Konzert und Diskussion mit Ees Namibias Jugend-Idol begeistert in Wuppertal
Wuppertal · Wie man ein Publikum in wenigen Minuten von Null auf Hundert bringt, hat Singer und Songwriter Ees im Museum auf der Hardt der Archiv- und Museumsstiftung der VEM vorgemacht. Vor knapp 100 Besuchern rockte Namibias Jugendidol bei seinem Auftritt im Rahmen des Länderseminars Namibia & Botsuana die Museums-Bühne.
Im farbenfrohen T-Shirt im "Sun African"-Style, schwarzem Hut und Sneakers im Zebralook präsentiert der 34-Jährige mit seiner Gitarrenbegleitung Lars seinen ganz eigenen "NAM Flava"-Stil. Nam Flava, so bezeichnet Ees selber seine Musik-Richtung, eine Mischung aus Kwaito, African House, Afro Pop, Reggae und Hip-Hop.
Kwaito ist eine Musikart, die in Südafrika entstanden ist, damals eine Antiapartheidmusik, heute eine flotte Tanzmusik, die Ees den Menschen in Deutschland näher bringen möchte. Ein bisschen mehr Sonne in die kalte Winterzeit bringen. In Namibia ist Ees, der eigentlich Eric Sell heißt, als einziger Weißer ein Star des Kwaito, der von einer treuen Fan-Gemeinde begleitet wird.
Der studierte Tontechniker mit deutscher Abstammung in fünfter Generation pendelt seit ein paar Jahren zwischen Windhuk und Köln und möchte seine positiven Lieder nach Deutschland, nach Europa bringen. Ees singt auf Englisch, auch finden Nam-Slang-Worte in seine Texte. Ein Mix aus Deutsch, Englisch und Afrikaans. Seine Songs drehen sich um Liebe und Sehnsucht, ums Erwachsenwerden der Jugendlichen im südlichen Afrika, um Hoffnung und Glück, auch wenn das Leben in Namibia so manch einem nicht viel zu bieten hat. Seine Texte sind das pralle Leben.
Seine Fröhlichkeit ist ansteckend und seine gute Laune allgegenwärtig, in den Texten, den Melodien. Schon beim ersten Song "Woza December" (Komm her, Dezember) sind die Zuschauer in Stimmung. "Musik ist da, um Menschen zu bewegen", sagt Ees. Etwa mit dem nachdenklichen Song "Just do it!", der die Leute auffordert, an den Start zu gehen, "auch wenn du mal wieder nicht weißt, was du willst oder wer genau du bist, geh hin, mach genau was du fühlst, steh auf!"
Ees weiß, wie man unterhält und das Publikum in seinen Bann zieht. Er flirtet mit dem Publikum, neckt seinen Gitarrenspieler, tanzt auf der Bühne. Bei dem Song "We are one" gibt Ees die Regieanweisung ans Publikum, nicht zu klatschen, lieber zu singen "We got different faces but we are all the same. It's our future! Let's live our life!" (Wir haben zwar unterschiedliche Hautfarben, aber wir sind alle gleich. Es ist unsere Zukunft! Lass uns unser Leben leben!).
Die Energie, der Spaß, den Sänger Ees und seine Begleitung auf der Gitarre am gemeinsamen Musizieren haben, überträgt sich rasch auf die Zuhörer. Eineinhalb Stunden starke Präsenz auf der Museums-Bühne. Mit der Zugabe "Again‘n Again" bescherte Ees dem Publikum einen bewegenden Abschluss. Und das Publikum belohnte das "Unplugged"-Konzert an außergewöhnlichem Ort mit minutenlangem lautstarken Applaus und spontanen Tanzeinlagen. Am Ende hielt es niemand mehr auf den Stühlen im Ausstellungsraum. Bei dieser energiegeladenen Musik musste man sich ganz einfach bewegen, tanzen, mitsingen. Auch nach dem Konzert nimmt sich Ees Zeit für seine Fans, die zum Teil weit angereist sind. Ein Star zum Anfassen. Das Konzert im Museum hat gezeigt, dass eine Veranstaltung an einem ungewöhnlichen Ort ein Weg sein kann, neue interessierte Menschen — vor allem junge Menschen — zu begeistern.
