Interview mit zwei muslimischen Studenten "Im Ramadan grüßen plötzlich alle auf der Straße"
Wuppertal · Am 16. Mai begann für Kübra Akyol und Ahmet Murat, beide Studenten der Bergischen Uni, der Fastenmonat Ramadan, in dem sie von morgens bis abends nichts essen und trinken. Rundschau-Volontärin Hannah Florian fragt nach, wie sich das Leben der beiden im Fastenmonat verändert.
Rundschau: Die islamische Hochschulgemeinschaft hat auf ihrer Facebook-Seite den Fotowettbewerb "Ramadantal — Zeig uns, wie du durch den Ramadan schwebst" geteilt. Was würden Sie für ein Foto machen?
Kübra Akyol: Ich würde ein Foto von einer leeren Brotdose in der Schwebebahn posten, meiner Ramadan-Lunchbox, die dann eben leer ist.
Rundschau: Für viele Nicht-Muslime ist es kaum vorstellbar, den ganzen Tag nichts in der Brotdose zu haben. Was ist Ihre persönliche Motivation, im Ramadan zu fasten?
Kübra Akyol: Abgesehen von den allgemeinen Gegebenheiten wie Hunger, Durst und Müdigkeit ist der Ramadan für mich eine Zeit, in der ich meine Prioritäten neu ordne und mich von profanen Dingen löse, etwas Abstand gewinne.
Rundschau: Inwiefern ordnen Sie Ihre Prioritäten neu?
Kübra Akyol: Wir Menschen sehen uns oft am Ende der Nahrungskette. Aber der Ramadan zeigt mir, dass ich eigentlich eine Nullnummer bin, wenn ich nur einen Tag lang nichts esse und trinke. Dann bin ich schwach, erschöpft und nicht mehr stark.
Ahmet Murat: Mir wird im Ramadan besonders bewusst, wie konsumorientiert wir leben. Wir nehmen immer Konsum als Anlass, uns zu treffen, zum Beispiel auf einen Kaffee in der Cafeteria. Im Ramadan fällt das weg und auf einmal hat man richtig viel Zeit und nutzt die Zeit produktiver.
Rundschau: Wann genau dürfen Sie denn essen und trinken?
Kübra Akyol: Morgens vor 4 Uhr und abends ab halb 10. Gerade morgens versuche ich immer, richtig viel zu trinken. Man muss einfach gut planen, und nicht immer nur das essen, worauf man gerade Heißhunger hat, wie Chips oder Schokolade. Die ersten zwei, drei Tage sind am härtesten, aber dann wird es leichter.
Rundschau: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es leicht ist, den ganzen Tag über kein Wasser zu trinken.
Kübra Akyol: Es ist nicht leicht, aber es fällt einem mit der Zeit leichter. Und wenn ich es dann geschafft habe, ist das ein tolles Gefühl. Die ersten Tage nach dem Ramadan finde ich es völlig befremdlich, tagsüber Wasser zu trinken. Dann sehe ich die Wasserflasche und denke mir: Das darf ich jetzt trinken?
Ahmet Murat: Wenn man beschäftigt ist und weiterhin in die Uni geht und zum Sport, dann verfliegt die Zeit auch schneller.
Rundschau: Fasten Ihre Familienmitglieder und Freunde auch?
Kübra Akyol: Nein, es gibt viele Leute in meinem Umfeld, die nicht fasten. Meine Oma zum Beispiel, weil sie Diabetikerin ist. Aber auch andere Familienmitglieder verzichten aufs Fasten, nicht weil sie krank sind, sondern weil sie einfach nicht fasten möchten. Nicht jeder fühlt sich gleich stark an die rituellen Pflichten der Religion gebunden.
Rundschau: Gehen Sie im Ramadan gemeinsam mit euren nicht-muslimischen Freunden in die Mensa oder meiden Sie Orte, an denen gegessen wird?
Kübra Akyol: Wenn meine Freunde in die Mensa gehen, dann gehe ich mit und esse einfach nichts, schließlich möchte ich ja auch weiterhin soziale Kontakte haben.
Ahmet Murat: Es ist in Ordnung, wenn die anderen essen, schließlich bekomme ich am Abend auch meine Mahlzeit.
Rundschau: Wie reagieren Ihre Kommilitonen, wenn sie erfahren, dass Sie fasten?
Kübra Akyol: Viele nicht-muslimische Kommilitonen wissen zwar, dass im Ramadan erst nach Sonnenuntergang gegessen wird, aber sie sind trotzdem überrascht, dass ich auch den ganzen Tag über kein Wasser trinke. Sie sind neugierig, wie ich das durchhalte.
Ahmet Murat: Viele Glauben, dass der Ramadan sehr schwierig ist, aber das ist er nicht. Ich freue mich jeden Tag auf das Fastenbrechen mit meiner Familie und wir laden Freunde ein, die man sonst nicht so oft sieht. Das ist schön.
Rundschau: Ramadan ist also eine Zeit, in der man näher zusammenrückt?
Kübra Akyol: Auf jeden Fall. Ich bin ja aufgrund meiner Kleidung schnell als Muslimin erkennbar und im Ramadan grüßen plötzlich Fremde auf der Straße und wünschen mir einen schönen Ramadan.
Rundschau: Mit welchen Fragen oder Vorurteilen werden Sie immer wieder konfrontiert?
Ahmet Murat: Die Frage "Auch kein Wasser?" kommt natürlich immer wieder, da gibt es jetzt sogar so ein Video in den sozialen Medien, in dem eine junge Muslimin typische Fragen auf sarkastische Art und Weise beantwortet. Das gefällt mir. Der Sarkasmus zeigt, dass das Thema Ramadan gerade auch über die sozialen Medien in der Gesellschaft angekommen ist.