"Zuletzt gelesen": Rundschau-Buchkritiken Überleben auf der Flucht und eine Leiche im Buchladen
Wuppertal · Der Weg aus dem kriegszerstörten Syrien auf der Balkanroute nach Deutschland. Mittlerweile gibt es über diese Strecke etliche Berichte. Von Erwachsenen. Aber wie erlebt das ein Kind?
Eva Gruber, Wuppertaler Autorin und Zeichnerin, hat mit Karim — Momentaufnahmen eines Weges dem zwölfjährigen Jungen Karim eine Stimme gegeben. Allein mit seiner Mutter (der Vater ist in Syrien erschossen worden) macht er sich auf den tausende Kilometer langen Weg. "Karim" ist gedacht für Leser zwischen acht und elf Jahren. Aber das Buch ist mehr.
Eva Gruber gelingt es auf 140 Seiten, mit knappen Sätzen, eindringlichen Dialogen und ohne Schreckliches aus falsch verstandener Kinderliebe wegzublenden, ihr Thema ungemein anfassbar zu machen. Was Mutter und Sohn auf der Flucht erleben (müssen), macht streckenweise sprachlos. Denn auch die Vergewaltigung der Mutter durch mehrere Männer in Bulgarien verschweigt Eva Gruber nicht. "Karim" ist ein Kinderbuch — aber kein weichgespültes. Ein starker, schöner und am Ende doch fröhlich-versöhnlicher Text. Das berührt sehr. Kiel & Feder-Verlag, 9,99 Euro
Weichgespült kommt auch Der Tote in der Buchhandlung von Daniela Schwaner nicht daher. Der 460-Seiten-Krimi ist sozusagen die Nr. 2 im Leben von Sophie Liebermann, Inhaberin der Wuppertaler Luisenviertel-Krimibuchhandlung "Mördergrube", und ihres weit gefächerten privaten Umfeldes. Nach einer abendlichen Lesung wird im Buchladen ein im Viertel bekannter Obdachloser mit sieben Messerstichen getötet. Weitere brutale Morde an einem Staatsanwalt, einem Immobilienmakler und einem jungen Junkie folgen. Ob all diese Todesfälle zusammenhängen, bleibt lange unklar. Dass sie zusammenhängen (und warum) klärt sich ganz zum Schluss.
Daniela Schwaner erzählt sehr aufwendig, macht ihr gesamtes, überaus zahlreiches Personal detailreich sichtbar. Das kostet viel (Erzähl-)Zeit. Der mörderische Rache-Kern dieses Krimis, der mit lange zurückliegenden Kindesmisshandlungen und dem üblen Darin-Verstricktsein von Polizei, Justiz, Pflegeeltern und Jugendamt zu tun hat, wird im letzten Viertel des Buches allzu schnell und atemlos aufgeklärt. In diesem Komplex hätte echter Sprengstoff gesteckt. Wenn's vorher weniger ausufernd um Männer-und-Frauen-Klischees ginge, oder um eine Buchhändlerin, die als bergische Miss Marple agiert, hätte das Buch Platz und Zeug für einen knallharten Hardboiled-Plot gehabt. So aber kommt dieser Wuppertal-Text erst ziemlich schwer in Gang, macht dann mächtig Lese-Appetit — und ist am Schluss zu plötzlich zu Ende. Bergischer Verlag, 12 Euro