Bergische Uni Wuppertal Europa muss für eigene Sicherheit sorgen

Wuppertal · Politikwissenschaftler Detlef Sack von der Bergischen Uni Wuppertal über die Präsidentschaftswahl in den USA und die Folgen für Europa.

Dr. Detlef Sack ist Professor für Politikwissenschaft, insbesondere Demokratietheorie und Regierungssystemforschung an der Bergischen Universität Wuppertal.

Foto: Mathias Kehren

Nach dem Attentatsversuch auf Donald Trump meinen viele Fachleute, er kehre stärker zurück als zuvor. Was also könnte eine erneute Präsidentschaft des Republikaners für Deutschland und Europa bedeuten? Prof. Dr. Detlef Sack, Politikwissenschaftler an der Bergischen Universität, sagt: „Trump ist kein Transatlantiker. Europa ist ihm ziemlich egal und er mag auch keine Schwachen.“

Millionen Menschen verfolgten das desaströse Auftreten des amtierenden Präsidenten im ersten TV-Duell, zu dem die „New York Times“ titelte: „Kernschmelze eines Präsidenten“. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kandidaten – das ist Obama auch passiert – in Wahlkampfgesprächen tatsächlich scheitern“, sagt Detlef Sack, „und das hat nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun. In dem Fall ist es allerdings so, dass sich dieses konkrete Rededuell einsortiert in sonstige Beobachtungen, die nahelegen, dass der Kandidat, um den es geht, nämlich Jo Biden, nicht auf der Höhe seiner geistigen und körperlichen Kräfte ist. Hinzu kommt, dass sein Herausforderer nach überstandenem Attentatsversuch stärker und kämpferischer als zuvor erscheint.“ Nun gab Jo Biden überraschend bekannt für eine erneute Kandidatur nicht mehr zur Verfügung zu stehen und unterstützt nun seine Vizepräsidentin Kamala Harris.

Vergreisende Weltpolitiker?

Viele führende Staatenlenker wie Erdogan (70), Xi (71), Putin (71) oder Herausforderer Trump (78) haben das Rentenalter bereits überschritten haben, so dass man fragen könnte, ob die Weltpolitik vergreise? Es gebe auch deutlich jüngere Kandidaten, erklärt Sack, Scholz (66) und Macron (46) seien da europäische Beispiele, aber die zuerst Genannten spielten eben in der Weltpolitik besondere Rollen. „Wir sind gerade damit befasst, dass in diesem Dreieck USA, China und Russland relativ viel passiert, was für Europa und für Deutschland von wichtiger Bedeutung ist.“

Die Presse berichte zwar auch über die jüngste Präsidentschaftswahl mit dem Sieger Massud Peseschkian (69) im Iran, aber das interessiere in Deutschland weniger. Erdogan hingegen sei vor allem vor dem Hintergrund interessant, dass relativ viele türkischstämmige Menschen in Deutschland leben. „Wir haben eine sehr selektive Wahrnehmung auf unterschiedliche Regierungschefs“.

Zu beachten sei dabei immer, dass man über Menschen und Präsidenten spreche, die aus unterschiedlichen Regierungssystemen kämen, also aus Autokratien, Diktaturen oder Mehrheitsdemokratien. Die Überalterung von Staatsoberhäuptern habe immer auch damit zu tun, dass wir demografisch alte Gesellschaften hätten, die sich nur langsam veränderten.

Die besten Talente

Die Vereinigten Staaten haben ca. 335 Millionen Einwohner. In einem Land mit so vielen Talenten blieben zuletzt aber nur ein 78-jähriger Republikaner und ein 81-jähriger Demokrat als Präsidentschaftsbewerber übrig. Das habe mit einem Ausleseprozess sowie mit dem spezifischen Parteiensystem der USA zu tun, in dem zu einem bestimmten Zeitpunkt sowohl Trump als auch Biden sich als beste Talente erwiesen hätten, erklärt der Wissenschaftler.

