ZULETZT GELESEN: Die Wuppertaler-Rundschau-Buchkritiken Ein kleiner Junge und ein schräger Vogel
Wuppertal · Weihnachtszeit = Bücherzeit. Da passt es, dass zwei Wuppertaler (Alt-)Meister gerade mit zwei neuen Texten auf dem Markt sind. Keine dicken Wälzer, eher klein und fein.
Hermann Schulz ist (mal wieder) zu seinen Wurzeln als Jugendbuchautor und Kenner Lateinamerikas zurückgekehrt. In die "Die Reise nach Ägypten" erzählt er (wunderschön illustriert von Tobis Krejtschi) auf etwa 60 Seiten die Geschichte des kleinen, kranken Jungen Filemón und des Kinderkrankenhausarztes Fernando Silva — mitten in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua. Hermann Schulz hat mit der für ihn so typischen Einfühlsamkeit eine kleine und doch große Geschichte geschrieben. Eine, die gut zu Weihnachten passt, aber auch sonst immer "funktioniert".
Worum es vor allem geht, ist die Kraft der Phantasie — gekoppelt mit Zuneigung, Wärme, Anteilnahme. In ihren Gesprächen treffen Filemón und Fernando, ein sehr junger und ein schon älterer Mensch, auf Augenhöhe aufeinander. Das können wenige so gut wie Hermann Schulz. Und das Beste: Die Geschichte ist wahr. Im Vorwort verrät Schulz die Hintergründe — und wie er aus dem Leben ein Stückchen Literatur gemacht hat. dtv-Verlag, 10,95 Euro.
Ganz unweihnachtlich kommt "John Höxter. Poet, Maler und Schnorrer der Berliner Boheme" daher. Der Wuppertaler Jörg Aufenanger, der längst in Berlin lebt, ist damit wieder bei seiner Kernkompetenz, dem Schreiben ungewöhnlicher Biographien, angekommen. Wie beispielsweise Grabbe oder Kleist bürstet Aufenanger auch hier wieder einen gegen den Strich. Allerdings einen, der sowieso "gegen den Strich" gewesen ist. Und den kaum jemand kennt.
John Höxter, geboren 1885, durch Selbstmord 1938 gestorben, kam aus Hannover nach Berlin, wo er zur schillernden Figur der Künstler-Café-Szene wurde. Höxter, der tatsächlich so hieß, galt als sehr talentiert. Gemacht hat er aber aus seinen Fähigkeiten als Zeichner, Maler, Grafiker, Dichter, Schauspieler nie wirklich etwas. Auf knapp 100 Seiten hat Aufenanger Höxter wieder ausgegraben und ihm ein mit vielen Originalwerken und Fotos illustriertes kleines Denkmal gesetzt.
Und der Zeit, für die Höxter steht: Der klassischen deutschen Boheme, die die Nazis zerschlagen haben. Für Höxter, Jude und Homosexueller, war da kein Platz. Für viele andere auch nicht, die den Ersten Weltkrieg hinter sich gebracht hatten und jetzt neue Lebens- und Kunstformen probierten. Höxter, der auch Else Lasker-Schüler kannte, sah diese Welt zerbrechen — und brachte sich um.
Die Biographie fällt etwas ab im Vergleich zu Aufenangers Bestwerken — und doch: Die sprachliche Atmosphäre, die er schafft, ist dicht und stark. Der Autor mag seinen Helden, nimmt trotzdem in Sachen Fehler und Schwächen kein Blatt vor den Mund. Fazit: Die Welt wäre ein öder Ort ohne schräge Vögel wie Höxter. Und ohne Leute wie Aufenanger, die solch schräge Vögel ans Licht holen. Das lohnt eine Lese-Entdeckungsreise. Quintus-Verlag, 16 Euro.