Familienunternehmen Jackstädt Ein lokal verwurzelter Weltkonzern aus Wuppertal
Wuppertal · In der Reihe „Jahr100Wissen“ beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Bergischen Universität mit 100 Jahre zurückliegenden Ereignissen, die die Gesellschaft verändert und geprägt haben.
Im April 1920 gründete Wilhelm Jackstädt die Feinpapiergroßhandlung Jackstädt in Wuppertal. Prof. Dr. Christine Volkmann, Lehrstuhlinhaberin für Unternehmensgründung und Wirtschaftsentwicklung, blickt im „Jahr100Wissen“-Interview auf die Entwicklung des Unternehmens zurück und erklärt, welche Rolle Sohn Werner Jackstädt auch heute für Gründer*innen aus dem Bergischen einnimmt.
Vor genau 100 Jahren gründete Wilhelm Jackstädt in Wuppertal eine Feinpapiergroßhandlung, die sein Sohn zu einem Imperium ausbauen sollte. War das Gründen damals einfacher als heute?
Volkmann: Um 1920 hatten wir in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg eine Situation, die von Kriegswirren, großer Not und sozialen Zerwürfnissen geprägt war. Es war noch nicht absehbar, dass schon in Bälde eine Ära anbrechen sollte, die zwar nur von kurzer Dauer war, aber als die „Goldenen Zwanziger“ ihren Weg in die Geschichtsbücher finden sollte. Um 1920 standen wir also vor einem ungeheuren gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Aufschwung, dessen Grundsteine sicherlich in dieser Zeit gelegt worden sind. Und in der Tat: Problemlagen gelten allgemein als Nährboden, Neues zu suchen, zu erfinden, Probleme zu lösen und auch unternehmerisch aktiv zu werden. Die Zeit um 1920 bot damit grundsätzlich gute Voraussetzungen für ein neues Unternehmertum. In Wuppertal etwa lagen in dieser Zeit Schwerpunkte auf der Textil-, Werkzeug- und Rüstungsindustrie. Zugleich kann aber keineswegs gesagt werden, dass das Gründen damals einfacher war als heute: Eine durch den Krieg bedingte Männerknappheit in einer noch immer männerdominierten Gesellschaft, eine fehlende staatliche Gründungsunterstützung, eine nicht vorhandene Unternehmerausbildung, eine allgemeine Ressourcenknappheit und bittere Armut sind nur eine Reihe von Faktoren, die das Gründen von Unternehmen erschwerten.
Das Zitat „Reden ist Blech, Schweigen ist Silber, Handeln ist Gold“ stammt von Werner Jackstädt, der den elterlichen Betrieb zu einem Weltkonzern entwickelte. Ist er ein Vorbild für Bergische Gründer*innen?
Volkmann: Dr. Werner Jackstädt zählt zweifelsohne zu den Wuppertaler Unternehmerpersönlichkeiten, die in höchstem Ansehen stehen, zahlreiche Ehrungen entgegengenommen haben und ohne Wenn und Aber eine außerordentliche Vorbildfunktion für Bergische Gründerinnen und Gründer haben. In der Selbstdarstellung der Jackstädt-Stiftung heißt es hierzu: „Durch eine Kombination aus Tatkraft, faszinierendem Gespür für Produkt- und Marktchancen und kreativem Innovationsgeist führte er die Firma ,Jac' zu internationalem Ansehen.“ Allesamt Eigenschaften, die sich üblicherweise mit typischen unternehmerischen Merkmalen konnotieren lassen. Das Einzigartige an Dr. Werner Jackstädt ist jedoch, dass er in gewisser Weise weit vor seiner Zeit war: Er verfolgte mit seinem Unternehmen sehr früh Internationalisierungsstrategien und wurde zu einem Paten der Wuppertaler Globalisierung. Zugleich besann er sich aber immer auf seine Wurzeln und hatte stets die Prosperität Wuppertals im Blick. Er war eben auch ein Lokalmatador.
Werner Jackstädt begann 1949 mit den ersten selbstklebenden Postkarten und stellte dann nach und nach komplett auf selbstklebende Papiere und Folien um. Mit dem Beginn des Exportes in den 50er Jahren beginnt der internationale Vertrieb. Wie entwickelte sich die Firma im Ausland?
