Kleine Welt, starkes Stück
Mit "Supergute Tage" schlägt das neue Schauspiel-Ensemble einen kraftvollen, modernen Theater-Pflock ein.
Christopher Boone ist 15 Jahre, drei Monate und zwei Tage alt. Er kennt alle Länder und deren Hauptstädte und sämtliche Primzahlen bis 7.507. Er mag Puzzles und Polizisten, aber nicht die Farben Gelb und Braun. Rot liebt er. Und ein superguter Tag ist für ihn, wenn der Schulbus an fünf hintereinander geparkten roten Autos vorbeifährt.
Auf der Bühne des Theaters am Engelsgarten spielt Konstantin Shklyar diesen Autisten, der keine körperlichen Berührungen erträgt, allein mit seinem Vater wohnt — und glaubt, seine Mutter sei vor 18 Monaten gestorben. Shklyar ist die Hauptrolle von "Supergute Tage" auf den Leib geschrieben. Fast nur innerhalb eines kleinen Kreises (Spiegelbild seiner kleinen Welt) in der Mitte der extrem puristischen Bühne agiert er. Shklyar fesselt mit seiner Darstellung eines zutiefst verunsicherten Menschen die Zuschauer über die komplette Distanz des nicht ganz zweistündigen Stückes.
"Supergute Tage" hat aber nicht nur einen beeindruckenden Protagonisten: Dieses herausragende Beispiel zeitgenössischen (britischen) Gesellschaftstheaters zeigt dem Wuppertaler Publikum hautnah die Stärken "seiner" neuen Ensemble-Mitglieder. Und die des "alten Hasen" Thomas Braus.
Der sich schnell wie ein Strudel drehenden Geschichte, die mit einem ermordeten Hund beginnt, mit der "Wiederauferstehung" der Mutter weitergeht und durch Christophers Flucht nach London einen emotionalen und familiären Knoten zerschlägt, geben die Darsteller jeweils sehr eigene Gesichter. Stefan Walz als Christophers Vater und vor allem Philippine Pachl als seine Mutter entfalten starke Gefühlsfacetten — da geht es sehr unmittelbar gespielt um einen Alltags-Cocktail aus Liebe, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Überforderung.
Ergänzt wird das Boone-Familien-Trio durch Tinka Fürst, Daniel F. Kamen, Julia Reznik, Miko Greza und eben Thomas Braus, die alle in mehrfachen Rollen agieren. Und das tun sie auf hohem (Kammerspiel-)Niveau — mit intensiver Nähe zueinander und zum Publikum.
"Supergute Tage" ist kein angenehmer Stoff — obwohl es immer mal wieder was zu lachen gibt. Das überaus komplizierte und seltsame Leben des Christopher Boone steckt voller Schwierigkeiten, voller Verletzungen, Verunsicherungen. In diesem Stück wird geschrien, geflucht, sich beschimpft, sich erbrochen. Und "Supergute Tage" lässt die Spannung keine Sekunde sinken: Die Schauspieler bleiben durchgängig auf hoher Drehzahl — und halten ihr Publikum fest im Bann.
"Supergute Tage" ist ein Plädoyer für den vorsichtigen Umgang miteinander — auch und gerade wenn es schwerfällt, weil es einem das Gegenüber nicht leicht macht. Und "Supergute Tage" ist ein Plädoyer dafür, die Wahrheit zu sagen. Auch wenn sie wehtut. Welche Auswirkungen das hat, sieht man unmittelbar vor sich auf der Bühne: Christopher Boone nämlich kann nicht lügen. Auch das eine der "problematischen" Eigenschaften seiner Autismus-Erkrankung — wie die geniale Mathe-Begabung. Lauter Dinge, die einsam machen.
Kurz vor Schluss sieht es aus, als gehe "Supergute Tage" supergut aus. Doch wenige Minuten später, ganz am Schluss, stirbt wieder gewaltsam ein Hund...