Rundschau-Thema "Mehr Wuppertal wagen!" Tun, was nötig ist - und mehr
Wpperal · Eine Stadt kann ihr Gesicht architektonisch, landschaftlich, künstlerisch zeigen — oder menschlich. Als im Herbst die Flüchtlingszahlen drastisch nach oben schnellten, hat Wuppertal sich sozial neu erfunden.
Das menschliche Gesicht dieser Stadt — ihrer Hauptamtlichen und ihrer Ehrenamtlichen — lenkte auch bundesweite Blicke auf das "Wagnis Willkommenskultur".
3.000 und mehr Menschen sind 2015 als Flüchtlinge nach Wuppertal gekommen. Vier Jahre zuvor waren es gerade einmal 270. Während anderswo in Deutschland einerseits unter der "Last" der Neuankömmlinge medienwirksam gestöhnt wurde, oder den Menschen gar nackter Hass und (Feuer-)Gewalt entgegenschlugen, ist in Wuppertal einfach gemacht worden, was nötig war. Und mehr.
Schnell war klar, dass das seit Jahren schon gut funktionierende "Wuppertaler Modell", Flüchtlinge in eigenen Wohnungen und, wenn möglich, nicht in größeren oder gar richtig großen Heimen unterzubringen, jetzt nicht mehr ausreichend Platz zur Verfügung stellen konnte. Trotz viel Wohnungsleerstand, trotz vieler engagierter Privatvermieter.
Die plötzlich und kaum planbar von der Düsseldorfer Bezirksregierung unter dem Motto "Amtshilfe" nach Wuppertal geschickten vielen Busse mit stets 100 bis 200 Menschen aus insgesamt elf Ländern der Welt — auf diese Herausforderung musste mit Turnhallen reagiert werden.
Welchen Druck das für die Verwaltung bedeutet hat, davon ist kaum etwas nach außen gedrungen. Im Ressort für Zuwanderung und Integration sind alle an ihre Grenzen gegangen — und darüber hinaus. Hier haben, und zwar über Wochen sowie an sieben Tagen jeder dieser Wochen, eine Menge Menschen aus der Verwaltung, denen eine Menge Bürger stets gern reflexartig Trägheit & Co. unterstellen, gezeigt, dass sie ganz anders sind — und ganz anders können.
Zusammen mit unzähligen Ehrenamtlern sind alle Unterbringungsaktionen reibungslos gelaufen. "Mehr Wuppertal wagen": Hier haben Stadt(-Verwaltung) und Bürger zusammengearbeitet, sich nahtlos ergänzt. Das bedeutete aber nicht, Probleme unter den Tisch zu kehren: Bei jeder der Bürgerversammlungen, die die Stadt sofort organisierte, wenn irgendwo in Wuppertal eine neue Flüchtlingsunterkunft eröffnet werden musste, sind Sorgen und Ängste erfragt und gehört worden. Informationen wurden geliefert, Hintergründe und Zusammenhänge wurden erklärt, Ansprechpartner standen (und stehen) zur Verfügung.
Nein, nicht alles ist sofort glatt gelaufen. Nicht nur die Bundes- und Landesbürokratie hat sich als knirschend überlastet und de facto komplett veraltet gezeigt. Auch die Stadtbürokratie, die nach dem Motto "den Letzten beißen die Hunde" die Vor-Ort-Lasten zu tragen hatte, kam auf dem Höhepunkt der Flüchtlingszuwanderung ins Schlingern. Und die Bürger, deren Spendenbereitschaft alles Erwartete in den Schatten stellte, brauchten Geduld, bis funktionierende (Internet-)Informationen für die Frage, wo man was und wann abgeben kann, zur Verfügung standen. Aber der Reflex, "die anderen" als Schuldige zu suchen oder zu lamentieren, "die anderen" müssten helfen, hat nicht stattgefunden. Wuppertal hat gemacht, was nötig war. Und mehr.
Das blieb nicht unbemerkt: Am 22. Oktober schrieb "Die Zeit" nach einer Befragung der 30 größten deutschen Städte zum Thema Flüchtlingsprobleme: "Deutschland braucht mehr Wuppertal."
Dazu passt, dass NRW die Finanzierung aller seiner Kommunen in Sachen Flüchtlinge erhöht hat: Für Wuppertal wird es 2016 voraussichtlich fast 36 Millionen Euro zusätzlich geben. Aufgaben stehen noch genug an: Die hohen Zuwanderungszahlen bleiben, die fünf Wuppertaler Großgebäude werden unverändert gebraucht. Und das Umziehen geflüchteter Menschen in normale, überall auf die Stadt verteilte Wohnungen wird weiterhin unauffällig und unaufgeregt laufen. Viele Wuppertaler würden sich wundern, wie viele Flüchtlinge nur wenige Meter entfernt von ihnen ganz selbstverständlich wohnen ...
Übrigens: Das "andere" Gesicht hat sich auch gezeigt — und Wuppertal hat reagiert. Bei einer von Rechtsextremen organisierten Anti-Asyl-Kundgebung in Heckinghausen standen am 5. September den etwa 50 Fremdenfeinden rund 600 Menschen gegenüber, die Ja zur Wuppertaler Willkommenskultur sagten — inklusive aller damaligen demokratischen OB-Kandidaten.