Uni-Projekt zum Thema Gedränge und Vorfall mit YouTube-Star "Problem entsteht nicht erst durch Panik"

Wuppertal · Seit der Loveparade-Katastrophe sind Sicherheitskonzepte für Großveranstaltungen besonders in den Fokus gerückt. Ein Experiment an der Bergischen Uni untersucht, welche Faktoren dichtes Gedränge wie beim Auftritt des YouTube-Stars Mike Singer diese Woche im Elberfelder Saturn beeinflussen.

Während eines Auftritts des YouTube-Stars Mike Singer vergangenen Dienstag mussten 28 Menschen ärztlich versorgt werden.

Foto: Instagram/robviernullsieben

Am vergangenen Dienstag sorgte die Autogrammstunde des YouTube-Stars Mike Singer für mehrere kollabierte Teenager in der Elberfelder Innenstadt. Der Elektromarkt Saturn hatte den 18-jährigen Sänger zum ersten Auftritt im Rahmen seiner Autogrammtour nach Wuppertal eingeladen. Welchen Ansturm sein Auftauchen auslösen würde, damit hatten die Veranstalter sicher nicht gerechnet: Gegen 16 Uhr standen laut Angaben der Wuppertaler Polizei über 2.000 Menschen auf dem kleinen Platz vor dem Elberfelder Saturn. Erwartet hatten die Organisatoren nach eigenen Angaben deutlich weniger Besucher.

Wie entsteht zu dichtes Gedränge? Das untersuchen die Forscher Anna Sieben und Armin Seyfried in einem Experiment an der Bergischen Universität.

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Eine Sprecherin von Saturn betont: "Trotzdem war das Sicherheitskonzept auf eine große Menge angelegt." Doch wie kam es dann zu dem dichten Gedränge, in dessen Folge 28 Besucher ärztlich versorgt und sieben Fans leicht verletzt ins Krankenhaus gebracht werden mussten?

Genau um dieses Thema ging es — tatsächlich zufällig — in der vergangenen Woche bei einem vier Tage laufenden Experiment an der Bergischen Universität. Forscher der Uni Wuppertal, Uni Bochum und des Forschungszentrums Jülich suchen Antworten auf die Frage: Wie verhalten sich Menschen im Gedränge? Als Probanden dienten den Forschern Studenten der Uni Wuppertal, die sich in den Pausen zwischen den Vorlesungen im Foyer des Gebäudes K plötzlich in der Einlasszone zu einem einzigartigen Konzert befanden.

Projektleiter des Experiments sind Armin Seyfried und Anna Sieben. "Wir schleusen die Probanden durch eine Engstelle und erzählen ihnen dabei, dass nur die ersten einen guten Platz vor der Bühne ergattern", erklärt Anna Sieben. "Das beeinflusst die Motivation und die Stimmung der Menge."

"Natürlich haben wir auch von der entgleisten Autogrammstunde gehört", erzählt Armin Seyfried, "und es ist überraschend, wie sensibel die Menschen auf so etwas reagieren. Damit hatte sicher keiner gerechnet."

Auf die Frage, wie das Gedränge während des Auftritts des Youtube-Stars hätte vermieden werden können, haben auch die Forscher keine Antwort. "Der Veranstalter weiß nie, wie motiviert die Besucher sind und was sie antreibt. Und das ist ein entscheidender Faktor", sagt Seyfried. Laut der Forscher reicht schon das Verhalten einer Einzelperson aus, um die gesamte Menge zu beeinflussen. Fest steht: "Es funktioniert besser, wenn man keinen offenen Raum hat, sondern die Menschen mit Absperrgittern anleitet." In Bezug auf die Situation vor dem Saturn hat es laut einer Saturn-Sprecherin entsprechende Anleitungen gegeben. "Wir haben mit der Polizei Wuppertal vorab ein geleitetes Wegekonzept ausgearbeitet und Absperrband und Gitter eingesetzt."

Die Polizei Wuppertal spricht hingegen davon, dass die Veranstalter sich zwar erkundigt hätten, wie Besucher auf dem Platz kanalisiert werden könnten, jedoch keine sogenannte "Sondernutzung für den öffentlichen Raum" beantragt hätten.

"Die Autogrammstunde fand innerhalb der Räumlichkeiten statt, somit war die Polizei eigentlich nicht zuständig", so Pressesprecherin Anja Meis. Trotzdem mussten fast 30 Rettungskräfte gegen 17 Uhr zum Kerstenplatz kommen. Besonders als der YouTube-Star den Saturn verlassen wollte, kam es zu brenzligen Situationen. "Sobald Gedränge entsteht, kann man nichts mehr tun", wissen die Forscher.

Viel wichtiger sei es, die Stimmung der Menge von Anfang an zu beeinflussen. "Das Problem entsteht nicht erst durch Panik in der Menge, sondern bereits durch ein leichtes, freudiges Drücken einer Einzelperson", erklärt Anna Sieben.

Die Forscher haben herausgefunden, dass durch wiederholte Ansagen wie "Jeder bekommt einen guten Platz an der Bühne" wesentlich weniger gedrückt und gedrängelt wird. "In den Umstand, wie aus Stau ein Gedränge wird, spielen ganz unterschiedliche Faktoren hinein", erklären die Forscher: Altersklasse, emotionaler Zustand und Geschlecht beeinflussen die Stimmung. "Und vorgestellte Liebe ist sicherlich ein emotionaler Faktor, der bei der Autogrammstunde eines Teenie-Idols zu Aufregung führt", erklärt Armin Seyfried.