Interview zum Thema "Sterbehilfe" mit Pfarrer Dr. Jochen Denker Kein kategorisches "Nein"

Die Diskussion um die Sterbehilfe ist in vollem Gang. Auch innerhalb der Kirchen. Die Rundschau sprach mit Pfarrer Jochen Denker aus Ronsdorf. Er wirbt für eine differenzierte Betrachtung.

Muss nicht jeder für sich am Ende selbst entscheiden können, wie er mit seinem Leben umgehen will?

Denker: Das ist zu kurz gegriffen. Das Thema betrifft eben nicht nur jeden Einzelnen, sondern oft ganze Familien und letztlich eine ganze Gesellschaft und ihre Einstellung zur Würde und dem Wert des Lebens.

Aber in vielen Fällen ist ein würdevoller Abschied aus dem Leben kaum noch möglich.

Deshalb müssen wir Möglichkeiten schaffen, bis zu einem natürlichen Ende in Würde leben zu können. Die Palliativmedizin muss weiterentwickelt werden. Es braucht mehr Aus- und Fortbildung in den Alten- und Pflegeheimen und die Hospizarbeit, ob stationär oder ambulant, muss weiter ausgebaut werden. Hier ist noch viel Luft nach oben. Als Gesellschaft müssen wir entscheiden, was es uns auch finanziell "wert" ist, dass Sterbenskranke und Sterbende mit ihren Angehörigen professionell und einfühlsam begleitet werden. Solange das nur durch massiven Einsatz von Spendenmittel gelingt, ist noch was faul im Staate Deutschland.

Wenn es ans Ende geht, wird der Wunsch nach Beihilfe zum Sterben doch oft geäußert. Und durchaus aus freien Stücken.

So frei ist der Wille gar nicht! Unser Wille reagiert ja auf Erfahrungen oder Befürchtungen. Wenn ich weiß, dass mir nach menschlichem Ermessen Schmerzen genommen werden können, bei über 95 Prozent der Menschen gelingt das nach Auskunft von Medizinern, wenn ich weiß, dass ich im Sterben nicht allein gelassen werde, meine Familie wirksame Unterstützung bekommt und nicht an meinem Leiden mit kaputtgeht, wenn ich weiß, dass ich nicht künstlich am Leben gehalten werde, dann verändert sich vielleicht auch mein Wille im Blick auf mein Sterben. In einer Diskussion sagte jemand: "Ob ich mal dahin komme, dass ich 'Sterbehilfe‘ möchte, weiß ich nicht. Aber in jedem Fall möchte ich nicht Opfer von 'Sterbeverhinderung‘ werden."

Fürchten Sie denn bei der Diskussion um Sterbehilfe die Gefahr eines "Dammbruchs"?

Ein wenig schon. Ich frage mich aber zur Zeit eher, was passiert, wenn der Damm dicht ist, aber die Menschen dahinter ertrinken? Deshalb müssen wir auch die andere Seite im Blick haben.

Welche Möglichkeiten haben Sie als Pfarrer denn dabei?

Wenn Menschen den Eindruck haben, zum Leben verdammt zu sein, wenn es ihnen zum Fluch wird, dann darf ich nicht stumm stehen bleiben. Mancher sucht nach einer "Exit-Strategie", braucht einen "Notausgang", den er gehen könnte, wenn die Angst vor unerträglichen Schmerzen und Einsamkeit zu groß wird. Da möchte und kann ich mich als Pastor nicht"in die Büsche schlagen" und sagen: "Das ist verboten! Dein Wunsch ist unrecht!" Ein Sterbewunsch sollte dann allerdings unbedingt zusammen mit den Angehörigen, soweit vorhanden, besprochen sein, denn die müssen damit weiterleben! Das Sterben ist eben nicht nur "Privatsache".

Und wie sollte der Gesetzgeber reagieren?

Damit man sich nicht zum Teil dubiosen "Sterbehilfevereinen" mit auch wirtschaftlichen Interessen anvertrauen muss, ist eine gesetzliche Regelung dieser Frage unbedingt notwendig. Die kann kein kategorisches "Nein" sein, weil am Ende "der Markt" doch seine eigenen Gesetze machen wird.

Damit wären dann alle Fragen gelöst?

Nein, das betrifft ja nur die Rahmenbedingungen. Wichtiger ist mir, wie wir unsere Gesellschaft so verändern, dass wir das Leben mit Vergänglichkeit, Hilfsbedürftigkeit und Sterben lernen. Das bedeutet auch: Angst aushalten, nicht weglaufen, wenn etwas unerträglich wird und sich der eigenen Hilflosigkeit stellen. Dabei zu helfen, dass Menschen aufrecht und verantwortlich leben und getröstet sterben, das ist für mich der Auftrag der Kirche.

(Rundschau Verlagsgesellschaft)