Julia Wolffs folgenschwerer Unfall Dann war nichts mehr wie vorher
Wuppertal · Julia Wolff war lange Jahre Mitglied des Wuppertaler Schauspiel-Ensembles. Eine fröhliche, sportliche, junge Frau — die sich im Urlaub beim Kite-Surfen versuchen wollte. Eine folgenschwere Entscheidung: Sie erlitt einen schlimmen Unfall und kämpft heute nicht nur gegen die körperlichen Folgen, sondern auch mit Behörden und der Krankenkasse.
Es sollte ein ganz normaler Sommerurlaub werden. Julia Wolff reiste mit ihrer Freundin auf die Kanaren-Insel Fuerteventura. Die beiden jungen Frauen wollen Meer und Strand genießen und eine Schnupperstunde im Kite-Surfen absolvieren. Ein Sport, bei dem das Segel des Surfboards gegen einen Drachen, der an den Körper des Surfers geschnallt ist, getauscht wird.
Doch an diesem Morgen herrscht ein unglaublich starker Wind. Die rote Fahne, die Gefahr signalisiert, ist aufgezogen. "Trotzdem ließ mich der Lehrer los. Der Wind packte mich, zog mich hoch. Dann bin ich mehrmals auf den Kopf geknallt, lag schließlich wie ein Käfer auf dem Bauch. Ich war bei Bewusstsein, konnte mich aber nicht mehr bewegen", erinnert sich die Schauspielerin an den Moment, der ihr Leben so drastisch veränderte.
Gut 90 Minuten muss sie auf den Arzt warten, in dieser Zeit verliert die Schauspielerin das Bewusstsein. Sie kommt in die Klinik von Fuerteventura. Eine Operation ist nötig, die jedoch erst 24 Stunden später auf Gran Canaria durchgeführt wird. Die Diagnose ist niederschmetternd: "Der zweite Wirbel war gebrochen. Man entfernte zwei Dornfortsätze, so dass das Rückenmark nicht mehr gequetscht wurde, versetzte mich ins künstliche Koma und schnallte mich auf ein Streckbett — eine alte, aber immer noch effektive Methode", berichtet Julia Wolff. Selbst im Koma verfolgt sie der Unfall: Sie hat Träume und Visionen, auch vom Sterben.
Zur weiteren Behandlung soll es eigentlich nach Bochum in die Uni-Klinik Bergmannsheil gehen. Aber Julia Wolff hat keine Rückführversicherung. 31.000 Euro zahlt ihr Vater für den Flug, der nur in ärztlicher Begleitung durchgeführt werden kann. Geld, das er, genau wie das Schmerzensgeld für seine Tochter, von der Surfschule einklagen will.
Bei der Einlieferung in Bochum kann die Patientin sich weder bewegen noch sprechen, sie muss künstlich beatmet werden. Außerdem hat sie aus Spanien einen Krankenhauskeim mitgebracht, so dass sie erst einmal in Quarantäne muss.
Unterdessen beginnen Ergo- und Physiotherapeuten sowie die Logopäden sofort mit ihrer Arbeit. Sie erkennen, dass noch etwas "Bein- und Handfunktion" vorhanden ist. "Aber ohne Rollstuhl und künstliche Beatmung würde ich wohl nie leben können", konnte sich Julia Wolff damals sicher sein. "Aber das ließ ich ebenso wenig wie das Wort ,Querschnittslähmung' an mich ran. Der Körper macht nur, was der Geist will, und ich wollte mehr."
Doch ihr bleibt weiterhin nichts erspart: In der Bochumer Uni-Klinik bricht ein Brand aus. "Nachts kamen ein Arzt und ein Pfleger. Wir mussten in die Rollstühle und im Treppenhaus warten. Einzeln wurden wir runtergetragen, den Rauch konnte man riechen, er wurde dichter und ich hatte Angst." Zum ersten Mal seit den schrecklichen Geschehnissen bricht es aus ihr heraus — sie muss weinen: "Aber die Menschen haben in dieser Situation Großartiges geleistet."
Drei Monate bleibt Julia Wolff in Bochum. Am Ende muss sie nicht mehr beatmet werden, kann sogar mit einem Unterarm-Gehwagen wieder selbst laufen — ein Fortschritt, mit dem keiner rechnen konnte. "Das habe ich auch den engagierten Ärzten, Therapeuten und Pflegern in Bochum zu verdanken."
Es folgen drei weitere Monate in der Reha bis zum 24. Februar. Einen Tag später kommt sie nach Wuppertal zurück, bewältigt mit der Hilfe von Freunden einen Umzug, freut sich, endlich wieder mit ihrem siebenjährigen Sohn zusammen zu sein. Doch nun folgt ein neuer Schock: Zwar stand im Abschlussbericht der Reha, dass sie bis auf weiteres arbeitsunfähig sei, doch die erforderliche Krankmeldung reicht sie drei Tage nach der gesetzlichen Pflicht bei der Krankenkasse ein.
Mit gravierenden Folgen: Sie fliegt aus der Versicherung, die Zahlung des Krankengeldes wird sofort eingestellt. Bis heute lebt Julia Wolff mit ihrem Sohn von den Ersparnissen, muss zudem einen immens hohen Krankenkassenanteil zahlen. Ihre wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Einzelne Lesungen, die sie bereits wieder gemacht hat, bringen lediglich ein Zubrot. Gegen die Krankenkasse versucht sie nun gerichtlich vorzugehen.
Parallel tut sich eine weitere Front auf. "Die beantragte Pflegestufe wurde abgelehnt, obwohl ich weder putzen noch kochen oder Gemüse und Brot schneiden kann. Wäsche waschen oder das Bett beziehen geht gar nicht, das Schreiben mit der rechten Hand klappt ebenfalls nicht." Kleinigkeiten transportiert sie mühsam mit einem Rucksack. "Wenn ich nicht so viel Hilfe von meinem Nachbarn und von Freunden hätte, ginge gar nichts."
Aber sie gibt nicht auf, trainiert weiter hart und hofft, dass sie sich so weitere Funktionen erarbeiten kann. Immerhin ist nun zu 80 Prozent als schwerbehindert eingestuft, was schon einige Vorteile bringt. Als allein erziehende Mutter hat Julia Wolff nun zumindest für sechs Monate das Anrecht auf eine Haushaltshilfe.
Auch wenn der Ärger mit der Krankenkasse und die ständige Lauferei zu den Behörden die Schauspielerin nervt und den Heilungsprozess beeinträchtigt, gibt es an anderer Stelle einen riesigen Lichtblick: Das Schauspiel Bochum hat sie für eine Wiederaufnahme verpflichtet — und der neue Wuppertaler Schauspielintendant Thomas Braus holt sie für die kommende Spielzeit wieder ins Ensemble zurück.