Bergische Uni Spielerisch zu mehr Matheverständnis
Wuppertal · Etwa 34 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger aller Altersgruppen spielen mindestens einmal im Monat Gesellschaftsspiele. Zahlreiche, immer neue werden in den kommenden Tagen ihren Weg unter den Weihnachtsbaum finden oder auf den Tisch kommen. Doch dass man dabei auch mehr (Fach-)Verständnis für Mathematik erwerben kann, ist dabei wohl den wenigsten bewusst.
„Ich glaube, jeder kann Mathematik lernen“, ist Prof. Dr. Kathrin Klamroth überzeugt; sie ist Leiterin der Arbeitsgruppe Mathematische Optimierung in der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften der Bergischen Universität.
Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern Dr. Michael Stiglmayr und Konstantin Kraus findet sie neue Vermittlungswege um Lehramtsstudierenden lebensnahes Fachwissen zu vermitteln und Schülerinnen und Schüler begeistern zu können. Ihre Erfahrung: Besonders Brettspiele haben oftmals eine, nicht immer offensichtliche, mathematische Komponente, die extrem hilfreich sein kann.
Spiele können Begeisterung wecken
Klamroth weiß, dass Spiele im Freizeitbereich Spaß machen, eine abwechslungsreiche Beschäftigung sind, man mit Freunden eine schöne Zeit verbringen kann und sie zudem auch zum Nachdenken anregen. Außerdem erlenen Kinder durch Spiele unbewusst viele soziale Fähigkeiten. „Wir wollten Begeisterung wecken“, sagt die Wissenschaftlerin. „Wir haben viele Lehramtsstudierende, die mit Mathematik sicherlich einen Job bekommen werden, aber nicht alle Studierenden sind gleichermaßen begeistert davon. Wir haben Seminare gestartet, in denen wir über Probleme aus dem Alltageine Brücke schlagen wollten zu den in der Schule behandelten mathematischen Themenfeldern. So begab sich beispielsweise eine Gruppe in die Wälder, um eine Route zu bestimmen, sodass in kurzer Zeit viele Geocaches einsammelbar sind, andere erarbeiteten einen Streckenverlauf für einen Sportwettkampf oder evaluierten die Nordbahntrasse im Hinblick auf sichere Schulwege.“
In diese Aufgaben reihten sich die Brettspiele dann sehr gut ein und die Verantwortlichen stellten zudem fest, dass „viele Mathematikstudierende tatsächlich spielen“ erklärt Klamroth. „Die Mathefachschaft hat eine starke Spiele-AG, also haben viele Interesse daran. Und viele Spiele haben eine mathematische Komponente, sind strategisch. ,Schach‘ ist vielleicht das bekannteste Beispiel, da gibt es auch sehr viel Literatur. Wir haben uns dann aber hauptsächlich mit anderen Brettspielen beschäftigt.“
Untersucht wurden vor allem Spiele, zu denen es noch keine umfängliche Literatur gebe, erklärt Kraus, denn die Studierenden sollten etwas Neues, Wertvolles erarbeiten - auch das ein neuer Ansatz, der viel Eigenständigkeit und Einsatz der Studierenden erfordere.
Mathematische Komponenten in Brettspielen
Brettspiele eignen sich sehr gut als Werkzeug, um Schülerinnen und Schüler mathematische Konzepte zu vermitteln. Kraus erklärt es am Beispiel des Brettspiels „Die Siedler von Catan“: „Eine Studierendengruppe hat einmal ,Die Siedler von Catan‘ benutzt, eine Unterrichtsreihe entworfen und in der 7. Klasse an einer Schule durchgeführt. Das Spiel diente sozusagen als Einführung in die Stochastik, weil man bei ,Catan‘ zwei Würfel einsetzt“, erklärt er. „Für Schüler war das neues Wissen, dass sie sich erarbeitet haben, ohne es zu merken.“
Viele dieser Spiele sind so genannte Strategiespiele, die mit Graphen arbeiten, also Landkarten, die irgendwelche Verbindungen zwischen Orten zeigen. „Ein Graph ist in der Optimierung ein klassisches Konstrukt, auf dem man dann Optimierungsprobleme anschaut, um z.B. den kürzesten Weg von A nach B zu beschreiten“, so Kraus. Auch das Thema Kombinatorik komme in Gesellschaftsspielen immer wieder vor, etwa wenn man an einen Kartenstapel Wahrscheinlichkeiten berücksichtigen müsse.
Die Vielfalt mathematischer Optimierungsmöglichkeiten im Spielebereich ist groß. In „Agricola – die Bauern und das liebe Vieh“ gibt es beispielsweise im Einspielerspiel eine garantiert beste Strategie, bei den ,Siedlern von Catan‘ geben lediglich Hinweise eine Wahrscheinlichkeit auf erfolgreiches Siedeln an und im Eisenbahnspiel ,Zug um Zug‘ kann man die kürzesten Streckenverläufe herausfinden. „In letzter Zeit arbeiten wir mit ,Thurn und Taxis‘ wirklich auch auf wissenschaftlicher Ebene“, erklärt Klamroth. „Das ist ein Postspiel, was ja auch einen realen Hintergrund hat. Da möchte man möglichst viele Möglichkeiten haben, eine begonnene Route weiter auszubauen, und das geht dann auch in die mathematische Forschung und schlägt so wieder eine Brücke.“
Wie funktionieren Strategien?