Volkmann: Die Internationalisierungsstrategie des Unternehmens begann 1959 mit der ersten Gründung eines Standortes im Ausland, und zwar in Valenciennes, und verhalf dem Unternehmen zu großem internationalen Ansehen. Es folgten weitere Gründungen in Malaysia, Australien, Südafrika, Brasilien, Mexiko, Kolumbien und Kanada. Ausdruck der lokalen Verwurzelung war indes, dass die Hauptverwaltung der Jackstädt GmbH ihren Sitz in Wuppertal behielt. Unmittelbar vor dem Verkauf des Unternehmens im Jahr 2002 beschäftigte der Weltkonzern in 23 Tochtergesellschaften und zehn Produktionsstandorten ca. 2.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei einem Umsatz von ca. 1,2 Mrd. DM.
Warum verkaufte Jackstädt dennoch sein Imperium 2002 an die amerikanische Avery Dennison Corporation?
Volkmann: Nun, diese Frage hat einen eher traurigen Hintergrund. Die Jackstädts hatten keine Nachkommen. Und als altersbedingt die gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu groß wurden, entschloss sich Dr. Werner Jackstädt zum Verkauf seines Unternehmens, um zugleich seine letzte Energie für den Aufbau seiner Stiftung zu verwenden.
Der gesamte Verkaufserlös ging in zwei Raten in die neugegründete Jackstädt-Stiftung. Was tut diese Stiftung?
Volkmann: Die Jackstädt-Stiftung beheimatet drei Kuratorien, die sich ihrem jeweiligen Fördergebiet widmen. Das Kuratorium „BWL“ fördert Unternehmertum im Zusammenhang mit wissenschaftlicher Forschung und Lehre. Es werden ebenso Stiftungslehrstühle und Forschungsinstitute finanziert sowie Zuschüsse an Institutionen im Hochschulbereich gewährt. Auch werden Stipendien für Master, Promotion und wissenschaftliche Karriere ausgelobt. Nicht zuletzt werden gesellschaftlich relevante Projekte der Aus- und Weiterbildung unterstützt. Das Jackstädt-Zentrum für interdisziplinäre Unternehmertums- und Innovationsforschung der Bergischen Universität Wuppertal ist eine wichtige und leistungsstarke Forschungseinrichtung, die durch die Stiftung finanziert wird. Das zweite Kuratorium „Kultur und Soziales“ fördert Projekte in der Stadt Wuppertal vorwiegend im sozialen Bereich, aber auch auf dem Gebiet des bürgerschaftlichen Engagements. Die Stadt soll attraktiver werden. Kulturelle Projekte sowie Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung werden hier unterstützt. Einige Projekte der Stiftung seit ihrem Bestehen sind die Sanierung des Opernhauses, die Junior Universität, der Bau eines stationären Hospizes, die Sanierung der Schwimmoper, die Nordbahntrasse, das Projekt Metalicht der Bergischen Universität und der Bau eines Kinderhospizes. Das dritte und letzte Kuratorium „Medizin“ soll den wissenschaftlichen und klinischen Nachwuchs sichern. Es fördert die Forschung und Ausbildung in den Bereichen Augenheilkunde, Nephrologie und Onkologie.
Die Universität hat zudem das Jackstädtzentrum für Unternehmertum und Innovationsforschung gegründet, zu dessen Vorstand Sie gehören. Welches Ziel verfolgt das Zentrum?
Volkmann: Das interdisziplinäre Jackstädtzentrum für Unternehmertums- und Innovationsforschung beschäftigt sich mit Themen im Bereich Entrepreneurship und Innovationen sowie vielfältigen Aspekten des unternehmerischen Wandels. Die Forschungsausrichtung umfasst sowohl theoretische als auch empirische Fragestellungen. Theorien und Methoden, etwa aus den Bereichen Management, Business, Economics und Psychologie bilden die Grundlage, um in den genannten Themenbereichen relevante und aktuelle Phänomene zu untersuchen, Bekanntes auf neuem Wege zu hinterfragen und innovative Lösungsansätze zu entwickeln. Der Wissenstransfer zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft stellt einen weiteren Schwerpunkt des Jackstädtzentrums dar.