Bergische Uni Die Beilegung internationaler Konflikte

Wuppertal · Prof. Dr. Wolfgang Baumann, Vorsitzender der Bergischen Juristengesellschaft, über die Entstehung und Entwicklung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes und des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag.

Prof. Dr. Wolfgang Baumann ist Vorsitzender der Bergischen Juristengesellschaft.

Foto: Baumann

Am 15. Februar 1922 tagte der Ständige Internationale Gerichtshof mit Sitz in Den Haag zum ersten Mal. Aus ihm entwickelte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1946 der Internationale Gerichtshof. Aus welchem Grund entstand er?

Baumann: „Der Ständige Internationale Gerichtshof mit dem Sitz in Den Haag war der Vorläufer des heutigen Internationalen Gerichtshofes.  Er war als Rechtsprechungsorgan des Völkerbundes von 1922 bis 1946 tätig. Der Völkerbund war nach den Erfahrungen des I. Weltkrieges entstanden. Er hatte seinen Sitz in Genf.

Ziel des Völkerbundes war, internationale Konflikte friedlich beizulegen und die Sicherheit der Staaten zu gewährleisten. Er verfolgte also schon ähnliche Ziele wie jetzt die Vereinten Nationen (UN). Der Internationale Gerichtshof wurde als Weltgerichtshof im Jahr 1945 nach den grauenhaften Erfahrungen des II. Weltkrieges gegründet und hat seinen Sitz ebenfalls in Den Haag. Er ist das wichtigste Rechtsprechungsorgan der UNO, die als Internationale Organisation ihren Sitz in New York hat.

Der Internationale Gerichtshof nahm seine Arbeit am 18. April 1946 auf. Weil der Völkerbund seine angestrebten Ziele nicht erreicht hatte, wurde vom damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt gemeinsam mit dem britischen Premierminister Winston Churchill die Atlantik Charta entworfen. Noch mitten im - von den deutschen Nationalsozialisten ausgelösten - II. Weltkrieg wurde am 1. Januar 1942 von 26 Staaten die Deklaration der Vereinten Nationen unterzeichnet. Nach Kriegsende wurde unter Einbeziehung der Sowjetunion und Frankreichs die Charta der Vereinten Nationen auf der Konferenz von Jalta fertiggestellt. Am 26. Juni 1945 wurde diese Charta auf der Konferenz von San Francisco von 50 Staaten unterzeichnet.

Sitz der Vereinten Nationen wurde New York. Die Charta wurde später noch um die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ergänzt. 1946 wurde nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges als Rechtsprechungsorgan der UNO dann der Internationale Gerichtshof in den Haag ins Leben gerufen. Zugleich wurde der Völkerbund und damit auch der Ständige Internationale Gerichtshof aufgelöst.  Der Internationale Gerichtshof ist also die Nachfolgeinstitution des Ständigen Internationalen Gerichtshofs.“

Der Ständige Internationale Gerichtshof war wesentlich an der Entwicklung des Völkerrechts beteiligt. Wissen Sie warum?

Baumann: „Das Völkerrecht ist ein verhältnismäßig junges Recht. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant hatte 1795 in seinem Werk ,Zum ewigen Frieden‘ die Entwicklung eines Völkerrechts zum dauerhaft friedlichen Zusammenleben der Völker gefordert. Der Begriff Völkerrecht (ius gentium) wurde vermutlich erstmals 1625 von dem niederländischen Rechtsgelehrten und Philosophen Hugo Grotius in den öffentlichen Diskurs eingeführt. Aus Ideen der Aufklärung unter dem Einfluss Kants gingen dann im 19. Jahrhundert mehrere internationale Friedensbewegungen hervor, die zu den Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907) führten.

Die wichtigste Rechtsquelle des Völkerrechts ist heute die Charta der Vereinten Nationen von 1942 bzw. 1945, aber auch alle multilateralen und bilateralen Verträge der Staaten sowie Normen aller supranationalen Staatengebilde, wie z.B. der Europäischen Union bilden das Völkerrecht. Da bereits der Völkerbund wesentliche Grundlagen des Völkerrechts entwickelt hatte, war auch sein Rechtsprechungsorgan, der Ständige Internationale Gerichtshof an der Entwicklung des Völkerrechts beteiligt. Der Öffentlichkeit bekannt sind 27 Rechtsgutachten dieses Gerichtshofes sowie Verhandlungen über 29 zwischenstaatliche Streitigkeiten. Alle Gutachten und Gerichtsverhandlungen haben zur Entwicklung des Völkerrechts wegweisend beigetragen.

