Interview mit Holger Berg vom Wuppertal Institut "Wir haben bei der Erde einen Kredit aufgenommen"

Wuppertal · Am 2. Mai hat Deutschland die verfügbare Menge an natürlichen Ressourcen für das Jahr 2018 aufgebraucht. Ab diesem Zeitpunkt leben wir sozusagen auf Pump, es werden mehr Ressourcen verbraucht, als die Erde verkraften kann.

Holger Berg vom Wuppertal Institut erklärt, was es bedeutet, dass wir seit dem 2. Mai bei der Erde auf Pump leben.

Foto: Wuppertaler Rundschau

Aber was genau bedeutet das für uns? Rundschau-Volontärin Hannah Florian fragte nach bei Dr. Holger Berg, Projektkoordinator für Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut.

Herr Berg, ganz einfach erklärt: Was versteckt sich hinter dem Erdüberlastungs-Tag?

Berg: Ganz einfach: Am 2. Mai haben wir in Deutschland bei der Natur einen Kredit aufgenommen. Es wurde ein Blick darauf geworfen, wie viele nachwachsende Rohstoffe Deutschland bezogen auf seine Fläche in 2018 produzieren kann und wie viele verbraucht werden. Am Erdüberlastungs-Tag gerät dieses Verhältnis ins Ungleichgewicht, wir verbrauchen ab diesem Datum mehr, als durch die Natur produziert und auch wieder aufgenommen werden kann.

Rundschau: Wenn wir ab sofort mehr verbrauchen, als an natürlichen Ressourcen vorhanden ist, worauf läuft das hinaus?

Berg: Im Endeffekt auf die Zerstörung der Natur. Insgesamt bräuchte es etwa drei Erden, würden alle Länder denselben Verbrauch aufweisen wie Deutschland, im Falle der USA sogar fünf Erden. Wir nehmen einfach mehr, als die Erde uns geben kann.

Rundschau: Wenn Deutschland so viel "verbraucht", wie funktioniert es denn dann, dass wir immer noch von allem genug haben?

Berg: Zuerst einmal beziehen wir nicht alle Ressourcen aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern. Einige Länder haben einen sehr großen Fußabdruck, weil dort sehr viele Menschen leben und pro Kopf sehr viel konsumiert wird. In anderen Ländern leben weniger Menschen auf größerer Fläche, so gleicht sich der Verbrauch auf die Welt gesehen ein wenig aus. Trotzdem bräuchten wir eigentlich mehr als eine Erde, um unseren Verbrauch zu decken. Zurzeit leben wir noch von den Reserven, die über Jahrmillionen aufgebaut wurden.

Rundschau: Kann man das an einem Beispiel deutlich machen?

Berg: Die Erde sammelt Vorräte an natürlichen Ressourcen an. Das kann Boden sein oder Regenwald. Die Bevölkerung geht her und verbraucht diese Vorräte, indem sie zum Beispiel den Regenwald abholzt.

Rundschau: Im Jahr 1987 fiel der weltweite Erdüberlastungs-Tag noch auf den 19. Dezember, im letzten Jahr lag er schon auf dem 2. August. Wohin führt diese Entwicklung?

Berg: Die Ressourcen der Erde sind eben nicht unendlich, irgendwann sind sie aufgebraucht. Wenn der Erdüberlastungs-Tag in einigen Jahren plötzlich im Januar liegt oder bereits im Vorjahr, kann es eventuell sein, dass wir nicht mehr alle Menschen auf der Erde ernähren können. Die Natur wird vollständig zerstört.

Rundschau: Im Lauf von 27 Jahren ist der Moment, ab dem wir bei der Erde auf Pump leben, um mehr als vier Monate vorgerückt. Wie kann das sein?

Berg: Das ist zurückzuführen auf eine wachsende Weltbevölkerung, zunehmenden Wohlstand und den damit verbundenen steigenden Konsum. Die bereits entwickelten Länder spielen dabei natürlich die größte Rolle, aber auch in Schwellen- und Entwicklungsländern wird immer mehr verbraucht.

Rundschau: Wird der Tag der Erdüberlastung in 27 Jahren wieder um vier Monate vorgerückt sein?

Berg: Es kann sein, dass der Tag sogar noch schneller weiter im Jahr vorrückt. Es könnte aber auch eine Besserung eintreten, wenn zum Beispiel mehr nachhaltige Landwirtschaft eingesetzt wird.

Rundschau: Was kann jeder Einzelne tun, um der Erdüberlastung entgegenzuwirken?

Berg: Den Konsum einschränken, mal das Auto stehen lassen, etwas leihen, anstatt zu kaufen… Auf der Internetseite des Wuppertal Instituts kann man unter www.ressourcen-rechner.de seinen "Material Footprint" ausrechnen lassen und sich dann die Frage stellen: Was brauche ich wirklich? Überkonsum wird gerade bei Nahrungsmitteln deutlich, wir schmeißen einfach viel zu viel weg. In Wuppertal wird an einigen Stellen schon mehr geteilt anstatt besessen, zum Beispiel beim Foodsharing wie am Arrenberg oder bei der solidarischen Landwirtschaft dort. Damit schützen wir unsere Erde.