Bergische Uni Wuppertal Nun 50 Prozent regenerativer Anteil am Stromverbrauch
Wuppertal · Prof. Dr.-Ing. Markus Zdrallek, Leiter des Lehrstuhls für Elektrische Energieversorgungstechnik an der Bergischen Uni in Wuppertal, über die Energiegewinnung der Zukunft.
„Atomkraft? Nein danke“ lautete Anfang der 1970er Jahre der Slogan, mit dem sich die Anti-Atombewegung langsam ins Bewusstsein der Menschen drängte. „Kohleausstieg jetzt!“ heißt es im 21. Jahrhundert, denn fossile Brennstoffe schädigen mehr und mehr unseren Planeten. Der Fukushima-Reaktorunfall 2011 in Japan und die junge „Fridays for Future“-Bewegung beschleunigten den rollenden Proteststein derer, die mit erneuerbaren Energien dem Klimawandel entgegenwirken wollen.
Das Ziel der Energiewende in Deutschland, bis zum Jahr 2045 Energie hauptsächlich aus regenerativen Quellen zu beziehen, schien in greifbarer Nähe zu sein, doch dann drehte der russische Usurpator Wladimir Putin im Zuge seines begonnenen Ukrainekrieges dem Westen das Gas ab und beschert auch uns Deutschen einen harten Winter.
Warum wir dennoch auf dem richtigen Energieweg sind, weiß der Wuppertaler Wissenschaftler Prof. Dr.-Ing. Markus Zdrallek, der an der Bergischen Universität den Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik leitet. „Meine 100 Prozent regenerative und CO2-freie Welt der Zukunft sieht so aus“, sagt er, „wir machen so viel es geht mit regenerativem Strom und was wir nicht mit regenerativem Strom machen können, machen wir mit grünem Wasserstoff.“ Aber was ist eigentlich regenerativer Strom?
Grüner Strom aus erneuerbaren Energien
„Allgemein ist grüner Strom so definiert, dass das Strom ist, der aus regenerativen Quellen kommt, also von Windrädern, Photovoltaikanlagen, von Biomasse oder von Wasserkraftwerken erzeugt wird. Mittlerweile reden wir auch schon über grünen Wasserstoff. Das ist dann Wasserstoff, der über Elektrolyse hergestellt wird, und diese Elektrolyse wird wiederum von grünem Strom gespeist, also von regenerativem Strom.“
Dieser Strom sei beinahe CO2-frei, erklärt der Wissenschaftler und ergänzt: „Wenn wir zu einer mehrheitlich regenerativen und CO2-freien Energieversorgungswelt kommen wollen, und irgendwann – unser Ziel ist ja auch 2050 – zu einer vollständig regenerativen und CO2-freien, neutralen Energieversorgung, dann ist das der einzige Weg, den wir gehen können.“
Grüner Strom oder auch Ökostrom stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien. Anbieter müssen für die Menge, die sie als Ökostrom verkaufen wollen, Herkunftsnachweise beziehen, die auch von einer Aufsichtsstelle, die den Strommarkt überwacht, kontrolliert werden. Der Strom, den Händler im Jahr einkaufen wird dabei in Deutschland im Viertelstundenraster gehandelt.
Ökostrom für alle?
Momentan gebe es nicht genug Ökostrom, wenn alle Verbraucher ein sogenanntes Ökozertifikat erwerben wollten. „Das System funktioniert so“, erklärt Zdrallek, „dass der normale Strommix, den jemand bezieht, der nicht speziell ein Ökostromprodukt kauft, um die Ökostromanteile reduziert wird. Das bedeutet, wenn jetzt mehr Leute Ökostrom kaufen, dann kriegen die Restlichen mehr Kohlestrom und Atomstrom, den wir ja in diesem Jahr auch noch haben. Richtig sei aber auch, dass wenn alle ein Ökostromzertifikat kaufen würden, die Energieversorger gezwungen wären, wirklich auch 100 Prozent Ökostrom einzukaufen.
