Ausstattung der Hilfskräfte müssen vom Bund unterstützt werden. Das Modellprojekt ,Schwammstadt’ ist ein gutes Beispiel für vorsorgenden Schutz, dafür setze ich mich gerne auch in Berlin ein.“

Rundschau: Annalena Baerbock ist Mutter und will Kanzlerin werden. Sie hatten vor 15 Jahren schon Ihr Baby auch mal mit im Rat. Dass Mutterschaft in der Politik 2021 noch so besprochen wird, hätten Sie damit gerechnet?

Liebert: „Mein Sohn ist 2005 geboren und ja, den hatte ich auch mal im Kinderwagen in der Ratssitzung dabei. Als er älter wurde, hatten wir eine wunderbare Babysitterin, die im Ratsfraktionsbüro auf ihn aufgepasst hat. Mit Kind in der Kommunalpolitik aktiv zu sein, das hat wirklich gut geklappt. Ich finde super, wenn Frauen – Eltern generell – sich in die Politik einbringen. Die Zukunft der nachfolgenden Generation ist ein Kernthema. Expertinnen in der eigenen Sache müssen mitsprechen. Und die Zeiten, in denen ältere Männer bestimmen, was für Familien gut zu sein hat, sollten wirklich vorbei sein.“

Rundschau: Ihr Steckenpferd ist unter anderem die Verkehrspolitik. Das Verkehrsministerium wird derzeit mit Andreas Scheuer von der CSU geführt. Was wurde in dieser Zeit versäumt?

Liebert: „Es gibt so genannte Verkehrswegepläne. Und laut denen sollen Milliarden in den Ausbau von Straßen und Autobahnen fließen. Wenn die Grünen mitregieren, würden solche Investitionen auf den Prüfstand gestellt werden. Wir müssen in nachhaltigen Verkehr, wie Rad und ÖPNV, investieren, statt Autobahnen von vier auf sechs Spuren zu erweitern. In den Kommunen gibt es so wunderbare zukunftsfähige Ideen, für die das Geld fehlt. Würden wir den Hebel der Investitionen umlegen, könnte vor Ort viel bewegt werden.“

Rundschau: Angenommen, Sie ziehen in den Bundestag ein. Welche Aufgabe würde Ihnen Spaß machen?

Liebert: „Mitglied im Verkehrsausschuss zu sein, das wäre wirklich toll. Aber auch andere Themen machen mir durch die lange Zeit in der Kommunalpolitik und meiner Arbeit im Jobcenter Spaß: Wohnen, Städtebau – da finde ich mich auch wieder.“

Rundschau: Aufbruch bedeutet auch zurückzulassen. Was werden Sie vermissen?

Liebert: „Ich sitze ja schon seit September nicht mehr im Rat. Und mir fehlt das Gespräch. Die Sorgen und Nöte der Verwaltung zu hören, die Debatten im Rat. Und auch mit einem CDU-Mitglied über Verkehrspolitik zu sprechen und mich auszutauschen, um auch diese Argumente und Gewichtungen zu kennen. Ich habe immer versucht, nicht unsere Idee durchzubekommen, sondern wirklich die beste Idee. Wenn ich nach Berlin gehe, werde ich mich dort dann für das Beste für Wuppertal einsetzen. Und so diese Kontakte halten.“

Rundschau: Und auf was würden Sie sich am meisten freuen?

Liebert: „Neue Leute und diese riesengroße Grünen-Fraktion kennenzulernen. Und an Koalitionsverhandlungen nah dran zu sein, zuarbeiten zu dürfen – das stelle ich mir unglaublich spannend vor.“

Rundschau: Wuppertal und Berlin. Was haben diese beiden Städte für Sie gemeinsam?

Liebert: „In kürzester Zeit kann ich innerhalb einer Stadt in eine neue Welt eintauchen. Das haben längst nicht alle Städte. Wuppertal und Berlin haben beide diese Vielfalt. Das gefällt mir.“