Telefonseelsorge Wuppertal „Schreib es dir von der Seele“

Wuppertal · Nicht nur reden, auch schreiben tut der Seele gut. Jens-Christian Maschmeier von der Wuppertaler Telefonseelsorge bietet deshalb den Austausch per Mail an.

Jens-Christian Maschmeier.

Foto: Sabine Damaschke

Es ist ein Unterschied, ob wir reden oder schreiben. Wie macht sich das in der Mailseelsorge bemerkbar?

Maschmeier: „Die Anonymität in der Mailseelsorge ist noch größer als am Telefon, denn beim Mailkontakt fällt auch die Stimme weg und damit die Möglichkeit wahrzunehmen, wie es denjenigen, die uns mailen, momentan geht. Mailseelsorge ist also noch einmal niedrigschwelliger als der Telefonkontakt. Hinzu kommt, dass unmittelbare Reaktionen, wie sie am Telefon möglich sind, fehlen. Dadurch entsteht Distanz, die aber paradoxerweise zu einer größeren Offenheit und Intensität bei den Menschen führt, die uns mailen. Die Themen, die sie ansprechen, sind ähnlich wie am Telefon, aber sie werden in aller Regel viel schneller und direkter geäußert.“

Wer nutzt die Möglichkeit der Mailseelsorge?

Maschmeier: „Aus der Statistik der Telefonseelsorge Deutschland wissen wir, dass es überwiegend Menschen im Alter zwischen 20 und 40 Jahren sind. Interessanterweise greifen jüngere Leute bis 19 Jahre wieder öfter zum Hörer und ältere tun es ohnehin. Suizid ist ein wichtiges Thema, das die Mailseelsorge betrifft: Im Jahr 2022 ging es deutschlandweit in etwas mehr als ein Drittel der Mails um Suizidalität. Menschen, die Selbstmordgedanken oder -absichten haben, äußern sie in der Regel auch, was in ihrem unmittelbaren Kontext häufig überhört wird. So bleiben sie allein.

Die Mailseelsorge bietet hier einen Raum, gehört, gesehen und verstanden zu werden. Aus Erfahrung wissen wir: Kontakt und Beziehung wirken antisuizidal. Weitere Themen, über die offen geschrieben wird, sind Einsamkeit und Depressionen, Ängste und Konflikte in Familie und Partnerschaft. Es gibt letztendlich nichts, worüber nicht geschrieben wird.“

Seelsorge per Mail ist anspruchsvoll. Manchmal hilft auch ein Blick ins Handbuch.

Foto: Sabine Damaschke

Welche Hilfe erwarten die Menschen von den Mailseelsorgerinnen und -seelsorger?

Maschmeier: „Viele nutzen die Mailseelsorge in erster Linie, um sich ihren Kummer von der Seele zu schreiben und sich mitzuteilen. Schon das Schreiben tut der Seele gut. Wer ein Tagebuch nutzt, kennt das. Manchmal kommt dann die Frage, ob das, was sie fühlen und denken, noch ,normal‘ ist.

In der Mail – wie auch der Telefonseelsorge – stellen wir einen Raum zur Verfügung, in dem alles ausgesprochen werden darf. Wir hören zu, nehmen die Menschen ernst, fragen nach, um dann, wenn das gewünscht wird, gemeinsam weiterzusehen, was möglich ist, damit sie ihr Leben nicht mehr als so belastend empfinden. Viele Probleme sind aber auch gar nicht lösbar, schon gar nicht auf Anhieb. Problemlösung ist auch nicht unser erstes Ziel. Wir bieten Kontakt, Beziehung und Resonanz. Wir halten gemeinsam mit den Ratsuchenden Situationen aus, die schwer auszuhalten sind. Wir stellen uns an ihre Seite.“

Einen Dialog per Mail hinzubekommen, ist sicher nicht so einfach. Das geschriebene Wort hat ein anderes Gewicht als das gesprochene Wort.

Maschmeier: „Das ist richtig. Das gesprochene und das geschriebene Wort bieten jeweils unterschiedliche Möglichkeiten der Begegnung und des Kontakts. Anders als am Telefon gibt es ja eine zeitliche Distanz zwischen den einzelnen Mails und damit keine direkte Reaktion. Das können die Seelsorgerinnen und Seelsorger nutzen, indem sie sich Zeit nehmen und schauen, was die Mail mit ihnen macht, was das eigentliche Anliegen der Ratsuchenden ist, etc. Wir nehmen uns auch deshalb Zeit bei der Beantwortung, weil eine einmal abgeschickte Mail nicht zurückgenommen und ,korrigiert‘ werden kann, zumindest nicht unmittelbar.

Um in Kontakt zu kommen und in einen Dialog zu treten, fragen wir, was ihr Anliegen ist und was sie brauchen, wir versichern uns immer wieder, ob wir die Mailerinnen und Mailer richtig verstehen und fragen, ob sie mit unseren Gedanken etwas anfangen können. So entsteht in der Regel von ganz allein ein Dialog.“

Es dauert eine Zeit, Mails hin- und herzuschreiben. Wie lange stehen Sie im Kontakt mit den Menschen, die sich an Sie wenden?

Maschmeier: „In Wuppertal gibt es mittlerweile acht Mailseelsorgerinnen und -seelsorger. Die E-Mails gehen an eine bundesweite Adresse. Aus diesem Pool nehmen wir uns Erstmails heraus, die wir innerhalb von maximal 72 Stunden beantworten, wenn möglich natürlich auch schneller.

In vielen Fällen entwickelt sich ein persönlicher Mailkontakt, der durchaus länger dauern kann. Unsere Seelsorger:innen schreiben übrigens unter einem Nicknamen. Ihr Geschlecht geben sie dadurch preis, ansonsten bleiben sie aber – wie in der Telefonseelsorge auch – anonym.“

Wie hoch ist das Interesse an der Mailseelsorge?

Maschmeier: „Im vergangenen Jahr sind etwa 41.500 Mails bei der Telefonseelsorge Deutschland eingegangen, in Wuppertal hatten wir mit fünf Ehrenamtlichen 463 Mailkontakte. Angesichts dessen, dass die Mailseelsorgerinnen und -seelsorger in Wuppertal die Mails zusätzlich zu ihrem Telefondienst beantworten, ist das eine beachtliche Anzahl. Der Bedarf ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.

Bundesweit gibt es unter den 105 Telefonseelsorge-Stellen mittlerweile 51, die neben der Telefonseelsorge Mailseelsorge anbieten. Wieder andere Stellen bieten auch Seelsorge per Chat an. In Wuppertal ist es unser Ziel, die Mailseelsorge auszubauen. Ich schaue gerade, ob es an unseren Hochschulen interessierte Studierende gibt, die sich verstellen können, nach einer intensiven Schulung Mailseelsorge für sich zu entdecken.“