Interview mit Gina Nießer Wuppertaler „Volt“: Pragmatismus statt Idealismus

Wuppertal · Auf ihrem nächsten Kommunalwahlzettel haben die Wuppertalerinnen und Wuppertaler eine neue Partei im Angebot. „Volt“, nach der internationalen elektrischen Maßeinheit benannt, möchte für Wuppertal und Europa eintreten. Wie dieser Spagat gelingt und warum er eben überhaupt keine Verrenkung darstellt, hat das Wuppertaler Gründungsmitglied Gina Nießer Rundschau-Redakteurin Nina Bossy erklärt.

Die Wuppertaler Volt-Gründungsmitglieder Viktoria Lange, Jannis Wecker, Gina Nießer (oben v.li.), Jule Ellis und Lars Herbo  (unten v.li.). Derzeit hat die Partei hier 18 Mitglieder.

Foto: Volt

Rundschau: Seit vergangenem Jahr gibt es die Ortsgruppe Wuppertal. Wie kam es zu der Gründung?

Nießer: „Volt gibt es bereits in umliegenden Städten, zum Beispiel in Düsseldorf und Köln. Dann war September, Spätsommer, und wir haben übers Netz zu einem ersten Treffen in den Deweerthschen Garten in Wuppertal eingeladen. Das Düsseldorfer Volt-Team hatte uns eine Fahne mitgegeben. Da saßen wir dann, meine Freundin und jetzige Volt-Vorsitzende Viktoria Lange und ich. Wir waren froh, als dann acht Leute gezielt auf uns zukamen. Das war der erste politische Moment in meinem Leben.“

Rundschau: Wie hat es sich angefühlt?

Nießer: „Das war wie mit dem Schweinehund beim Sport. Es hat mich wirklich Überwindung gekostet. Ich hatte schon lange Lust, mich politisch zu engagieren. Aber wie geht das? Einfach am Wahlbüro der Grünen klopfen?“

Rundschau: „Volt“ möchte – so steht es auf der Homepage – weg vom Idealismus hin zum Pragmatismus. Gerade für pragmatische Lösungen ist Europa derzeit nicht bekannt.

Nießer: „Europa ist sehr komplex. Und manchmal braucht es das gar nicht zu sein. Wie wird eine Stadt autofrei? Dazu muss kein Parlament lange über Theorien debattieren. Der Blick nach Madrid reicht. Oder: Warum kann ich in einer estländischen Stadt meinen Führerschein ohne Warten abholen, aber in Barmen nicht? Volt ist überzeugt, dass es für viele Probleme bereits Lösungen gibt. Und diese können als „Best Practice“, also als Vorbilder, anderen Städte dienen. Die Vernetzung der Partei in jedes Land und in jede Stadt macht das Übertragen von Lösungsansätzen leicht und eben unbürokratisch möglich.“

Rundschau: Pragmatismus statt Idealismus. Braucht es nicht gerade in der Politik Ideale, um die Idee eines sozialen Systems aufrecht zu erhalten?

Nießer: „Wir lehnen einen Idealismus für uns ab, weil wir sehen, wie andere Parteien an ihrem selbst gesetzten Standard zerbrechen und Vertrauen verlieren. Werte haben wir aber auch. Wir nennen sie Herausforderungen: Der Klima-Ausgleich, soziale Gleichberechtigung, ein intelligenter Staat, eine politisch aktive Bürgerschaft, wirtschaftliche Erneuerung und die EU-Reform.“

Das Wuppertaler „Volt“-Gründungsmitglied Gina Nießer.

Foto: Thomas Sänger

Rundschau: „Volt“ steht für paneuropäische Politik. Wofür stehen die Ortsgruppen in den Städten? Wie kann „Volt“ der Barmerin helfen, die unter den Schlaglöchern vor ihrer Tür leidet?

Nießer: „Wir glauben, dass eine europäische Perspektive eben genau solche lokalen Probleme lösen kann. Die Straße, auf die wir vor unserer Haustür treten, ist Politik. Und der Blick über Landesgrenzen hinaus kann Lösungen bieten. Was läuft in anderen europäischen Städten besser? Und wie kann ich diese Lösung auf unsere Stadt, unseren Bezirk übertragen? Ganz bewusst gibt es eben bei Volt nicht nur eine Europa-Partei oder eine Bundespartei, sondern Städteteams. Die sind bei Volt die eigentliche Power, um vor Ort Probleme zu erkennen und Bürgerinnen und Bürgern Lösungen zu bieten. Es beginnt eben genau vor der eigenen Tür, und darauf kommt es an.“

Rundschau: Die Gründungsmitglieder sind alle unter 30 Jahre. Wen wollen Sie erreichen?

Nießer: „Uns ist bewusst, dass wir sehr jung sind. Die Mitglieder sowie die Partei. Aber in anderen Städten, zum Beispiel in Köln, sitzen auch Parteifreunde in den Stadträten, die über 60 Jahre alt sind. Jeder, der unsere Idee mag, ist willkommen. Je diverser wir sind, desto besser. Nach dem Lockdown gehen wir bei sogenannten ,Listenings Tours’ in die Stadtteile, um den Menschen zuzuhören und mit ihnen direkt ins Gespräch zu kommen. Darauf freuen wir uns sehr.“

Rundschau: Sie sagen, Sie wollten sich immer gerne politisch engagieren. Sie haben nicht bei den Grünen geklopft, aber sich mit der „Volt“-Flagge in den Deweerthschen Garten gesetzt. Warum haben Sie den Schweinehund für diese neue Partei überwunden?

Nießer: „Ich habe ein Jahr in London gelebt. Der Brexit schmerzt mich. Da hat jemand eine Mauer gebaut. Zum ersten Mal ist mir bewusst geworden, dass die Welt schwieriger werden kann. Und dann kam Volt und ich dachte: Warum nicht? Vielleicht wird es nichts. Vielleicht wird es aber auch riesig.“