„Tod eines Handlungsreisenden“ Trautes Heim, Hölle allein
Wuppertal · Welch bittere, schreckliche Geschichte erzählt Arthur Miller da in seinem Moderne-Klassiker „Tod eines Handlungsreisenden“. Und was für eine großartige Inszenierung liefern die Wuppertaler Bühnen bei ihrer gästereduzierten Corona-Premiere ab!
Unter der Regie von Jakob Fedler agieren fünf im wahrsten Wortsinn verlorene Schauspieler in einem kalt-puristischen Bühnenbild (Dorien Thomsen), das nur durch einen silbrigen Flitter-Vorhang aufgelockert wird. Im Hintergrund eine doppelstöckige Konstruktion, die an die Bett-Aufbauten in Auschwitz-Birkenau erinnert. Und ja, es ist doch auch ein auswegloses Lager, das Haus des Handlungsreisenden Willy Loman, auf das der Blick sich hier richtet.
Loman, knapp über 50, steht mittendrin im Untergang seines beruflichen und persönlichen Lebens. Alle Ziele sind in weite Ferne gerückt, der berufliche Erfolg zerbröselt – die Entlassung folgt auf dem Fuß. Der (amerikanische) Job-Traum wird zum Alptraum. Thomas Braus (wer sonst?) spielt diesen Willy Loman mit beängstigender Direktheit. Tief beeindruckt und gefesselt hängen Augen und Ohren des Zuschauers an Braus. Sein kahler Kopf, sein hohler Blick, seine magere Figur: Da ist ein Leben ins Leere gelaufen. Für einen Top-Vertreter hielt er sich immer (war er es je?) – und wird doch in rasanter Geschwindigkeit erst degradiert, dann ausgemustert. Von 1949 stammt das Stück, ist aber heute noch immer so aktuell und gnadenlos ehrlich wie damals.
Willy Loman hat zwei Söhne: Happy, der auch (eher erfolglos) in der Vertreter-Branche tätig ist, und Biff, der als Jugendlicher erfolgversprechende Sportler, aus dem aber nichts von dem wurde, was sein Vater sich haufenweise von ihm erhoffte. Konstantin Rickert als Happy steht ein Stück am Rand dieser Familie, findet keine Balance zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Hilflos ficht er gegen (seine eigenen) Schatten.
Außergewöhnlich Alexander Peiler als Biff: Er kämpft, schreit, windet sich, bläht sich auf, fällt wieder zusammen. Dem vom Vater aufgebauten Erwartungs- und Erfolgsdruck kann er nicht genügen. Etwas wirklich Eigenes findet er nicht. Diese starke Performance ist die beste, die Alexander Peiler bisher in Wuppertal abgeliefert hat.
Erst auf den zweiten Blick erobert sich Luise Kinner als Mutter Linda ihr Feld: Sie durchschaut alles – das Schlechte, das Gute, die Verluste, die Verfehlungen. Sie liebt ihren Mann, verteidigt ihn gegen die Söhne – und umgekehrt. Fast leichtfüßig sowie manchmal sogar fröhlich gelingt es Luise Kinner, die vielen Fäden dieser Linda in Händen zu halten.
Nr. 5 im Ensemble ist (bei der Premiere) Kevin Wilke, in einer Doppelrolle: Er spielt den wohlhabenden Willy-Loman-Freund Charley, der dem Familienpatriarchen regelmäßig Geld leiht und immer wieder (erfolglos) einen Job anbietet, sowie den Firmenchefnachfolger Howard Wagner, der Willy Loman sozusagen als Altlast seines eigenen Vaters, der Loman stets protegiert hatte, während einer abstrusen Heim-Trampolin-Aktion kalt lächelnd „entsorgt“.
90 Minuten dauert diese Wuppertaler Inszenierung. Kein einziges Mal schaut man währenddessen auf die Uhr. Im Gegenteil: Wenn es vorbei ist (was Willy Loman als Konsequenz seines verpfuschten Lebens getan hat, deutet sich wenige Minuten zuvor ganz unauffällig an), mag man’s nicht glauben – ist wie herausgerissen aus dem Sog, den das Stück ausübt.
Grässlich, was sich da auf der Bühne bietet. Kein echtes, warmes Lachen, das von anhaltender Freude erzählt. Keine Hoffnung. „Tod eines Handlungsreisenden“ seziert die Zerstörung von Menschen durch ungebremste (unsoziale) Marktwirtschaft – und das zusätzliche Vernichtungspotenzial durch Erwartungsdruck. Den eigenen und den anderer.
Was die Wuppertaler Bühnen aus diesem Thema gemacht haben, hätte stürmischen Premieren-Applaus verdient gehabt. Die kaum 30 Gäste im Theater konnten das nicht leisten. Wieder ins „normale“ Programm rückt der „Handlungsreisende“ nach der Sommerpause ab dem 10. Oktober 2020. Dann muss er aber kommen, der stürmische Applaus!