Hofkooperativen und Solawis Retter der Landwirtschaft?

Wuppertal · Jeden Donnerstag kommt Rowena Verst mit einer Kiste Gemüse und frischen Milchprodukten nach Hause. Das Gemüse stammt von ihrem Anteil an der solidarischen Landwirtschaft auf Hof Vorberg im Windrather Tal.

Frischer geht es nicht: Das Gemüse in Rowena Versts Kiste wuchs morgens noch auf dem Feld.

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Zwei Zahlenschlösser sichern die Verteilstelle der Hofkooperative Vorberg. Das erste hängt an der eisernen Gartenpforte rechts neben dem Haupteingang des Loher Bahnhofs. Das zweite Schloss sichert die Tür zum Kellerraum, in dem sich grüne Kisten voller Kartoffeln, Zwiebeln, Fenchel und Spitzkohl stapeln.

Wenn Rowena Verst am Donnerstagnachmittag zur Verteilstelle kommt, sind die Schlösser meist schon geöffnet. Irgendwer ist immer schon da. In dieser Woche ist es ihre Freundin Jasmin Mestermann. Zusammen mit Rowenas Mitbewohnerin teilen sich Rowena und Jasmin zwei Ernte-Anteile der Hofkooperative. Jeden Donnerstag können sie frisches Gemüse, Milch, Joghurt und Käse von ihrer Verteilstelle abholen.

Rowena Verst nimmt sich Milch, Joghurt, Frischkäse und Käse aus dem Kühlschrank. In der nächsten Woche muss sie die leeren Gläser wieder mitbringen.

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Schwarze Schilder an den grünen Kisten verraten, wie viele Fenchelknollen und wie viel Gramm Kartoffeln und Zwiebeln sie in dieser Woche erhalten. Heute sind es 500 Gramm Kartoffeln, eine Fenchelknolle und zwei dicke Zwiebeln. Daneben gibt es Tomaten, Gurken, Zucchini, Petersilie, Mangold, Spitzkohl, Bohnen und Eier. Wenn Rowena eine Gemüsesorte nicht braucht, legt sie ihren Anteil in die Geschenk-Kiste. Die anderen können sich daran bedienen.

Fünf Eier pro Anteil dürfen die Abholer an diesem Donnerstag in ihre Eierkartons stecken.

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Aus dem Kühlschrank nimmt sich Rowena einen Liter frische Milch und Joghurt. Mit Jasmin feilscht sie um den Käse. "Möchtest du den Camembert?", fragt sie. Jasmin nimmt den Camembert, Rowena isst lieber Brie. In selbst mitgebrachten Tüten und Kartons sammeln die beiden ihr Gemüse. Eine Waage steht zum Abwiegen bereit. "Das Zusammensuchen kommt einem schon recht lange vor. Aber im Supermarkt geht es auch nicht schneller." Vor der Tür warten schon die nächsten Anteil-Besitzer. Der Kellerraum ist zu eng für alle. Zum Schluss klippen Rowena und Jasmin ihre Wäscheklammern von der "Ich komme noch"-Leine an die "Ich war schon da"-Leine. Dann nehmen sie ihre Tüten und Kisten und verlassen den Keller.

Das Konzept, nach dem Rowena Verst und Jasmin Mestermann jeden Donnerstag frisches Gemüse bekommen, nennt sich solidarische Landwirtschaft. Gemüse und Milchprodukte stammen vom Hof Vorberg, auf dem sich Anfang 2018 eine solidarische Landwirtschaft, kurz Solawi, mit 120 Ernteanteilen gegründet hat. Der durchschnittliche Preis pro Anteil beträgt ungefähr 140 Euro im Monat. Da die Verteilung solidarisch organisiert ist, kann jeder Anteil-Besitzer so viel geben, wie er möchte. In einer Bieterrunde im Januar wurden anonym Gebote abgegeben. Rowena und ihre beiden Freundinnen zahlen etwas über 140 Euro pro Anteil. Für sie ist der Preis absolut gerechtfertigt. "Ich hätte am Anfang nicht gedacht, dass wir jede Woche so viel Gemüse erhalten", sagt Rowena Verst.

Die Hofkooperative Vorberg liegt in Velbert im Windrather Tal, zehn Autominuten hinter Wuppertals Stadtgrenze. Dort befindet sich die größte Verteilstelle. 45 Ernteanteile werden direkt am Hof abgeholt. Am Loher Bahnhof sind es 23 Anteile. Die restlichen verteilen sich auf die Ausgabestellen am Arrenberg und in Langenberg.

Ab 15 Uhr wird es rummelig auf dem Hof. Die ersten Anteil-Besitzer sind schon da und stapeln die grünen Kisten. Weitere Abholer kommen mit dem Auto oder dem Fahrrad die unbefestigte Straße zum Hof entlang gerumpelt. Zwei Kinder beschriften die schwarzen Schilder und klemmen sie an die Kisten, damit jeder weiß, wie viel er mitnehmen darf. Helga Jacobi koordiniert den Aufbau der Gemüsekisten. Sie ist eine der fünf Betriebsleiter des Hofes. Alle fünf haben bereits in Solawis gearbeitet und sind seit einem Jahr Pächter des Hofs Vorberg: 35 Hektar Land, 15 Milchkühe und eine Käserei. "Morgens wird geerntet und am Nachmittag holen die Leute ihr Gemüse ab. Das gibt es nirgendwo frischer", sagt Helga Jacobi.

Über 30 Menschen stehen bereits auf der Warteliste für einen Ernteanteil. Mehr als 120 Anteile möchte die Hofkooperative aber zurzeit nicht vergeben. "Wir wollen erstmal sehen, wie es anläuft und die Menschen kennenlernen, die Teil der Kooperative sind." Jeder, der einen Anteil besitzt, kann beim Ernten helfen, aber niemand ist verpflichtet. Gerade im Sommer fällt die Ernte recht üppig aus. "Die Fülle des Sommers", sagt Helga Jacobi.

Die Einmach-AG kümmert sich darum, dass der Überschuss an Tomaten und Zucchini nicht verkommt und im Winter als Eingemachtes in den Kisten und Beuteln der Abholer landet. "Bei der solidarischen Landwirtschaft ist die Vermarktung bereits erledigt. Alles was reif ist, wird auch gegessen", erklärt sie den Vorteil einer Solawi und ergänzt: "Viele Höfe machen dicht. Solidarische Landwirtschaft ist eine gute Alternative."

Rowena Verst trägt ihre Gemüsekiste zum Auto. In ihrem Jutebeutel klimpern Milchflaschen und Joghurt-Gläser. "Durch meinen Ernteanteil lerne ich, was gerade Saison hat und esse viel abwechslungsreicher", sagt sie. Als vor einigen Wochen ganze Schoten dicker Bohnen in den Kisten im Keller des Loher Bahnhofs lagen, musste Rowena Verst erstmal nachschauen, wie sie die Bohnen zubereiten muss. Wenn sie es nicht schafft, das Gemüse innerhalb einer Woche zu essen, verschenkt sie es an Freunde.