Aus dem nationalen Recht, das immer an den Grenzen eines Staates endet, kennen wir, dass die Rechtsprechung auf der Anwendung von Gesetzen und von Präjudizien beruht, also auf Leitentscheidungen von oberen oder obersten Gerichten. Im Völkerrecht gibt es keine Gesetze, aus denen der Internationale Gerichtshof seine Entscheidungen im Wege juristischer Subsumtion ableiten könnte. Rechtsquellen des Völkerrechts sind die völkerrechtlichen Verträge, das sogenannte Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze, welche als grundlegende Prinzipien von allen Rechtsordnungen anerkannt werden. Dazu zählen zum Beispiel die Anerkennung der Gleichheit aller Staaten und die in allen Rechtsordnungen übereinstimmend anerkannten Rechtsgrundsätze des Privatrechts.

Wer kann den internationalen Gerichtshof denn überhaupt anrufen?

Baumann: „Nur Rechtssubjekte des Völkerrechts können den Internationalen Gerichtshof anrufen.  Rechtssubjekte des Völkerrechts sind in erster Linie von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannte Staaten, aber auch internationale Organisationen, die von Staaten gegründet sind, wie zum Beispiel die UNO und ihre Unterorganisationen. Aus historischen Gründen sind der Vatikan (Heiliger Stuhl), der Malteser Ritterorden und das Internationale Rote Kreuz eigenständige Völkerrechtssubjekte. Aufgrund moderner Rechtsentwicklungen kann in sehr engen Grenzen auch einzelnen Individualpersonen, also einzelne Menschen, der Schutz des Völkerrechts zuerkannt werden.“

Der erste Fall, in dem der Internationale Gerichtshof ein Urteil fällte, war der Korfu-Kanal-Fall 1949, eine Klage Großbritanniens gegen Albanien. Worum ging es da?

Baumann: „Der Korfu-Kanal-Fall ist ein gutes Beispiel, um den Aufgabenbereich des Internationalen Gerichtshofs zu veranschaulichen. Es handelte sich um einen völkerrechtlichen Konflikt zwischen Großbritannien und Albanien, dem drei miteinander verbundene Sachverhalte im Jahre 1946 zugrunde lagen. Die Straße von Korfu ist eine Meerenge zwischen der griechischen Insel Korfu und Albanien. Beim Durchfahren dieser Meerenge waren Schiffe der britischen Kriegsmarine von der albanischen Küste aus beschossen worden.

Gravierender war wenige Monate später der zweite Vorfall, bei dem aufgrund von verlegten Seeminen 44 britische Marinesoldaten ums Leben kamen und die britischen Schiffe beschädigt worden. Beim dritten Sachverhalt führte die britische Marine wiederum einen Monat später Seeminenräumaktionen durch, die dann zu Protesten Albaniens bei den Vereinten Nationen führten, weil die Räumaktion albanisches Hoheitsgebiet verletzte.

Die Fälle zeigen, wie früh nach dem Zweiten Weltkrieg bereits der Ost-West-Konflikt zwischen den Siegermächten mit dem Kalten Krieg begann. Die Beschwerden Großbritanniens beim UN-Sicherheitsrat gegen das kommunistische Albanien scheiterten nämlich am Veto der Sowjetunion. Die daraufhin folgende Klage Großbritanniens vor dem Internationalen Gerichtshof hatte dann aber überwiegend Erfolg. Albanien wurde zu einer Entschädigung verurteilt, die Minenräumaktion Großbritanniens wurde allerdings als rechtswidrig eingestuft.

Der Konflikt war damit leider nicht beigelegt, weil Albanien sich weigerte, das Urteil anzuerkennen. Erst 1996, also einige Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen und dem Ende des Kalten Krieges, konnte in einem bilateralen Vertrag eine Einigung zwischen beiden Staaten erzielt werden. Auf den Inhalt dieser Einigung hatte das Urteil des Internationalen Gerichtshofs großen Einfluss, weil Albanien letztlich eine Entschädigung zahlte.“

Deutschland hat erst 2008 wie bereits 73 andere Staaten eine so genannte Unterwerfungserklärung unterzeichnet. Was bedeutet diese Erklärung?

Baumann: „Mit der Unterwerfungserklärung hat die Bundesrepublik Deutschland sich völkerrechtlich verpflichtet, die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs als verbindlich anzuerkennen. Kritisiert wird diese Unterwerfungserklärung, weil Deutschland einen politisch umstrittenen Streitkräftevorbehalt in diese Unterwerfungserklärung aufgenommen hat. Bei militärischen Einsätzen der Bundeswehr im Ausland und bei militärischer Nutzung des deutschen Hoheitsgebietes soll diese Unterwerfungserklärung nämlich nicht gelten. Kritisiert wird weiterhin, dass diese Unterwerfungserklärung nur auf einem Kabinettsbeschluss beruht und das Parlament umgangen worden ist. Letzteres halte ich persönlich in einer repräsentativen Demokratie auch für sehr problematisch, weil jede Bundesregierung nur administratives Exekutivorgan der gewählten Volksvertretung ist.“

Dem Internationalen Gerichtshof gehören insgesamt 15 Richter unterschiedlicher Nationen an, die für neun Jahre gewählt werden. Ein Deutscher ist darunter, der auch einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht hat. Wer ist dieser Mann?

