Kommentar zur Stadtentwicklung Größer denken!

Wuppertal · Donnerstag fuhr ich den Schwarzen Weg entlang – mit dem großartigen Panoramablick übers Varresbecker Tal hinüber zur Kaiserhöhe. Dort würde die 700 Meter lange Hängebrücke realisiert werden, die zu den Planungen für eine Wuppertaler Bundesgartenschau gehört. Welch faszinierender Anblick und welch faszinierende Sache wäre so eine Brücke.

Stefan Seitz.

Foto: Bettina Osswald

Aber die Bundesgartenschau ereilt gerade das fast schon mit schlafwandlerischer Sicherheit einsetzende Wuppertaler Schicksal aller größeren Projekte mit Strahlkraft: Man braucht noch nicht einmal bis drei zu zählen, schon holt der Chor der üblichen Verzwerger Luft – und stimmt sein immer gleiches Lied an. Kein Mut bei der Politik. Und viel zu viele Bürger lassen sich davon anstecken. Tieftraurig.

Oder nehmen wir das Engelsjahr. Jetzt mal ehrlich: Haben Sie in der Stadt den Eindruck, dass man was davon sieht, was davon merkt? Ein Freund brachte mir einen Artikel aus der „Welt“ vom 21. Juni mit. Der Text geht mit dem Engels-Programm, das Wuppertal zusammengebaut hat, hart ins Gericht. Originalton: „Es ist also Engels-Jahr. Und was macht die Stadt Wuppertal daraus? Um es auf einen Nenner zu bringen: zu wenig“. Die Überschrift: „Engels’ Verzwergung“! Da hatte die „Welt“-Kollegin denselben Gedanken wie ich – und mein bitteres Wuppertal-Lieblingswort gleich auch. Es ist Engelsjahr – aber wo ist das Lametta? Wo sind moderne, junge Konzepte, um die Geschichte in die Gegenwart zu holen? Um dem Gesicht Engels’ ein heutiges Gesicht (oder ganz viele heutige Gesichter) zu geben? Wo sind (über Gregor Eisenmanns tolles, aber leider nur viel kurzes Lichtkunstwerk hinaus) die großen optischen Würfe, so dass die Wuppertaler „ihren“ Engels weithin sehen können? Keine Fahnen entlang der Friedrich-Engels-Allee, kein kantiger Engels-Kopf als Störstein in der Wupper, der hinüber zu seinem Geburtshaus schaut. Warum kommt eigentlich niemand auf solche Ideen? Dafür gibt’s ja jetzt ’nen Tuffi im Wasser. Ist doch auch ganz nett.

Oder Pina Bausch. Am 27. Juli hätte sie 80. Geburtstag gehabt. Gab es irgendwo etwas in „ihrer“ Stadt, das daran erinnert hätte? Keine Illuminationen, keine Pina-Bausch-Filmausschnitte, die nachts an Wänden gelaufen wären – nichts. Für das „Pina Bausch Zentrum“, das (hoffentlich) in sieben Jahren an den Start geht, will die Stadt, um Werbung für das Ganze zu machen, ein Programm entwickeln, damit wir Wuppertaler sozusagen unter dem Motto „coming soon“ das „Pina Bausch Zentrum“ nicht vergessen. Wird man den Menschen in der Stadt große Bilder der großen Werke dieser großen Choreographin zeigen, um damit zu zeigen, dass sie und ihre Kunst immer noch mittendrin sind in Wuppertal? Bilder, die weithin sichtbar sind, Bilder, die jeden erreichen können, der Augen hat? Oder werden es – wie so oft – wieder nur kleine Aktiönchen sein sowie begleitende Veranstaltungen an Orten, die sowieso nur die „üblichen Kulturverdächtigen“ betreten, andere Leute aber nie im Leben?

Das waren nur drei Beispiele. Ich könnte viele mehr aufzählen.

Was ich sagen will: Stadtentwicklung – sprich: die große Querschnittsaufgabe von Politik und Verwaltung, für eine starke Zukunft zu sorgen – wird mit dem Mut zum Größer-Denken gemacht. Nicht mit dem in Wuppertal gebetsmühlenartig gejammerten Lamento, ob dies, das oder jenes nicht doch kleiner und billiger geht. Beziehungsweise, was am Schlimmsten ist, ob wir dies, das oder jenes eigentlich überhaupt brauchen. Weil es, wenn einfach nichts oder fast nichts Neues passiert, ja auch ganz nett sei.

Zurzeit hat diese Stadt keine schlechten Chancen, an einigen Ecken echte Pflöcke einzuschlagen. Zum Beispiel könnte man das Engelsjahr bis Mai verlängern, um eine Menge nachzuholen, das versäumt und verpasst wurde. Und damit meine ich nicht nur Sachen, die Corona zum Opfer gefallen sind. Was ohnehin aktuell auf dem Weg zur Top-Ausrede für alle ist, die am liebsten möglichst wie immer weitermachen möchten ...

Schlussfrage: Wollen wir eigentlich für immer und ewig das (Wupper-)Tal der Zwerge sein? Ich bin absolut dagegen!