„Jo Biden war ein hervorragender Diplomat – wie das heute ist, darüber kann ich keine Einschätzung geben – und er ist ein hervorragender Einsammler von Spendengeldern. Das ist im US-amerikanischen Regierungssystem sehr wichtig, um eben auch die Wahl- und Medienkampagnen bestehen zu können. Sein Talent ist, mit der Partei und mit Eliten umgehen zu können. Das ist ganz entscheidend im US-amerikanischen Wahlsystem, um vor allem in den sogenannten Swing-States (Swing-State bezeichnet einen Staat, wo das Wahlergebnis auf der Kippe steht, Anm. d. Red.) entscheidende Wählerstimmen zu gewinnen.“

Aber auch Donald Trump sei ein Talent, unabhängig von jeglicher normativer Bewertung, denn er habe es über Jahrzehnte in der Öffentlichkeit und im politischen System geschafft, dass sich gewisse Teile der Gesellschaft an ihm ausrichteten. „Das ist ein Talent. Ein Talent, Macht auszuüben. Und ein Talent, Bilder und Sprache öffentlichkeitswirksam zu prägen.“

Ins höchste Amt der USA trotz strafrechtlicher Verurteilung

Donald Trump ist ein verurteilter Sexualstraftäter, er hat Regierungsdokumente unerlaubt mitgenommen, ihm droht eine Anklage im Zusammenhang mit dem Sturm auf das US-Kapitol und in nahezu allen Reden bei Wahlkampfauftritten kann man ihm Lügen nachweisen. Warum kann er trotzdem ins höchste Amt der USA gewählt werden? „Das ist möglich, weil das keine Voraussetzungen sind, die für die Wählerinnen und Wähler von Trump relevant sind“, erklärt Sack und fährt fort, „diese Aussagen würde schon bei Fox News niemand verstehen. Das ist eine Frage, die könnte man beim Barbecue einem Republikaner stellen, aber der würde einen einfach verständnislos angucken. Das ist der Kern des Konfliktes in den USA. Es gibt zwei Seiten, Republikaner und Demokraten, die sich im Kern wechselseitig nicht mehr verstehen. Sie nehmen sich nicht mehr als politische Gegner wahr, sondern als Freunde oder Feinde.“

Trump könne Wählerstimmen generieren, Wähler mobilisieren, er sei sichtbar und man könne sich an ihm ausrichten. „Er ist jemand, vor dem man Angst haben muss“, sagt Sack, „das heißt, als innerparteilicher Gegner würde ich mich vor ihm fürchten. Innerparteilich gehen Rivalinnen und Rivalen nie besonders sanft miteinander um. Ich würde sogar sagen, dass Trump in der Härte der Auseinandersetzung auch innerparteilich anders dasteht und dass auch seine Gefolgschaft eine ist, die Angst verbreiten will, auch innerhalb der Republikaner. Wir haben also das Hoffnungsprinzip, dass die Republikaner mit Trump die Wahlen gewinnen werden. Und wir haben das Angstmotiv. Man muss vor ihm Angst haben, auch wenn man moderater Republikaner ist, und es gibt kaum noch Rückzugsräume, keine Wertschätzung und Würdigung für innerparteiliche Gegner. Mit dem Attentat kommt ein weiteres Motiv dazu, nämlich Solidarität mit dem Angegriffenen.“

Europäische Sicherheit in Gefahr

Im Geschäftsjahr 2024 haben die USA etwa 14,1 Milliarden US-Dollar an Hilfeleistungen im Rahmen der Ukraine Security Assistance Initiative (USAI) an die Ukraine gezahlt. Das würde sich im Falle eines Wahlsieges der Republikaner ändern. „Nun bin ich kein Politikwissenschaftler der internationalen Beziehungen“, sagt Sack einschränkend, „aber deutlich ist, dass Trump relativ schnell die finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine verringern oder einstellen wird. Er wird es flankieren mit ein paar Gesprächen mit Putin, auf die Putin eingehen wird, weil sich dann zwei Männer treffen, die sagen, sie sind die Herren über das Weltgeschehen. Am Ende des Tages ist es so, dass sowohl die NATO als auch die EU Sicherheit für die nächsten vier Jahre zumindest denken müssen, ohne engagierte Unterstützung der USA.“

Schon die Obama-Administration habe erhebliche Kritik an der mangelnden Bereitschaft europäischer Staaten, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen, geübt, erklärt er. Rüstungs- und Sicherheitspolitik sei in Europa die letzten 30 Jahre eher nachrangig behandelt worden.

Kann Europa Putin ohne die USA in Schach halten?

Das „Handelsblatt“ veröffentlichte kürzlich ein Interview mit Eldridge Colby, der ein potenzieller Sicherheitsbeauftragter für Trump werden könnte. Dieser geht davon aus, dass sich die Republikaner darauf konzentrieren müssen, China davon abzuhalten, Taiwan anzugreifen. Wenn es zum Krieg im Pazifik kommen würde, müsse Europa den Aggressor Putin allein in Schach halten.

