Prozess in Wuppertal Fünf tote Kinder: Tragödie mit vielen Fragezeichen

Wuppertal / Solingen · Der Ausnahmezustand begann schon in der Sonntagnacht. Boulevardjournalistinnen und -journalisten hatten vor dem Gerichtsgebäude campiert, um an die wenigen Zuschauerplätze zu kommen beim Prozessauftakt gegen die Mutter aus Solingen, die laut Anklage im September 2020 fünf ihrer sechs Kinder erstickt und ertränkt haben soll. Und eines ist jetzt schon klar: Am Wuppertaler Landgericht wird dieser Prozess wohl Rechtsgeschichte schreiben.

Gerichtssprecher Dr. Matthias Roth nimmt Stellung.

Foto: Mikko Schümmelfeder

„So etwas hatten wir hier noch nicht“, war dazu von Gerichtssprecher Dr. Matthias Roth zu hören. Noch nicht mal der „Springmann-Prozess“, an dessen Ende die Verurteilung des Enkels zu lebenslanger Haft mit Sicherungsverwahrung gestanden hatte, fand unter einem solchen Medienandrang statt. Schon das Anmeldeverfahren für Journalistinnen und Journalisten war kompliziert: Am Ende waren längst nicht alle Medien zum Zug gekommen, die gerne aus dem Gerichtssaal berichtet hätten. Es soll sogar Geld geboten worden sein, um akkreditierten Berichterstatterinnen und Berichterstattern die Platzkarte abzukaufen. Straftaten wie diese erregen Aufsehen - wohl auch, weil sie vor allem eines sind: eine Tragödie.

Es blitzte und klackte auch noch, als die Angeklagte zum Prozessbeginn am Montag aus dem Untergeschoss im Saal des Landgerichts vorgeführt wurde. Verbergen andere schon mal ihr Gesicht hinter Aktenordnern vor den Fotografinnen und Fotografen, tat die Solingerin das nicht. Sie wirkte angespannt und konzentriert, als Staatsanwalt Heribert Kaune-Gebhardt die Anklage verlas. Immer wieder schob die schmächtig wirkende Frau sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Der 28-Jährigen wird heimtückischer Mord vorgeworfen, sie soll fünf ihrer sechs Kinder (19 Monate bis 8 Jahre) getötet haben. Als die von der Großmutter alarmierte Polizei die Wohnungstüre in der Solinger Hasseldelle aufbrach, waren Melina (1), Leonie (2), Sophie (3), Timo (6) und Luca (8) schon tot. Der älteste Sohn (11) war in der Schule – ihn schickte die Mutter später zur Oma, bevor sie sich am Düsseldorfer Hauptbahnhof vor den Zug warf.

Mit der Anklage wurden nun Details der Tat bekannt, von der die Mutter behauptet, sie nicht begangen zu haben. Sie soll einer psychiatrischen Gutachterin erzählt haben, dass ein Mann mit Maske in die Wohnung eingedrungen sei und die Kinder getötet habe.

Was in der Anklageschrift verlesen wurde, war nur schwer auszuhalten. Die drei Mädchen und die beiden Jungen wurden demnach mit Medikamenten schläfrig gemacht, einzeln geweckt, in der Badewanne ertränkt und in Handtücher gehüllt zurück in ihre Kinderbetten gelegt. Gleich zu Beginn hatten die Verteidiger angekündigt, den von der Staatsanwaltschaft beauftragten psychiatrischen Gutachter unter anderem wegen Befangenheit abzulehnen. Die Möglichkeit eines erweiterten Suizids sei überhaupt nicht in Betracht gezogen worden. Zudem sei dessen Methode „schablonenhaft“, man würde sich stattdessen Norbert Nedopil als Sachverständigen wünschen. Der Mollath-Gutachter gilt als Meister seines Fachs, von ihm erwarte man sich mehr Einfühlungsvermögen in die Belange der Angeklagten. Dass seine Mandantin in der Öffentlichkeit als „Monster“ dargestellt werde? „Der angeklagte Sachverhalt ist unbestritten schlimm“, so Verteidiger Thomas Seifert. Und dennoch: Menschen so zu sehen, das falle ihm schwer.

In der Solinger Hasseldelle hatte eine Nachbarin damals sechs Kerzen aufgestellt vor dem Haus, in dem die Familie wohnte: fünf für die toten Kinder und eine für die Mutter. Kindsmorde haben das Potenzial, eine Gesellschaft zu spalten in diejenigen, die sofort nach der Höchststrafe rufen. Und in die Ratlosen, die gerne wissen würden, was eine Mutter dazu bringt, ihre Kinder zu töten.

Gleich nach der Tat hatte es etliche Erklärungsversuche von Expertinnen und Experten gegeben. So schaute etwa der renommierte Kriminalist Axel Petermann ratlos in das benachbarte Solingen, um unter anderem die Frage aufzuwerfen, ob hier nicht auch die Corona-Wirren bei der allein erziehenden Mutter zu einem massiven Gefühl von Überforderung geführt haben könnten. Es war allseits gewarnt worden vor den Folgen der Pandemie mit Blick auf diejenigen, die sich schon zuvor an der Belastungsgrenze bewegt hatten.

Auch diesen Fragen wird das Gericht in den kommenden Verhandlungstagen nachgehen müssen, im August soll das Urteil verkündet werden. Bis dahin wird der Ausnahmezustand am Eiland wohl anhalten.