Bergische Uni Visionen zur Umnutzung des Wicküler-Turms

Wuppertal · Prof. Dipl.-Ing. Annette Hillebrandt vom Lehrstuhl Baukonstruktion - Entwurf - Materialkunde der Bergischen Uni Wuppertal initiiert Studierendenprojekt zu Ausstellungs- und Depotgebäude im Turm der ehemaligen Wicküler-Brauerei.

Designmuseum im Turm der ehemaligen Wicküler Brauerei (Modellfoto).

Foto: Julia Timpert

Frau Hillebrandt, Sie haben mit Ihren Studierenden ein für Wuppertal sehr interessantes Projekt durchgeführt und zwar die Planung einer bzw. eines öffentlich zugänglichen Designsammlung / Museums / Schaulagers für die Design-Sammlung Schriefers. Wie entstand die Idee?

Hillebrandt: „Die Design-Sammlung Schriefers ist eine Studien- und Forschungssammlung der Bergischen Universität. Dieser universitäre Bezug bildete die Grundlage der Ideenfindung. Über 30 Jahre sammelte Werner Schriefers Design-Objekte. 1987 stiftete er einen Teil seiner Sammlung der Universität Wuppertal. (Bilder:)

Visionen zur Umnutzung des Wuppertaler Wicküler-Turms
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Visionen zur Umnutzung des Wicküler-Turms

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Foto: Julia Timpert

Um die Sammlung künftig für die Themen Studium, Lehre und Forschung, Ausstellung und Öffentlichkeit universitätsweit zugänglich zu machen, konzentriert sich die Arbeit der Designsammlung derzeit auf eine grundlegende wissenschaftliche Erfassung und Neustrukturierung der Sammlung, einschließlich der hiermit einhergehenden räumlichen und baulichen Veränderungen und einer umfassenden Online-Erschließung.

Diesem Vorhaben schließt sich die Entwurfsaufgabe im Wesentlichen an. Ziel der Aufgabe war es, eine Zukunftsperspektive bzw. eine Neustrukturierung für die Sammlung Schriefers in der ehemaligen Wicküler-Brauerei unter dem Aspekt der Öffentlichkeit bzw. Sichtbarkeit zu entwickeln.

Der ursprüngliche Sammlungsgedanke Schriefers bestand darin, die Gebrauchsgegenstände den Studierenden der Universität Wuppertal zu Forschungs- und Lehrzwecken zur Verfügung zu stellen. Zur Analyse und zum Funktionsverständnis der Objekte konnten und sollten diese durchaus auseinandergenommen, aufgeschraubt oder zerschnitten werden. Hier sind viele Parallelen zu dem Hauptanliegen unseres Lehrstuhls, also des Urban Mining bzw. Re-Use Designs zu erkennen. Diese Herangehensweise Schriefers des Wiederzusammensetzens war auch ein Teil der Entwurfsaufgabe. Diese sollten im Sinne des Urban Mining zuvor in einer Harvest Map gesammelte brachliegende Bauteile und Baustoffe des Wicküler-Turms oder der Urbanen Miene Wuppertal, wiederverwenden und architektonisch in den Entwurf integrieren.

Außerdem ging es darum, ähnlich wie bei den Gebrauchsgegenständen, die Gebäudestruktur des Brauerei-Turms zu verstehen und architektonisch ansprechend in die neue Nutzung des Designmuseums zu integrieren bzw. in Szene zu setzen, um auch eine Art Repräsentationsgebäude für diese Herangehensweise des Umgangs mit brachliegenden Industriegebäuden in Wuppertal darzustellen.

Außerdem wurden viele inhaltliche Sammlungsideen Schriefers, zum Beispiel die Modularität oder das Prinzip des Aufschneidens zum besseren Konstruktionsverständnis, aufgenommen und bildeten Grundlagen von Strategien oder Ideen im Umgang mit der Bestandsarchitektur und deren Weiterentwicklung oder Übersetzung in eine architektonische Ausdrucksform.“

Was beinhaltet die Design-Sammlung Schriefers eigentlich, und wo findet man sie jetzt?

