Nach Toreschluss - die Wochenendsatire Aktivurlaub

Wuppertal · Früher waren Ferien noch einfach. Ab ans Meer, rein in den Liegestuhl und den Aal lang machen – fertig war die Erholung. Mittlerweile muss man stattdessen Aktivurlaub machen.

Roderich Trapp.

Foto: Wuppertaler Rundschau/Max Höllwarth

Menschen nutzen ihre freien Tage, um mit dem Rad die dafür historisch nicht vorgesehenen Alpen zu überqueren oder in drei Tagen zu Fuß die Donau von der Quelle bis zur Mündung abzulaufen und dabei tolle Eindrücke und Blutblasen zu sammeln.

Mich hat es jetzt auch erwischt. Ich wurde dazu überredet, bei einem Wanderurlaub in hochalpinem Gelände Natur in völlig neuer Dimension zu erleben, dabei gleichzeitig etwas für die Fitness zu tun und am Ende des Tages in geselliger Runde gleichgesinnter Aktivisten aus aller Welt bei alkoholischen Kaltgetränken auf die Geschehnisse bei den leichtfüßig bewältigten, über alle Maßen erfüllenden An- und Abstiegen zurückzublicken.

In der Praxis wurde aber zunächst nichts erfüllt, sondern etwas geleert. Und zwar mein Bankkonto, weil Aktivurlaub heutzutage zwingend den Erwerb unvorstellbarer Mengen an Funktionskleidung erfordert, ohne die man ausweislich einschlägiger Ratgeber schon auf den ersten Höhenmetern im Gebirge unausweichlich dem Tode anheimfallen wird.

Ich investierte also in kackfarbene Hosen und eine bunte Jacke mit 43 Reißverschlüssen, deren Fasern aus der Weltraumforschung tiefer einatmen können als ein Streckentaucher vor dem Startsprung. Außerdem ist die Juppe so warm, dass ich mich damit problemlos zum Übernachten bäuchlings auf eine Packeis-Scholle legen könnte, ohne zu frieren.

Dergestalt professionell bewamst, nahm ich nach Erreichen eines Ferienortes, in dem sich die Einheimischen mit seltsamen Knirsch- und Knacklauten verständigten, den ersten Bergpfad aufwärts in Angriff. Schon nach 200 Metern schwitzte ich wie ein Otter, weil man mich über die Temperaturverhältnisse auf 1.000 Metern Höhe bei strahlendem Sonnenschein Anfang Mai offenbar nur unzureichend aufgeklärt hatte. Es waren ungefähr 20 Grad.

Erschwerend kam hinzu, dass man mir Wanderschuhe verpasst hatte, die alleine so viel wogen wie Luis Trenker inklusive kompletter Ausrüstung. Deshalb musste ich auf dem Klettersteig der Kategorie „leicht“, der einem Wanderweg in den Barmer Anlagen nicht unähnlich war, auch zur Seite treten, um die junge Mutter mit Turnschuhen passieren zu lassen, die mit Baby auf dem Rücken und Hund an der Leine erheblich schneller unterwegs war als ich.

Als ich mir den Schweiß aus den von einer selbstverständlich gegen Schneeblindheit zertifizierten Sonnenbrille für Gletschertouren bedeckten Augen gewischt hatte, sah ich, dass der Pfad vor mir steiler und felsiger wurde. Die theoretisch schöne Aussicht konnte man deshalb praktisch nicht sehen, weil man permanent nach unten gucken musste, um nicht zu stolpern und auf den Bürzel oder in die angrenzende Schlucht zu fallen.

So wuchtete ich mich, die Schuhklötze und den selbstverständlich ebenfalls mitgeführten Funktionsrucksack mit dem Fassungsvermögen einer Wuppertaler Restmülltonne Meter für Meter weiter bergauf.

Auf Empfehlung erfahrener Aktivurlauber hatte ich ihn mit einem Kasten Mineralwasser, 25 Metern Dauerwurst, Wechselwäsche, einem Ein-Mann-Zelt und Campingkocher gefüllt, damit man es warm hat, wenn man in eine Gletscherspalte fällt und auf die Bergwacht warten muss. In der beliebten TV-Serie „Die Bergretter“ sieht man ja, dass sowas Wanderern in den Alpen quasi stündlich passiert.

Mit letzter Kraft erreichte ich dann doch noch eine Hütte, auf der alle schönen Plätze in der Sonne von einer japanischen Reisegruppe belegt waren, die mit der hier oben endenden Seilbahn auf die Hochalm gefahren war.

Ich trank also abseits den halben Kasten Mineralwasser aus und machte mich an den Abstieg. Dabei hielt ich auf halber Strecke kurz an, um die sich für einen Moment auftuende Fernsicht auf schneebedeckte Gipfel und grüne Täler zu genießen.

„Vielleicht doch nicht so übel mit dem Aktivurlaub“, dachte ich mir. Bis ich mich zum Weitergehen umdrehte und mein Blick auf eine in den Fels eingelassene Tafel mit dem verblichenen Foto eines Mannes in meinem Alter fiel. Unter dem Bild stand geschrieben: „Hier an dieser Stelle auf seinem Lieblingsweg wurde mein Mann Dieter am 11. Juli 2006 von einem herabfallenden Stein am Kopf getroffen und starb an den Folgen.“ Nächstes Mal wieder Meer, woll ...

Bis die Tage!