Offener Brief an den Rat GEW: „Wuppertal braucht ein Umdenken für Bildung“
Wuppertal · Mit einem offenen Brief hat sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zu Jahresbeginn an den Rat der Stadt Wuppertal gewendet. Der Wortlaut.
„2024 muss ein Jahr des Aufbruchs für Bildung werden. Wenn es so weiter geht, droht der Kollaps für die Schulen. Die GEW Wuppertal muss diese Bilanz am Ende des Jahres 2023 in solch drastischer Form ziehen und mahnt einen Aufbruch für Bildung im Jahr 2024 an.
Der nie dagewesene Lehrkräftemangel lastet schon schwer genug auf den Schultern der Schulen - dafür ist die Stadt nicht verantwortlich – doch es gibt zu viele Baustellen, die von der Stadt verantwortet werden. Dramatischer Schulraummangel, Sanierungsstau, unterbesetzte Verwaltung. Bis jetzt wurden bereits acht Unterrichtscontainer auf Schulhöfen von Grundschulen aufgestellt, im neuen Schuljahr werden 14 zusätzliche Eingangsklassen eingeschult. Grundschulen platzen aus allen Nähten, der Schülerberg rollt auf die Sekundarstufe I zu, doch wo sind die Handlungsstrategien der Stadt?
Diese räumliche Situation macht den Schulen zusätzlich schwer zu schaffen und führt dazu, dass sich Arbeits- und Lernbedingungen von Jahr zu Jahr verschlechtern. Die Klassengrößen in den Grundschulen liegen mit 25,6 weit über dem NRW-Schnitt von 23,5 Schülerinnen und Schülern pro Klasse. Gerade in den besonders belasteten östlichen Stadtgebieten liegt der Schnitt bei sogar bei 26,7 Kindern pro Klasse, wobei hier die zugewanderten Kinder der letzten zwei Jahre noch gar nicht abgebildet sind.
In der Folge sitzen in vielen Grundschulklassen 30 Kinder und mehr, darunter Kinder ohne deutsche Sprachkenntnisse und immer mehr mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Auch die weiterführenden Schulen ächzen unter den weiter steigenden Klassenfrequenzen, in Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien haben fast die Hälfte der Klassen Spitzenwerte von 30 und bis zu 35 Schülerinnen und Schüler pro Klasse. Die Förderschulen warten dringend auf ausreichende Raumkapazitäten.
Welche Chancen haben Kindern in 30er-Klassen, wo Förderung in Kellerräumen, Containern oder Schulfluren stattfinden muss? Schön, dass Schulen Kräfte für Multiprofessionelle Teams einstellen dürfen, aber wie sollen sie ihre Arbeit machen, wenn gar kein Raum dafür vorhanden ist?
Sechs Jahre ist es her, dass der Rat der Stadt Wuppertal Eckpunkte zur Schulentwicklung 2018-2022 beschlossen hat. Doch für Grundschulen blieb der Plan nur Papier. Vier neue Grundschulstandorte waren damals in der Planung, baulich wurde bis heute davon nichts umgesetzt. Die neugegründete Grundschule Matthäusschule fristet ihr Dasein in drangvoller Enge in Übergangscontainern, Ende offen. Für den 2018 beschlossenen Neubau der Grundschule an der Gewerbeschulstraße liegt erst seit 2023 ein Baudurchführungsbeschluss vor. Und das alles, obwohl schon damals die Schülerzuwächse auf dem Tisch lagen und sich seitdem weiter verstärken, auch in den nächsten Jahren. Die siebte Gesamtschule wurde 2021 beschlossen, ob ein Bau in diesem Jahrzehnt Wirklichkeit wird, bleibt fragwürdig.
Es ist für die GEW völlig unverständlich, wie es zum Beispiel dazu kommen kann, das notwendige Baumaßnahmen teilweise über zehn Jahre und mehr verschleppt werden. Stadtrat und Schulausschuss setzen den Hiobsbotschaften der Stadtverwaltung oder des Gebäudemanagements, was alles nicht erledigt wurde, keinen politischen Druck entgegen. Das muss sich ändern!
Dabei muss gerade in einer Stadt wie Wuppertal den Bildungsmöglichkeiten der Kinder besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden. Es gibt nur eines, was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.
Der gerade veröffentlichte Sozialindex (Kriterien unter anderem Kinder- und Jugendarmut, vorwiegend nichtdeutsche Familiensprache, Förderbedarf Lernen, sozial-emotionale Erziehung und Sprache) des Schulministeriums ist ein erneutes Alarmzeichen dafür, dass die Politik in Wuppertal aufwachen muss, um neue Prioritäten für Kita und Schule zu setzen.
In den Sozialindexstufen 6-9 befinden sich laut Schulministerium die „besonders belasteten“ Schulen. Während in NRW 22 Prozent der Grundschulen dazuzurechnen sind, sind das in Wuppertal 51 Prozent, 20 Schulen sind sogar der Stufe 8 und 9 zuzuordnen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Haupt- und Realschulen. Alle fünf Wuppertaler Hauptschulen gelten als besonders belastet, bei den Realschulen sind es 86 Prozent (NRW: 27 Prozent!). Auch vier der sechs Gesamtschulen müssen den höchsten Sozialindexstufen zugerechnet werden (66 Prozent in Wuppertal, 32 Prozent in NRW). Nicht selten gibt es nach unserer Beobachtung gerade an besonders belasteten Schulen einen größeren Sanierungsstau, obwohl gerade diese besondere Unterstützung brauchen.
Diese Alarmzeichen müssen die politisch Verantwortlichen der Stadt aufrütteln. Auf den hohen Anteil von Kindern, die in Armut aufwachsen, muss Wuppertal mit besonderen Maßnahmen für bessere Bildungsmöglichkeiten begegnen. Und genau das vermissen wir in unserer Stadt. Lippenbekenntnisse reichen nicht aus, die Bildungslandschaft muss endlich echte Priorität haben.
Den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung muss jetzt endlich klar werden, dass alle ,Leuchtturmprojekte‘, die in Wuppertal in Planung sind, auf den Prüfstand gehören. Dazu gehört nicht nur die Ausrichtung der Bundesgartenschau, die sicher mehr als 70 Millionen an Eigenmitteln verschlingen wird und schon jetzt Personal und Geld bindet. Eine Stadt wie Wuppertal kann sich nicht alles leisten, was wünschenswert ist.
Die GEW Wuppertal ist der festen Überzeugung: Wuppertal braucht jetzt eine Priorität und ausreichend Finanzmittel für das ,Leuchtturmprojekt‘ Bildung. Dafür erwarten wir Initiativen.“