Vor Gericht Das tragische Ende einer großen Liebe
Wuppertal / Remscheid · Nur mühsam konnte er die Fassung wahren. Seine Frau ist tot – und er muss ohne sie weiterleben. Das ist das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Auf dem Weg von Remscheid nach Wuppertal, so der Polizeibericht, war der Angeklagte auf gerader Strecke mit 80 km/h plötzlich nach rechts gegen einen Alleebaum gefahren.
Die Airbags des Mercedes hatten zwar den Fahrer aufgefangen, aber seine damals 77-jährige Frau, die auf dem Beifahrersitz mehr lag als saß, rutschte unter dem Airbag durch. Dabei zog sie sich schwere Verletzungen zu, an denen sie in der Folge durch multiples Organversagen starb. Soweit die dürren Fakten.
Die Geschichte dahinter zeigt nicht nur einen Mann, der seit mehr als 60 Jahren unfallfrei mit dem Auto unterwegs war. Viel wichtiger: Er war ausnehmend glücklich verheiratet – es gab nichts, was er in den 52 Jahren seiner Ehe nicht mit seiner Gattin unternommen und geteilt hatte. Es schien keinen Grund zu geben, als zufriedener Rentner mit eigener Wohnung das Leben als Belastung zu empfinden. Hätte nicht bereits im Jahre 2009 seine Frau nach dem Gang zum Zeitungskiosk nicht mehr nach Hause gefunden – ein beunruhigendes Symptom für eine sich stetig verstärkenden Demenz.
Medikamente brachten keine Besserung, mehrere Jahre pflegte und behütete der Angeklagte seine Frau in der Wohnung. Einen Pflegedienst wollte er ihr und sich in ihrer Privatheit nicht zumuten. „Er konnte sie keine Minute allein lassen“, sagte eine Zeugin vor Gericht. Als sie später auch noch bettlägerig wurde, blieb den beiden nichts anderes übrig, als professionelle Hilfe anzunehmen. Erst wurde sie im Tannenhof aufgenommen – später dann, als sie ihn schon nicht mehr erkannte, wurde sie in eine geschlossene Einrichtung nach Aprath verlegt. Ihr Mann, rührend besorgt, besuchte sie jeden Tag. Und das, ohne sich von ihrem Niedergang in eine graue Welt abschrecken zu lassen. Dass sie ihm längst entglitten war, sah er nicht als Grund, die Fürsorge einzuschränken. Er ließ sie in einen Rollstuhl heben und ging mit ihr, im Sommer wie im Winter, stundenlang spazieren in der Hoffnung, ihr etwas Gutes zu tun.
Erst als sie nicht mehr schlucken konnte und eine künstliche Ernährung über eine Sonde unausweichlich schien, sah er in seiner Verzweiflung nur noch eine Erlösung: gemeinsam in den Tod zu gehen. Denn weiterleben ohne sie war für ihn nicht vorstellbar. Genauso wenig wie die drohende, würdelose Versorgung seiner großen Liebe, deren Seele er schon lange nicht mehr erreichen konnte.
In einer anonymen Garagenanlage in Lennep, in der Nähe des Schwimmbads, hatte der Angeklagte in seiner Hoffnungslosigkeit eine Garage angemietet, in der er und seine Frau durch Autoabgase hätten sterben sollen. Auch sonst hatte er – bei den Nachbarn bekannt für gradlinige Organisation und Ordnungsliebe – an fast alles gedacht. Briefe und Verfügungen lagen im penibel aufgeräumten Wohnzimmer, Geldspenden für Betreuerinnen seiner Frau fanden sich an deren Scheibenwischern.
Im Auto war sogar ein Entschuldigungsbrief mit einer Geldspende für das Rettungsteam, das beide irgendwann finden würde. Mit den letzten Freunden, die ihnen treu geblieben waren, hatte er nie über seinen Plan gesprochen. Sie hatten inmitten seiner Fürsorge auch nichts bemerkt.
Es fanden sich später hilflos flapsige Schreiben in der Wohnung, dass man sie nicht suchen solle, sie wären auf dem Jakobsweg. Und es gab versteckte Andeutungen wie "Kriegskinder verabschieden sich". die zeigten den verzweifelten Wunsch, am liebsten spurlos, auf jeden Fall gemeinsam verschwinden zu wollen.
Der Hausmeister der Garagenanlage allerdings war misstrauisch geworden durch Geräusche, die der Mieter in der Garage durch Abdichtungsarbeiten verursachte. Das Öffnen des Garagentores durchkreuzte den Plan. Während der Hausmeister die Polizei alarmierte, weil er die emotionale Ausnahmesituation erkannt hatte, fuhr der Angeklagte davon in Richtung Beyenburg. Hier sah er nur noch die Möglichkeit, seinen Plan durch einen frontalen Aufprall auf einen Baum abzuschließen.
Die Wirksamkeit der Sicherheitseinrichtungen im Auto hatte er allerdings unterschätzt, deshalb hat er überlebt. Nach dem Tod seiner Frau hat sich in seinem Leben nicht viel geändert. Der Kummer ist geblieben wie auch seine Zweifel - die innere Verbindung zu seiner Frau überstrahlt noch immer alles. Seinen täglichen Gang zum Grab beschreibt er schlicht: "Ich gehe zu Rosi."
Nun wird das Gericht zu entscheiden haben, wie die Schuld des Angeklagten zu bewerten ist.