Den Forschungsbereich Mathematische Modellierung und Optimierung kann man gut an Brettspielen erklären, weil es in vielen Spielen um Strategien geht. Dr. Michael Stiglmayr, der das Projekt ebenfalls betreute, erklärt es am Beispiel des Spiels „Kahuna“: „,Kahuna‘ ist ein Zweipersonenspiel, dass relativ einfache Regeln hat. Es geht darum, Inseln, die im Südpazifik angesiedelt sind, mit Verbindungen zu versehen, um so ein eigenes Reich aufzubauen und gegen den Gegenspieler zu verteidigen. Das Spielbrett lässt sich mathematisch durch eine einfache Netzwerkstruktur beschreiben. In diesem Netzwerk repräsentieren die Inseln Knoten, und die Verbindungen zwischen den Inseln, die man bauen kann, bezeichnen wir mathematisch als Kanten. Die Spieler legen diese Verbindungen und erobern so die Inseln. Dabei gilt es stets abzuwägen zwischen der Eroberung neuer Inseln und der Sicherung der schon Gewonnenen. Diese Inseln kann man nämlich auch leicht durch Aktionen des Gegenspielers wieder verlieren.“
Dabei gebe es keine Glückskomponente, denn Strategien zeichneten sich gerade dadurch aus, dass man zum einen langfristige Pläne machen könne und zusätzlich immer noch adaptiv auf den Gegenspieler reagieren müsse.
Unterrichtsvermittlung durch Spiele?
Spiele könnten ein probates Mittel sein, um in der Schule Anwendungen zu erklären. „Ich glaube schon, dass man Kinder damit begeistern kann, denn Spiele sind Teil ihres Lebens“, sagt Klamroth. „Echte Anwendungen sind oft auch viel zu kompliziert. Wenn man wirklich reale Anwendungen modellieren will, ist das nicht einfach. Bei Spielen macht man auch nicht viel falsch, da kann man relativ leicht einsteigen, wie bei dem Stochastikbeispiel.“
Die Modellierung sei nach Stiglmayrs Meinung auch insbesondere dadurch noch einfacher, da Spiele an sich schon in einer einfachen Welt angesiedelt seien. Natürlich ließen sich nicht alle mathematischen Dinge über Spiele realisieren, aber „Spiele an sich machen schon vereinfachte Annahmen der Realität. Es gibt nur einen kleinen Regel-Satz und selbst komplizierte Spiele sind dann zwar aufwendiger zu modellieren, aber trotzdem ist es immer noch nur ein kleiner Satz an Regeln“, erklärt er.
Mit Spielen zu mehr Erfolg im Studium
Circa 34 Millionen Bundesbürgerinnen und -bürger aller Altersgruppen spielen mindestens einmal im Monat Gesellschaftsspiele, sagt Spielforscher Jens Junge. Spiele haben somit eine ganze Reihe von Funktionen. Sie sind interaktiv, führen Menschen zusammen, bringen Leute dazu, sich zu unterhalten. So ergibt sich unweigerlich die Frage, ob man dieses spielerische Wissen auch in der Lehre einsetzen kann. In Seminaren hat die Forscherin das bereits getan und denkt auch über Möglichkeiten nach, sie im Übungsbetrieb zu integrieren.
„Es eignet sich in Seminaren, wo die Studierenden auch in Gruppen unter sich arbeiten. Das wird nachgefragt, aber es ist auch für die Studierenden sehr aufwändig. Es muss vieles selbständig erarbeitet und auch die passende Literatur selber gesucht werden.“ Stiglmayr sieht einen weiteren Vorteil: „Die Studierenden machen auch Dinge, die sie vorher nicht gemacht haben. Ganz viele haben in unserem Projekt eigenständig programmiert und den Computer die Lösung suchen lassen. Das hat wunderbar geklappt. Bei einem künstlichen Problem hätte das nicht funktioniert.“
Zwar sei die Betreuung mit zusätzlichem Aufwand verbunden, denn die Lernenden mussten erst an das neue Thema herangeführt werden, aber das Ergebnis war für alle Beteiligten sehr befriedigend. „Für uns war es spannend, weil wir anfangs nicht wussten, wo die Reise hinging“ erklärt Kraus die Vorgehensweise, „denn wir haben den Studierenden nicht ein Spiel vorgegeben und gesagt, jetzt müsst ihr euch folgendes Problem anschauen, sondern sie haben sich selber ein Spiel ausgesucht und nach Problemen darin gesucht. Es war sehr frei.“
Ein nicht zu unterschätzender Synergieeffekt dabei ist eine von Kraus in Vorbereitung befindliche Publikation, die sich mit dem Routenverlauf im Spiel „Thurn und Taxis“ beschäftigt. „Das führt also auch auf der wissenschaftlichen Seite zu neuen Erkenntnissen“, sagt Klamroth. In vielen Brettspielen stecken auch mathematische Probleme, die in der Literatur noch nicht zu finden sind.
Mit „Boardgamegeek“ durch die Spielwelt
Ein besonderes Brettspiel möchte das Team nicht empfehlen. „Es gibt so viele tolle Spiele auf dem Markt und es ist immer sehr persönlich, welche Art von Spielen man mag, wie das Layout sein soll, ob es Spiele mit eher komplexen Regeln sind oder ob man sie mit Kindern spielt“, sagt Klamroth. Es gibt allerdings eine Internetseite, über die man sich wunderbar über die Vielfalt der Spielewelt informieren kann. Boardgamegeek ist der Zauberlink, der über eine Vielzahl an Spielegenres informiert, Userbewertungen von Spielen zeigt und eine Top 100 der beliebtesten Spiele bereithält.
„Wir haben in unserem Projekt hauptsächlich diesen kombinatorischen und Optimierungsaspekt beleuchtet“ sagt Klamroth abschließend, aber, „es gibt da noch sehr viele Felder, und da kann man noch viel mehr machen.“