Hillebrandt: „Die Design-Sammlung Schriefers ist eine stetig wachsende Design-Sammlung, die heute mehr als nur das Konvolut der Schenkung Werner Schriefers aus dem Jahre 1986 beinhaltet. Hinzugekommen sind in den letzten Jahren noch die Sammlung mit Investitionsgütern von Arno Kersting (1918–2011), Sessel, Geschirr und Verpackungsdesign von Jupp Ernst (1905–1987), Schreibtische, Stühle, Tischgruppe etc. aus dem Philosophikum Frankfurt von Ferdinand Kramer (1898–1985) und eine Braun-Sammlung mit Küchengeräten, Radios, Stereoanlagen und Zahnbürsten.

Insgesamt beinhaltet die Sammlung also vorwiegend Investitionsgüter und Konsumgüter aus dem Wohn-, Haushalts- und Bürokontext. Hierzu gehören beispielsweise kleinere Objekte wie Türklinken, Geschirr, Fotoapparate etc. Eine weitere Größenkategorie sind Objekte wie zum Beispiel Ventilatoren, Radios, Plattenspieler, Schreib- und Rechenmaschinen. Die dritte Größenkategorie sind Möbel, wie Stuhl-, Sessel- und Sofakombinationen, oftmals in mehrfachen Ausführungen, um eventuell Stapelbarkeit, chronologische Neuauflagen oder auch die Entwicklung zum Beispiel von Replikaten oder Neuauflagen verstehen und nachvollziehen zu können.

Das ,Highlight‘ bildet sicherlich eine original erhaltene Frankfurter Küche aus dem Jahre 1927 von Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000). Die Sammlung beinhaltet somit einen umfangreichen Fundus mit weitreichenden möglichen Themenschwerpunkten.“

Wer war denn an diesem Projekt beteiligt?

Hillebrandt: „Neben den Studierenden waren an dem Projekt die Lehrenden des Lehrstuhls Baukonstruktion, Entwurf, Materialkunde, Dr. Patricia Merkel, Christina Sonnborn sowie meine Person beteiligt. Zum Abschlusskolloquium und zum gemeinsamen Austausch über das Projekt war außerdem der Architekt und Enkel des verstorbenen Werner Schriefers, Dr. Thomas Schriefers, anwesend.“

Prof. Dipl.-Ing. Annette Hillebrandt (Bergische Uni).

Foto: UniService Transfer

Als Gebäude haben Sie sich den Turm der ehemaligen Wicküler-Brauerei ausgesucht? Warum gerade dieses Objekt?

Hillebrandt: „Projekte im Bestand sind immer auch im Sinne der Nachhaltigkeit und Suffizienz interessant für unseren Lehrstuhl. Die ehemalige Brauerei steht in Wuppertal Unterbarmen in unmittelbarer Umgebung zu unserer Fakultät, eigentlich sogar in Sichtweite des Campus Haspel. Der weithin sichtbare Wicküler-Turm ist Teil eines Gebäudeensembles, das Anfang der 1910er Jahre errichtet wurde.

Heute steht die ehemalige Brauerei leer und sucht als stadtteilprägendes Gebäudevolumen mit geschichtsträchtigem Hintergrund nach einer neuen Nutzung. Aufgrund dessen und aufgrund der besonderen Innenstruktur und Gebäudekubatur der ehemaligen Brauerei, war das Objekt sehr geeignet für unseren Entwurf.“

Mit wieviel Fläche bzw. Etagen konnten sie planen?

Hillebrandt: „Die Entwürfe haben die gesamte Fläche des Wicküler-Turms und des angrenzenden Gebäudes und Parkhauses bearbeitet. Der Wicküler-Turm selber hat im Bestand acht Etagen. Im Zuge ihres Entwurfs wurden von den Studierenden häufig Zwischendecken entfernt, sodass die einzelnen Etagen der ehemaligen Brauerei für die Anforderungen eines neuen, öffentlichen Designmuseums nutzbar gemacht werden könnten und über fantastische Raumqualitäten verfügen würden.“

Nach welchen Kriterien gingen Sie vor?

Hillebrandt: Wichtige Kriterien in der Bewertung sind für uns immer der Bezug zum städtebaulichen Kontext und – in Bezug zur Entwurfsaufgabe – die Funktionalität und Realisierbarkeit auch im Sinne der Barrierefreiheit und anderen allgemeingültigen Anforderungen. Außerdem in unserem Fokus sind die Themen der Nachhaltigkeit, die den Forschungsschwerpunkt des Lehrstuhls bilden: also die ressourcenschonende Verwendung von Neumaterialien und deren Kreislauffähigkeit/Recyclingfähigkeit, der Einsatz von Sekundärrohstoffen oder Gebrauchtbauteilen und die Demontabilität der Konstruktion.