Aber können wir das? „Ich bin kein Militäranalyst und kann mich da nur auf sehr allgemeines Wissen beziehen“, formuliert Sack vorsichtig, „ich würde aber sagen: Ja, das geht darüber, weil die Ukraine, selbst in Zeiten, als die Rüstungslieferungen von den USA ausgeblieben sind, zwar in die Defensive geraten ist, aber nicht überrannt wurde. Es geht vor dem Hintergrund, dass es jetzt gerade eine hochfahrende Rüstungsindustrie in Westeuropa gibt, es geht vor dem Hintergrund, dass Westeuropa auf dem internationalen Finanzmarkt sehr gut Kredite aufnehmen kann, um viel Geld für Rüstung auszugeben. Wir reden nicht von finanziell hoch verschuldeten schwachen Staaten in einer wirtschaftlich armen Weltregion, sondern von einem wirtschaftlich starken Europa. Ein 84-Millionen-Land wie Deutschland ist die drittstärkste Volkswirtschaft der Welt. Sollten Indien oder Japan vorbeiziehen, ist die Wirtschaftsstärke immer noch deutlich überproportional zur Einwohnerstärke. Von daher, ja! Das wird sehr, sehr schwierig und es hat mit sehr unangenehmen, für viele inakzeptablen Umverteilungen zu tun.“

Europa habe ja auch schon angefangen, sich darauf vorzubereiten. Das sei das Hochfahren der Rüstungsindustrie und die Einrichtung der Flüssiggasterminals sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien. „Das sind gute Voraussetzungen, eine militärische Verwundbarkeit zu verringern.“

NATO-Austritt unter Trump?

Für viele unvorstellbar, halten Fachleute die Möglichkeit für realistisch, dass die USA bei einer Amtsübernahme von Donald Trump die NATO verlassen. „Ich hätte diese Frage jahrelang immer mit nein beantwortet“, erklärt der Fachmann, „mittlerweile bin ich mir aber unsicher. Ich glaube, dass Donald Trump auch antritt, um sich für die – wie er es sieht – ,gestohlene‘ Wiederwahl zu rächen. Er wird tatsächlich institutionelle Entscheidungen in den USA und international treffen, die er in der ersten Legislaturperiode ab 2016 nicht getroffen hat, einfach um zu zeigen, dass er es kann.“

Wenn Trump also siegt, dann sicher selbstbewusster als zuvor. Muss sich Europa also warm anziehen? „Ja“, sagt Sack prompt, „wir müssten uns aber auch in einer zweiten Legislaturperiode der Demokraten warm anziehen“, denn der Fokus der USA werde in den nächsten 15 Jahren auf dem Pazifik liegen.

Keine weiteren Sicherheitsgarantien

Aufgrund der Tatsache, dass die USA ihren Sicherheitsfokus vom Atlantik zum Pazifik verlagern, um ein militärisches Handeln Chinas in Taiwan zu verhindern, werden sich nach Sacks Meinung auf jeden Fall in den nächsten Jahren die Sicherheitsgarantien für Europa in unterschiedlichen Ausprägungen und Geschwindigkeiten verringern. „Die zweite große Geschichte, das ist die Frage der Wirtschaftspolitik. Also gibt es weiterhin eine protektionistische Wirtschaftspolitik?“, denn es ist Biden gewesen, der 2022 den „Inflation Reduction Act“ unterzeichnet hat, in dem es darum geht, inländische Produktionen voranzutreiben.

„Wir haben hier schon eine Wirtschaftspolitik, die weh tut. Ich glaube, eine Administration der Demokraten lässt Europa da vielleicht mehr Zeit. Europa muss mittelfristig nach einem geopolitischen Modell suchen, dass seiner inneren Unterschiedlichkeit, seiner relativen militärischen Schwäche und wirtschaftlichen Stärke, gerecht wird. Das ist keine ganz neue Herausforderung. Aber sie findet erkennbar unter historisch neuen Vorzeichen statt, nämlich einer Blockkonfrontation vor der Haustür, einer verstärkten Konfrontation zwischen den USA und China und einem Wandel des Parteiensystems in Europa, in dem sich rechtspopulistische Kräfte etabliert haben.“