Dabei ist Ökostrom günstig geworden, weil seine Erzeugung mittlerweile konkurrenzfähig zur Kohlestrom- oder Kernkraftenergiegewinnung ist. Zdrallek erklärt es so: „Man sagt zum Beispiel, die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom in einem Kernkraftwerk ist heute das günstigste und kostet ungefähr 2,5 Cent die Kilowattstunde. Bei dieser Berechnung werden aber immer die Kosten der Endlagerung außen vorgelassen. Bei Kohle liegen wir bei fünf bis sechs Cent, Gaskraftwerke sind im Moment ganz besonders teuer, aber auch schon vor dem Ukrainekrieg hatte das Gas angezogen, sie liegen bei ungefähr 10 bis 15 Cent pro Kilowattstunde. Und wenn wir heute über PV-Anlagen (Photovoltaik) reden, dann sind wir bei Stromerzeugungskosten von neun bis zehn Cent pro Kilowattstunde, bei Onshore-Wind bei sieben bis acht Cent, bei Offshore-Wind bei drei bis vier Cent. Das heißt, die regenerative Energie wird auch preislich konkurrenzfähig, es ist heute genauso günstig mit Wind eine Kilowattstunde zu erzeugen, wie mit Kohle. Und damit sind diese Grünstromzertifikate auch nicht signifikant teurer als der normale Strom. Aber, Windkraft funktioniert nur, wenn auch der Wind weht, und mit Kohle halt immer.“
Energiewende braucht Zeit
Die Energiewende wird in der Fachwelt und der Öffentlichkeit als ein Weggehen von einer hierarchischen Stromversorgung durch Kraftwerke hin zu einer regenerativen und dezentralen Energieversorgung mit Wind und Photovoltaik. „Bisher haben wir die Energiewende sehr stark verstanden als eine Stromwende, und da haben wir auch mehr geschafft, als das vielfach diskutiert wird. Ich kann die junge Fridays-for-Future-Generation zwar verstehen, die sagen, wir müssen da noch schneller sein, wir müssen raus aus dieser Kohle“, sagt Zdrallek, „aber man muss auch sagen, wir sind da schon ganz schön weit gekommen. Wir sind ungefähr bei 50 Prozent regenerativem Anteil am Stromverbrauch in Deutschland. 50 Prozent in den letzten 15 Jahren! Wir waren vor 15 Jahren bei fünf Prozent, und das ist schon ein ganz schön langer Weg. Das ist ein Marathon, und der dauert noch, denn wir bauen ein riesiges System um, was wir über Jahrzehnte und Jahrhunderte als Ingenieure und Ingenieurinnen aufgebaut und optimiert haben. Und das geht nicht vom einen auf den anderen Tag.“
Hinzu komme, dass wir nun nicht mehr allein nur über Strom reden müssten, sondern auch andere Energiesektoren zu berücksichtigen hätten. „Man kann im Prinzip sagen, der Energieverbrauch in Deutschland teilt sich in drei Drittel ein. Ein Drittel ist Stromverbrauch, ein Drittel ist Heizen, also Wärme und ein Drittel ist Mobilität, das betrifft das Autofahren im Wesentlichen. Und wenn wir im Stromsektor im Moment bei 50 Prozent erneuerbarer Energie sind, sind wir in den beiden anderen Sektoren unter 10 Prozent.“
Biogas und Biodiesel seien zu marginal genutzt, und es gehe nun darum, mehr regenerativen Strom in den Mobilitätssektor zu bringen. Schwierig gestalte sich das Thema Wärme, da spiele der grüne Wasserstoff sicher eine zukünftige Rolle, aber durch die derzeitige Gasverknappung müsse man jetzt erst einmal über den Winter kommen.
Jeder kann Energie sparen
Für seine Untersuchungen zur Elektromobilität stieß der Fachmann auf eine Studie zum Thema Mobilität in Deutschland, die ihm auch selber zu Denken gab. Dabei ging es um das Fahrverhalten, Strecken, Dauer und Wege der Deutschen mit eigenem PKW. „Da kann man nachlesen, 25 Prozent aller Fahrten, die mit Autos gemacht werden, sind unter einem Kilometer.“ Das seien Fahrten zum Bäcker, zur Kita oder die Fahrten zum nahe gelegenen Wald, um mit dem Hund Gassi zu gehen. Zdrallek jedenfalls, fährt seitdem sonntags mit dem Fahrrad zum Bäcker oder geht auch mal zu Fuß.
Energieversorgung der Zukunft
„Das Energiekonzept der Bundesregierung ist bis zum Ukrainekrieg so gewesen, dass wir bis 2040 80 Prozent des Stroms regenerativ und 20 Prozent mit Gaskraftwerken erzeugen wollen. Jetzt muss man dieses Konzept definitiv überdenken, aber eine vollständig regenerative und CO2-freie Energieversorgung der Zukunft könnte so aussehen, dass wir noch sehr viel mehr Wind- und PV-Erzeugung zubauen, und das werden wir müssen. Dann brauchen wir ein Zwischenspeichermedium, damit wir zwischenspeichern können für die Zeit, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Und da kommt als große Speichermöglichkeit nur der grüne Wasserstoff in Frage, wo wir die großen Mengen vom Sommer für den Winter zwischenspeichern. Das könnte man zum Teil auch in dem heutigen Gassystem realisieren.“
Zwar würden wir nicht komplett alles in Deutschland erzeugen können, und auch aus Ländern importieren müssen, wo mehr die Sonne scheint als bei uns. „So könnten wir es schaffen, uns 100 Prozent nachhaltig aufzustellen und damit unabhängiger zu werden“, formuliert er.