danach erzählte Ees im Rahmen einer Diskussionsrunde des Länderseminars Namibia & Botsuana aus erster Hand über seine Jugend im südlichen Afrika. Eingeladen hatte die Vereinte Evangelische Mission und die Archiv- und Museumsstiftung der VEM. Rund 50 Gäste waren der Einladung nach Wuppertal gefolgt. Auch hier nimmt sich Ees Zeit für seine alten und neuen Fans, und erzählt ausführlich über seine Kindheit und Jugend in Namibia. Und darüber, wie stolz er heute sei, ein Namibier zu sein. Seine Sneakers sind mit der namibischen Flagge bedruckt. Als er 1983 in Windhuk zur Welt kommt, war Namibia noch der kleine Bruder Südafrikas und Ees, alias Eric Sell, ein kleiner Namboy, der "Wellblechdeutsch" sprach. 1990 wurde Namibia unabhängig und Ees eingeschult. Zum ersten Mal durften "schwarze", "weiße" und "coloured" Kinder gemeinsam zur Schule gehen. Für ihn sei das damals normal gewesen.
Sein Interesse für Musik, für Kwaito wurde während der Schulzeit geweckt. "Ich habe zwar kein Wort verstanden, aber die Musik war klasse." Das Wort Kwaito setzt sich zusammen aus "Kwai" ist afrikaans und heißt total angesagt, "to" steht für Township — also das Angesagte aus dem Township: einfach nur laut sein, pfeifen, tanzen. Seit 2004 macht Ees Kwaito-Musik. Die Meinung der Kritiker ist anfangs geteilt: Darf ein weißer Afrikaner Kwaito machen? Schwarze Namibier fühlten sich getäuscht und meinten, dass er ein Schauspieler sei. Heute wissen diese Kritiker, dass auch ein weißer Namibier Kwaito genauso gut spielen kann wie ein Schwarzafrikaner.
"Über Musik lässt sich eine neue Identität Namibias vermitteln", davon ist Ees überzeugt. Die fortschreitende Digitalisierung habe in den vergangenen Jahren auch die Musikbranche in Namibia extrem verändert. Vor 20 Jahren gab es dort praktisch keine Musikindustrie, sagt Ees. Heute haben 99 Prozent der Jugendlichen in Namibia ein Smartphone, vernetzen sich über Facebook oder andere Plattformen mit der ganzen Welt. Die sozialen Netzwerke sind aus dem Leben der meisten Jugendlichen in Namibia nicht mehr wegzudenken.
Wie einflussreich die sozialen Netzwerke sind zeigt der Aufruf von Ees Anfang März: Unter dem Motto "#itsup2us" hatte Ees mit einer Videobotschaft alle Namibierinnen und Namibier aufgerufen, am 21. März, dem Unabhängigkeitstag, die Initiative zu ergreifen und etwas für eine saubere und grünere Umwelt zu tun: zum Beispiel Müll aufsammeln oder Bäume pflanzen und sich für sozial Schwache einzusetzen. Hundertausendfach wurde der Aufruf geteilt.
Die Reaktionen in Namibia waren unterschiedlich. Viele der älteren Generation hätten seinen Aufruf negativ bewertet. Ees habe quasi als Weißer versucht, den Namibiern zu sagen, wie sie ihren Unabhängigkeitstag feiern sollen. Ein Weißer, der vom System Apartheid profitiert habe, so die Argumentation. Finanzminister Schlettwein habe getweetet, dass jeder seinen eigenen Dreck täglich wegmachen und dass der Unabhängigkeitstag nicht durch einen Säuberungstag ersetzt werden solle. Präsident Geingob meinte, dass das schon lange seine Idee gewesen sei, und rief die Menschen auf, am 1. Mai etwas für das Land zu tun.
Doch 90 Prozent der Jugendlichen — schwarze wie weiße — fanden die Aktion "cool". Die Jugendlichen in Okahandja beispielsweise hätten sich gleich nach dem Aufruf dazu entschlossen, ihre Stadt "sauber zu machen". Ein Beispiel, wie soziale Medien Menschen motivieren, vor allem junge Menschen, sich für ein sauberes Umfeld zu engagieren. In Afrika leben prozentual gesehen so viele junge Menschen wie nirgendwo sonst in der Welt.