Baumann: „Dieser Mann heißt Georg Nolte. Er ist Völkerrechtler und Professor mit einem Lehrstuhl für Völkerrecht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität in Berlin. In völkerrechtlichen Fachkreisen ist er durch zahlreiche Publikationen bekannt. Seine Amtszeit läuft von 2021 bis 2030. Seit 2007 ist er auch Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.

Übrigens ist er der Sohn des bekannten Historikers und Philosophen Ernst Nolte, der mit seinen Thesen zu den Verbrechen des Holocaust und des Gulag-Systems im Jahre 1986 den Historikerstreit ausgelöst hatte. Vor Georg Nolte waren mit Hermann Mosler (1976-1985) und Carl-August Fleischhauer (1994-2003) bereits zwei Deutsche als Richter am Internationalen Gerichtshof tätig.“

Die Arbeit des Internationalen Gerichtshofes ist politisch nicht ganz einfach. Der Gründungsvertrag des Strafgerichtshofs sieht vor, dass das Gericht in Den Haag nur tätig wird, wenn ein Staat selbst nicht willens oder nicht in der Lage ist, Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen. Im März 2020 hatten die Richter die Aufnahme von Ermittlungen in Afghanistan zugelassen, kurz darauf stellte die damalige afghanische Regierung einen Antrag, die Verfahren übernehmen zu dürfen.

Die Ermittlungen, bei denen auch mutmaßliche Verbrechen der USA in Afghanistan ins Visier der Anklagebehörde gerieten, waren in Washington auf heftigen Widerstand gestoßen. Wegen Befürchtungen, US-Soldaten könnten in Den Haag angeklagt werden, hatte die Regierung des damaligen Präsidenten Donald Trump Sanktionen gegen Mitarbeiter des Gerichts verhängt, die aber unter Präsident Biden wieder aufgehoben wurden. Unterliegt ein solches Gericht trotz unterschriebener Verträge und Einverständniserklärungen letztendlich nicht immer der Macht des Stärkeren?

Baumann: „Das sind mehrere Themen gleichzeitig. Zunächst ist der Internationale Strafgerichtshof vom Internationalen Gerichtshof zu unterscheiden. Beide Gerichte haben zwar ihren Sitz in Den Haag, es handelt sich aber um voneinander unabhängige Gerichte mit unterschiedlichen Aufgaben. Auch die Besetzung der Richter ist eine andere. Der Deutsche Bertram Schmitt ist seit 2015 Richter am Internationalen Strafgerichtshof. Er ist zugleich Richter für Strafsachen am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, seit seiner Berufung zum Internationalen Strafgerichtshof aber am BGH beurlaubt.

Der Internationale Strafgerichtshof ist zuständig für Urteile zum Völkerstrafrecht und besteht erst seit 2002. Unter Völkerstrafrecht fallen Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und so genannten Verbrechen der Aggression, also zum Beispiel Vorbereitungen von Kriegshandlungen.

Zur Macht des Stärkeren: Leider bleibt die Akzeptanz und Durchsetzbarkeit der Urteile Internationaler Gerichte dauerhaft das größte Problem. Allerdings kann die Ächtung der Internationalen Staatengemeinschaft verbunden mit Sanktionen erheblichen Druck ausüben. Staaten wie China, Russland oder die USA sind bis zu einem gewissen Grade gegen diesen Druck immun.

In demokratischen Staaten, wie den USA, kann es aber zusätzlichen innenpolitischen Druck geben, dem sich insbesondere die Trump-Administration ausgesetzt sah und der die Akzeptanz der Urteile einer Internationalen Gerichtsbarkeit auch beeinflussen kann. In einer Diktatur wie China fehlt diese innenpolitische Kritik. Deshalb sind Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung, verbunden mit freien Medien und sogar bei kritischer Berichterstattung staatlich immer garantierter Meinungsfreiheit, eng miteinander verknüpft. Mit innerer demokratischer Rechtsstaatlichkeit kann bis zu einem gewissen Grade international verhindert werden, dass die Welt vom Faustrecht und von der Macht des Stärkeren regiert wird.

Der angesprochene Krieg in Afghanistan ist sicherlich kein Ruhmesblatt, sondern eher ein dunkles Kapitel in der Geschichte westlicher Demokratien. Dass in Afghanistan auch Kriegsverbrechen begangen worden sind, kann als wahrscheinlich angenommen werden. Deshalb wollte Trump seine Soldaten vermutlich vor Strafverfolgung schützen. Unabhängige Richter mit Sanktionen zu belegen bzw. zu bedrohen, ist jedoch sogar dann nicht akzeptabel, wenn man Trump sehr wohlwollend zugutehalten will, dass er den nicht unter seiner politischen Führung begonnenen Krieg in Afghanistan beendet hat.“