Bestand und Ausbau der regenerativen Energiequellen
Die wachsende Nachfrage nach grünem Strom steigert den Ausbau von Anlagen, die regenerative Energiequellen nutzen. „Wir reden bei PV-Anlagen von einer Größenordnung von zwei Millionen in Deutschland, bei Windrädern habe ich keine genauen Zahlen“ erklärt Zdrallek. Das reiche im Moment, um 50 Prozent des Stroms regenerativ zu erzeugen. Fachleute gingen davon aus, dass wir ungefähr noch einmal die drei- bis vierfache Menge an PV- und Windanlagen zubauen müssen, um die Energieversorgung der Zukunft zu 100 Prozent regenerativ gestalten zu können.
„Das birgt gesellschaftlichen Sprengstoff, man kennt die Diskussionen um neue Windräder und deren Standorte“, gibt er zu bedenken, denn die Energiewende fände zwar jeder gut, solange kein Windrad oder eine Hochspannungsleitung meinem Umfeld zu nahekomme. An dieser Stelle gehe es nur mit Beteiligungsmodellen weiter. „Es gibt ja auch schon erfolgreiche Bürgerprojekte in Zusammenhang mit PV-Anlagen in Wuppertal, wo man sich beteiligen kann. Und wenn es dann auch noch für einen selbst etwas abwirft, dann wird es nicht als so störend empfunden.“
Ölmultis als Vorbild?
Der günstigste grüne Strom kommt bald aus Saudi-Arabien. Die indische Ingenieursgesellschaft L&T baut zurzeit dort das Solarkraftwerk Sudair mit einer Leistung von 1.500 Megawatt. Das entspricht in etwa der Leistung eines großen Kohlekraftwerks. Sudair soll im Laufe dieses Jahres in Betrieb gehen und den günstigsten Solarstrom der Welt liefern: ein Cent pro Kilowattstunde. Für Zdrallek ist das auch für Europa vorstellbar. „Unser Problem dabei ist nur, das im Wuppertaler Sommer zu wenig Sonne scheint“, erläutert der Techniker. „In Saudi-Arabien kann man mit 4.000 Volllaststunden rechnen, denn dort scheint ein halbes Jahr lang kontinuierlich die Sonne auf die Anlage. Bei uns rechnen wir hier mit 900, in Süddeutschland mit 1.100 Volllaststunden. Da ist ein Faktor 3 bis 4 dazwischen. Deshalb sind die Kosten bei uns nicht bei einem Cent, sondern bei sieben bis acht Cent, weil wir einfach weniger Sonne haben.“
Saudi-Arabien stelle sich damit auch neu auf, um mit diesem Strom, den sie dann erzeugen, nicht nur die eigene Bevölkerung zu versorgen, sondern dann auch gleich grünen Wasserstoff zu erzeugen, den man perspektivisch nach Europa exportieren will. „Auch die Saudis haben erkannt, dass das fossile Zeitalter zu Ende geht und sie sich jetzt noch mit den Gewinnen aus ihrem Erdölverkauf auf die nächsten 20 bis 30 Jahre einstellen müssen, wo das dann nicht mehr der Fall ist.“
Nun ist Saudi-Arabien kein politisch einfaches Land und das sei die Krux, erklärt Zdrallek, denn überall da, wo Bodenschätze lägen, wo unsere Energieressourcen herkämen, also Russland, Saudi-Arabien oder der Iran, seien politisch heikle Länder, insofern müsse man überlegen, ob man sich von diesen Staaten abhängig machen wolle. „Wir werden es nicht schaffen“, erklärt er abschließend, „Deutschland auf Dauer autark aufzustellen. Wir werden immer auf Energieimporte angewiesen sein, wenn auch nicht mehr auf so viele wie heute.“
Seit jeher wird in der Welt Handel betrieben und die Bodenschätze des Mittleren Ostens und Asiens ersetzt der Westen heute durch neue Kommunikationsmethoden, technische Innovationen sowie den Einsatz von Computern. Somit sind wir alle aufeinander angewiesen. Eines darf man nicht vergessen: Jedes Land hat den Anspruch, seine Bevölkerung in eine sichere Zukunft zu führen. Das gilt auch für Russland.