Diskussion mit Verfassungsschutz-Präsidenten Draußen Proteste, drin viele Fragen
Wuppertal · „Die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes im Kampf gegen den Rechtsextremismus“ – dieses heiße Eisen diskutierten in der Elberfelder City-Kirche vor rund 200 Gästen der neue Präsident des Bundesverfassungsschutzes (und Wuppertaler) Thomas Haldenwang sowie der Strafverteidiger und „NSU“-Prozess-Nebenklageanwalt Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler.
Schnell war klar: Es wird schwierig, verlorenes Vertrauen in die heftig kritisierte Behörde zurückzugewinnen. Das galt nicht nur für die rund 50 Verfassungsschutzgegner, die vor der von Polizei teilweise abgeriegelten Kirche demonstrierten, sondern durchaus auch für die Besucher im Kirchenraum.
Die Behörde, die im Zusammenhang mit dem „NSU“-Thema durch ans Tageslicht gekommene Verstrickungen, Ermittlungsfehler, offenbar unkontrollierten V-Leute-Wildwuchs und vieles mehr sowie das Verhalten ihres Ex-Chefs Maaßen schwer unter Beschuss steht, sieht sich mit massivem Vertrauensverlust konfrontiert. Das wieder geradezurücken, mühte sich Thomas Haldenwang. Offen benannte er – mit Blick auf den Mordfall Lübcke sowie die rechten Attentate von Halle und Hanau – eine „besondere Dynamik des Rechtsterrorismus“ und gab zu Protokoll, er schenke „auch der Beobachtung von Flügeln der AfD große Aufmerksamkeit“. Haldenwang räumte mit Blick auf die Vergangenheit ein: „Der Verfassungsschutz hat nicht durch Erfolge geglänzt. Wir haben eindeutig Fehler gemacht, Dinge falsch bewertet. Das schafft Misstrauen.“
Mehmet Daimagüler formulierte seinerseits als Grundsatz-Erkenntnis: „Nach dem ‚NSU’ ist nichts wirklich passiert. Akten-Schreddern, Lügen und Intransparenz haben den Verfassungsschutz für die Bürger zu einer Black Box werden lassen.“ Der Rechtsanwalt weiter an die Adresse des neuen Verfassungsschutz-Chefs: „Ich erkenne Ihren Reformwillen an, aber wenn beim ’NSU’-Prozess ein Nazi-Zeuge mit einem vom Verfassungsschutz bezahlten Anwalt auftritt, wird das Merkel-Versprechen von der lückenlosen Aufklärung konterkariert.“
Haldenwang, der zu erkennen gab, lieber nach vorn schauen zu wollen, gab das Versprechen des intensiven Versuches, verlorenes Vertrauen „durch Maßnahmen, nicht nur durch Reden“ wieder zurückzugewinnen: „Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst, beispielsweise in der Polizei und auch im Verfassungsschutz, müssen weg.“ Mehmet Daimagülers trockener Kommentar: „Ich beneide Sie nicht. Ich glaube nicht, dass Sie die Kontrolle haben.“
Daimagüler weiter: „Da gibt es die sogenannte ‚Zehntausender-Todesliste’ der Rechts-Terroristen. Wurden beispielsweise hier in Wuppertal die Alte Synagoge oder die jüdische Kultusgemeinde darüber informiert., ob sie auf dieser Liste stehen?“ Thomas Haldenwangs Antwort, der Verfassungsschutz könne „nicht alles schaffen, das ist Aufgabe der Polizei“ sorgte für Rumoren im City-Kirchen-Publikum. Der Verfassungsschutz-Präsident blieb allerdings bei seiner Linie, verwies auf zahlreiche aktuelle Erfolge im Kampf gegen Rechtsextreme, formulierte: „Man kann nicht von heute auf morgen eine heile Welt herstellen. Da sind alle in der Gesellschaft gefragt.“ Den etwa 4.000 Mitarbeitern des Verfassungsschutz-Bundesamtes stünden rund 12.700 als gewaltbereit geltende Rechtsextremisten gegenüber.
Man wolle aus Fehlern der Vergangenheit lernen – beispielsweise in Sachen des „V-Leute-Unwesens“. Haldenwang wörtlich: „Mit solchen Figuren darf ein Rechtsstaat nicht kooperieren.“ Die Bemerkung „Das erzählen Sie uns jetzt ...“ aus dem Publikum machte den Spannungsbogen der Veranstaltung – wie viele andere Fragen aus den Reihen der Gäste auch – deutlich.
Zum Schluss des von Antonia Dicken-Begrich behutsam moderierten Abends gab es viel Applaus für Mehmet Daimagüler: „Der beste Verfassungsschutz ist der kritische und solidarische Bürger. Darum sollten die 400 bis 500 Millionen Euro, die die AfD als Feinde der Demokratie aus den Wahlkampfkostenerstattungskassen der Demokratie bekommt, vom Staat in gleicher Höhe an die Initiativen bezahlt werden, die sich dem Kampf gegen den Rechtsextremismus widmen.“