Entspannung und Achtsamkeit Komm, wir gehen waldbaden!
Wuppertal · Wenn Nicole Drick baden geht, wird sie in der Regel dabei nicht nass. Statt im Wasser ist die Wuppertaler Gesundheitspraktikerin im Wald unterwegs, alleine und in Gruppen. Über das Klischee der Bäume umarmenden Wald-Therapeutin muss sie schmunzeln. Beim Waldbaden steht keine esoterische Verbindung zu Baum und Natur im Vordergrund, sondern Achtsamkeit und Gesundheitsförderung.
„Lass deine Sinne zu deinen Fußsohlen wandern. Spüre den Waldboden, auf dem du stehst. Stell dir vor, aus deinen Füßen sprießen Wurzeln in die Erde, verankern dich im Boden.“ Mit sanften Worten lässt Nicole Drick mich in mein Bad gleiten. Hinein in das grüne Meer aus Blättern und Nadeln, zwischen Baumstämme, Wurzeln und Moos.
Im Osterholz in Vohwinkel haben wir uns zum Waldbaden verabredet. Zwei Stunden lang möchte mich die Gesundheitspraktikerin durch den Wald führen, um meine Achtsamkeit zu schulen und meine Gesundheit zu stärken. „Die Zeit verfliegt zwischen den Bäumen“, verspricht Nicole Drick. Ich bin gespannt.
Seit Mai 2018 bietet die 48-jährige Wuppertalerin Kurse im Waldbaden an. Gelernt hat sie die Praktik der Achtsamkeitsspaziergänge auf professioneller Basis in der „Deutschen Akademie für Waldbaden“. Bis zur Geburt ihrer Kinder arbeitete Nicole Drick als Bankkauffrau weit weg von der Natur. Der Job hinterm Schreibtisch erfüllte sie nicht. Sie suchte den Kontakt zu Menschen, bildete sich in Jin Shin Jyutsu, der „Harmonisierungskunst“, fort und schließlich im Waldbaden. Unter „Transforming Balance“ – verwandelnde Balance – fasst sie ihre Praktiken zusammen.
Die Tradition des Waldbadens, erzählt die Bademeisterin, kommt ursprünglich aus dem Japanischen, Shinrin Yoku wird es dort genannt. „Es wirkt sich mehr als positiv auf unsere Gesundheit aus, senkt Blutdruck und Blutzucker, reguliert den Puls und reduziert Stresshormone.“
Nicht nur die von Nicole Dricks „Patienten“, sondern auch ihre eigenen. Unerwartet starb vor drei Jahren ihr Ehemann, der Vater ihrer zwei Kinder. Geholfen hat der Wuppertalerin in der Phase tiefer Trauer kein Gruppengespräch, sondern der Wald. In den Bäumen, im Boden und in der Luft fand sie jemanden, der ihr zuhörte. Zwischen Blättern und Nadeln konnte sie weinen und ihre Last abladen. „Jedes Mal bin ich mit einem besseren Gefühl herausgekommen, als ich hineingegangen bin. Und das ist heute noch so.“
Schnelles Laufen befördert Stress, langsames Gehen entschleunigt. Statt viel Strecke hinter uns zu bringen, fordert Nicole Drick mich auf, meine Wahrnehmung zu erweitern. Während wir gemächlich über schmale, zugewachsene Pfade durch den Wald schlendern, befühlen wir die kalte, glatte Rinde der Birke und spüren die Wärme der Eiche. Wir riechen den Geruch des Mooses, hören das Rauschen der Blätter und beobachten feine Spinnenweben, die in der Sonne glitzern. „Wie ein Kind“ entdecke ich alles neu, bin mit mir und der Natur um mich herum beschäftigt. Zeit nur für mich, fern vom Alltag.
Der Gong einer Klangschale holt mich in die Realität zurück. „Ich habe schon Teilnehmer gehabt“, erzählt die 48-jährige Wuppertalerin, „die sind mitten im Wald einfach eingeschlafen.“ So tief wirkte die Entspannung.
Nicht jeder, der mit dem Hund oder der Familie durch den Wald spaziert, geht waldbaden. Führt Nicole Drick über verschlungene Pfade durch das Osterholz, leitet zu Atem- und Augenübungen an, ist der Effekt ein anderer. Die Entspannung sitzt tiefer, wirkt nach.
Regelmäßig in Blöcken von sechs bis acht Terminen führt die Gesundheitspraktikerin kleine Gruppen in den Wald. Drei Stunden lang sind die Teilnehmer mit ihr unterwegs. Bei Bedarf leitet sie auch Einzelpersonen an. Kostenpunkt: 65 Euro, für Waldbaden in der Gruppe 27 Euro.
Zum Ende unseres Bades im Blättermeer gibt meine Bademeisterin mir eine Entspannungsübung mit auf den Weg. Drei Fragen, die ich mir in stressigen Situationen ins Gedächtnis rufen soll: Wie stehe ich? Was denke ich? Was fühle ich? „Das entschleunigt und bringt Ruhe“, sagt sie. Und die Zeit im Wald? Verging wirklich wie im Fluge.