Sie zusammen bilden den möglichen Umfang eines ,Urban Mining-Potenzials‘ ab. Das Highlight und die Kunst der Architektur bleibt jedoch die Erzeugung einer besonderen Atmosphäre –­ hier vielleicht als „Re-Beauty“ zu bezeichnen und natürlich das Storytelling des ,Re-Use‘ dahinter.“

Wie kann man Designobjekte in eine architektonische Sprache bringen?

Hillebrandt: „Dafür muss man sich nur die Entwürfe der Studierenden anschauen. Diese haben es auf unterschiedliche Weise geschafft, Designobjekte und die inhaltliche Sammlungsidee Schriefers in eine architektonische Sprache, in architektonische Mittel zu übersetzen. Die Ergebnisse stellen sich vielfältig dar und reichen von Aufstockungen mit neuen Aussichten über Wuppertal, über Teilrückbauten bis hin zu Entkernungen, die Raum schaffen für neue Erschließungs- und Ausstellungsflächen über Rampen durch den gesamten Turm, mit dem Ziel allen Besuchern gemeinsam und gleichermaßen ein besonderes Museumserlebnis im Sinne der Designsammlung Schriefers zu bieten.“

Was ist das Besondere an diesem neuen Ausstellungskonzept?

Hillebrandt: „Das Besondere des Ausstellungskonzepts ist, dass durch die Neustrukturierung der Sammlung Schriefers, diese künftig für die Themen Studium, Lehre und Forschung, Ausstellung und Öffentlichkeit zugänglich gemacht würde. Durch die Verortung in der ehemaligen Wicküler-Brauerei und die architektonische Interpretation des Sammlungsgedankens Schriefers könnte ein Zeichen der Neuinterpretation und Transformation von ehemaligen Industriegebäuden in Wuppertal gesetzt werden. Darüber hinaus könnte auf städtischer und gesellschaftlicher Ebene zusätzlich ein Denkanstoß in Richtung Wertschätzung von Bestandsbauten, Nachhaltigkeit und Suffizienz gegeben werden.“

Eine der Aufgaben lautete: Entwickeln Sie eine kreislaufgerechte Baukonstruktion. Planen Sie den Ein­satz nachwachsender Rohstoffe, recycelter Materialien sowie wiederverwende­ter Materialien und Bauteile. Welche Baumaterialien kämen denn bei der Umsetzung zum Einsatz?

Hillebrandt: „Es gibt viele Möglichkeiten nachhaltig zu bauen, wie wir in unserem Buch .Atlas Recycling‘ gezeigt haben Den größten Impact Im Sinne der Ressourcenschonung und CO2-Ersparnis hat die Wiederverwendung gebrauchter Bauteile und Materialien. Erst danach folgt der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen – die natürlich nachhaltig kultiviert sein müssen – und gut recyclingfähigen Baustoffen wie Metallen oder Lehm.

Gar nicht mehr verwenden sollten wir verklebte Konstruktionen wie Wärmedämmverbundsysteme und Kompositmaterialen, die aus unterschiedlichsten Materialgruppen zusammen ,gebastelt‘ werden, und die nach Nutzungsende nur Abfall sein können.

Auch gegenüber Baustoffen, die – angeblich zur besseren Performance – oberflächenvergütet werden, z.B. mit Lacken oder Nanobeschichtungen, sollte man vorsichtig sei, denn sie finden sich nach Jahren in unserem Trinkwasser und unseren Körperzellen wieder. Und wenn wir ernsthaft den Klimawandel stoppen wollen: keine CO2-intensiven Materialien wie Zement (Betonherstellung!) mehr!“

So ein neuer Schauraum würde auch das Angebot und die Attraktivität der Stadt Wuppertal steigern. Welche Chance haben solche Projekte, vielleicht doch einmal realisiert zu werden?

Hillebrandt: „Lassen Sie uns doch gemeinsam daran arbeiten und mit den schönen Entwürfen nach Investorinnen und Investoren suchen …“