Interview Nahost-Konflikt: Angespannte Situation am Berufskolleg

Wuppertal · Silvia Schaake und Thomas Rössler-Schaake haben in Israel gelebt und unterrichten jetzt am Berufskolleg Religion. Im Interview sprechen sie über die angespannte Situation in der Schule seit dem Hamas-Angriff.

Thomas Rössler-Schaake.

Foto: Schaake

Silvia Schaake unterrichtet am Berufskolleg Elberfeld und Thomas Rössler-Schaake zusätzlich am Berufskolleg am Haspel evangelische Religion. Der Anteil an muslimischen Jugendlichen im Religionsunterricht ist sehr hoch, er liegt je nach Klasse bei rund 80 Prozent. Das Pfarrerehepaar hat in den 1980er Jahren für ein knappes Jahr in Israel gelebt und danach das Land mehrfach bereist. Zuletzt waren die beiden 1996 für einen Schüleraustausch in der Nähe von Tel Aviv unterwegs.

Im Interview berichten Silvia und Thomas Rössler-Schaake davon, wie die Schülerinnen und Schüler auf den Hamas-Terror und die Situation in Israel reagieren. Und wie sie mit ihnen ins Gespräch kommen können.

Silvia Schaake.

Foto: Schaake

Wie erleben Sie aktuell die Situation in Ihren Klassen? Ist der Angriff auf Israel Thema?

Silvia Schaake: „Ein Teil der Schülerinnen und Schüler mit europäischem Familienhintergrund hat vom Konflikt relativ wenig mitbekommen. Ein anderer kleinerer Teil nimmt den Konflikt wahr und äußert sich ablehnend gegenüber dem Terror. Dabei wird verbal vermieden, sich auf eine Seite des Konflikts zu stellen.“

Thomas Rössler-Schaake: „Von allen rund 340 Schülerinnen und Schüler, die ich unterrichte, hat sich niemand vor der jeweiligen Schulklasse auf die Seite Israels gestellt. Vor allem unter den muslimischen Schülern ist die Situation sehr aufgewühlt, es spielen sehr viele Emotionen mit.

Insbesondere die Schülerinnen und Schüler mit migrantischem Familienhintergrund (Türkei/Syrien/Irak/ Iran) beziehen Positionen für die Palästinenser, ohne vorher den Terror der Hamas zu benennen. Da höre ich Sätze wie: ,Israel hat ja den Palästinensern das Land gestohlen. Es ist doch klar, dass diese sich das Land mit Gewalt zurückholen wollen.‘ Oder: ,Dass Israel Unschuldige im Gazastreifen tötet, ist ein Verbrechen‘, ,Israel bombardiert Krankenhäuser und bringt Zivilisten um‘, „Mit den Palästinensern macht Israel das, was die Deutschen mit ihnen gemacht haben‘.

Ein kleiner Teil der Schülerinnen und Schüler, meist mit palästinensischem Familienhintergrund, widerspricht mir, wenn ich den Staat Israel erwähne: ‚Israel gibt es nicht, das heißt Palästina.‘“

Also gibt es keine Solidarität oder Verständnis für Israel?

Thomas Rössler-Schaake: „Kaum. Die Schülerinnen und Schüler verstehen meist nicht, warum sich Deutschland mit Israel solidarisiert und dass das natürlich auch mit dem Holocaust zusammenhängt. Sie können es zum Beispiel nicht nachvollziehen, dass Bundeskanzler Scholz nach Israel gereist ist und sich an die Seite des israelischen Premiers gestellt hat.

Mein Eindruck ist, dass viele der Schülerinnen und Schüler sich im Rahmen des Schulunterrichts nicht äußern, weil sie wissen, dass der deutsche Staat sich auf die Seite Israels gestellt hat. Manche formulieren ihr Unverständnis: ,Dass der Bundeskanzler Scholz eine Kippa trägt, ist doch übertrieben.‘“

Wissen Sie, wo sich die Schülerinnen und Schüler über den Konflikt informieren?

Silvia Schaake: „Als Informationsquelle geben die Schülerinnen und Schüler Social Media an: TikTok und Instagram. Dabei wissen einige, wie problematisch das sein kann: ,Ich weiß zwar, dass man das alles nicht glauben sollte, aber Nachrichten schaue ich nicht. Zeitungen lese ich ebenfalls nicht.’

Eine Nachricht auf TikTok, dass in Berlin ein 13-jähriger Palästinenser durch die deutsche Polizei erschossen wurde, wurde in der Klasse als Tatsache dargestellt. (Diese Nachricht wurde auf TikTok verbreitet und war nachweislich ein Fake.) Die Zerstörung des Krankenhauses in Gaza wurde als gezieltes Verbrechen Israels beschrieben, niemand traute sich, den Wahrheitsgehalt dieser Nachricht in Zweifel zu ziehen.“

Thomas Rössler-Schaake: „Bei den Schülerinnen und Schüler herrscht meist wenig Wissen, was die Verhältnisse in Gaza und im Westjordanland angeht. Sie betrachten den Konflikt mit einer schwarz-weißen Brille.“

Spüren Sie eine Grundaggression unter den Schülerinnen und Schüler und haben Sie Sorge im Unterricht, über Israel und den Angriff der Hamas zu sprechen?

Thomas Rössler-Schaake: „Ich werde nicht als Feind angesehen und von daher richtet sich die Aggression nicht gegen mich persönlich. Ich denke auch, dass es sehr geschätzt wird, dass ich in meinem Reli-Unterricht viele muslimische Themen behandle, dass ich mich im Islam auskenne, diesen achte und respektiere.

Wichtig ist mir, dass im Unterricht eine offene Gesprächskultur herrscht, dass wir die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum, Judentum und Islam herausarbeiten. Ich nehme war, dass diese Haltung von den Schülerinnen und Schüler sehr geschätzt wird.

Sie wissen auch, dass meine Frau und ich in Israel gelebt haben. Aber ich dränge die Themen nicht auf, wenn ich spüre, dass die Stimmung aufgeheizt ist. Ich sage offen, dass der Konflikt mich emotional angreift und warte dann ab, ob von Seiten der Schüler Fragen kommen. Ich mache ein Angebot, darüber zu spreche.

Und ja, manchmal entwickelt man Ängste: An der Radikalität der Äußerungen einzelner Schüler kann man als Lehrer spüren, dass beim Gegenüber durchaus auch eine gewisse Gewaltbereitschaft herrschen kann.“

Silvia Schaake: „Für uns ist es manchmal schwer, diese Diskussionen zu führen, gerade weil uns unsere Zeit in Israel sehr geprägt hat. Und dabei vor allem die Frage: Was ist Theologie nach Auschwitz. Aber in nicht aufgeheizter Unterrichtssituation unterscheiden die muslimischen Schülerinnen und Schüler in guter Weise, zwischen dem Judentum als Religion und der Politik Israels.“