Interview mit Professor Hans Lietzmann zum Thema Bürgerbeteiligung "Carnaper Platz? Ein Fiasko!"
Hans Lietzmann ist Professor für Politikwissenschaften an der Uni Wuppertal und leitet dort die Forschungsstelle für Bürgerbeteiligung. Rundschau-Redakteurin Nicole Bolz sprach mit ihm über Wuppertals neuen Dezernenten, den Döppersberg und "Wuppertal 3.0".
Herr Lietzmann, ist es so schlecht um die Bürgerbeteiligung in Wuppertal bestellt, dass wir einen eigenen Dezernenten dafür brauchen?
Ich würde sagen, es steht neuerdings so gut um Bereitschaft der Bürger, sich zu beteiligen, dass die Stadt nun sogar einen Verantwortlichen für diese Aufgabe benannt hat. Wir setzen große Hoffnungen in Panagiotis Paschalis und hoffen sehr, dass er die Erwartungen erfüllt.
Wie kann ein Dezernent denn Einfluss auf die Bürgerbeteiligung nehmen?
Er sollte Transparenz über Entscheidungsprozesse herstellen. Wuppertal ist eine vielgestaltige Stadt. Es ist wichtig, dass Bürger die Gründe beurteilen können, warum Entscheidungen getroffen werden. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe.
Wie kann Bürgerbeteiligung in der Praxis aussehen — etwa am Beispiel des Großprojekts Döppersberg? Da gibt es viele verschiedene Meinungen...
Bürgerbeteiligung heißt ja nicht, dass am Ende alles so umgesetzt wird, wie Einzelne es sich wünschen, sondern dass sie zu Wort kommen und gehört werden. Dazu ist es wichtig, dass die Diskussion öffentlich geführt wird. Das wurde beim Thema Döppersberg verpasst.
Das heißt konkret?
Die Stadt hätte verschiedene Aspekte offenlegen und über bestehende Sorgen und Ängste — etwa der Einzelhändler, der Verkehrsteilnehmer oder der Schulen — mit ihnen reden müssen. Das größte Hindernis für Bürgerbeteiligung ist immer wieder, dass Politiker sich selbst in so vielen Zwängen und Engpässen sehen, dass sie lieber einsam und ohne Mitsprache entscheiden wollen. Leider vergrößern sie damit die Probleme. Sie übersehen, dass eine Bürgerbeteiligung sie letztlich außergewöhnlich stärkt.
Wie das?
Nehmen wir mal "Primark". In einem moderierten Verfahren hätte man im Vorfeld mit einer Gruppe neutraler, sehr gemischter Bürger beispielsweise Kriterien für einen Vermieter erarbeiten können. Selbst wenn dann in den Verhandlungen mit dem Investor zwei, drei Punkte abgelehnt worden wären — einem Oberbürgermeister hätte es den Rücken gestärkt, er wäre nicht erpressbar. Auch wenn eine Entscheidung damit im Vorfeld etwas länger dauert, am Ende verkürzt man einen Prozess. In Wuppertal wurde in den letzten Jahren jedoch eher monologisch entschieden.
Etwa in Sachen Kulturpolitik?
Ja, die Kulturpolitik ist da ein hervorragendes Beispiel. Hier wurde in Sachen Oper und Kamioka fast im Alleingang entschieden. Da haben Einzelne im stillen Kämmerlein vielleicht etwas Gutes gewollt, aber das Schlechteste erreicht. Statt im Konsens eine breite Lösung zu finden, liegt die Oper nun am Boden und die Stadtspitze trägt die Verantwortung für ihre einsame und falsche Strategie ganz alleine.
Oder der Carnaper Platz...
Ein Fiasko! Man hat in Wuppertal in den vergangenen Jahren einfach viel zu viel durchregiert. Das Ergebnis lässt sich an der Wahlbeteiligung ablesen. Ganze Stadtviertel sind dabei, sich aus der Politik zu verabschieden.
Diese mangelnde Bürgerbeteiligung hat ja nun zu der Plattform "Wuppertal 3.0" geführt. Ein guter Weg, um Bürger wieder an politischen Prozessen zu beteiligen?
Ja, eine sehr gute Sache. Hier werden verschiedene Initiativen der Stadt gebündelt und bekommen eine Stimme. Es sind die Aktiven, die sich bisher in der Stadtpolitik nicht gewürdigt fühlen.
Aber fühlen sich davon die frustrierten Nicht-Wähler vertreten?
Nein, dazu kommt es noch nicht unmittelbar. Aber es ist ein guter Beginn. Es startet ein neuer politischer Prozess. Um auch die Nicht-Wähler zu erreichen, muss man dann gezielt in die Quartiere gehen.
Dann wäre ein Oberbürgermeister aus den Reihen von "Wuppertal 3.0" eine gute Sache für die Stadt?
Er würde für eine breite Basis in der engagierten Bevölkerung stehen. Damit sichert sich die Stadt ein bislang stark vernachlässigtes Potenzial. Diese dezentrale Aktivität ist vielleicht das Modell für eine heterogene, pluralistische Gesellschaft. Es wäre zudem die Anknüpfung an eine große Wuppertaler Tradition: Im sogenannten Elberfelder Modell verbanden sich schon vor 150 Jahren unmittelbares soziales Bürgerengagement und politische Mitbestimmung. Diese Orientierung auf das Bürgerengagement war damals in Preußen ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal der modernen und erfolgreichen Stadt Wuppertal. Wie der Zoo und die Schwebebahn.