Landgericht Abgasskandal: Stadt Wuppertal prozessiert gegen VW

Wuppertal / Wolfsburg · Vor dem Wuppertaler Landgericht hat am Freitag (19. Juni 2020) ein spektakulärer Prozess begonnen. Die Stadt klagt im Rahmen des Abgasskandals, der seit 2015 in den Schlagzeilen ist, gegen den VW-Konzern.

Logistikleiter Klaus Steinbrink (Stadt Wuppertal) mit Rechtsanwalt Seidel vor dem Prozessauftakt.

Foto: Mikko Schümmelfeder

Wegen einer unzulässigen Software, die bei Abgastests korrekte Emissionswerte vortäuschte, wurde VW in den USA zu Milliardenstrafen verurteilt. Hochrangige Manager kamen ins Gefängnis. In Deutschland musste VW nach Bekanntwerden der Manipulationen teuer bezahlen, trotz Software-Updates fühlten sich die Kunden betrogen und gingen zum Gegenangriff über – die Schäden durch den Ausfall und den Wertverlust der betroffenen Autos geht hier ebenfalls in die Milliarden. Viele Gerichte haben sich mittlerweile mit Schadenersatzklagen befasst, aber erst im vergangenen Monat hat der Bundesgerichtshof die sich teilweise widersprechenden Urteile mit einem Grundsatzurteil auf Linie gebracht – ja, den betroffenen Kunden sei ein Schaden entstanden, er kann eine Rücknahme betroffener Fahrzeuge verlangen. Er muss sich aber die Nutzung des Fahrzeugs bis zur Rückgabe anrechnen lassen.

Der Stadt Wuppertal ist das nicht genug: Was, wenn das von der Stadt eingesetzte Fahrzeug umfangreiche und teure Umbauten aufweist? Können die Umbaukosten ebenfalls als Schaden geltend gemacht werden? Hier gibt es noch keine Grundsatzentscheidung. Mehrere Fahrzeuge aus dem VW-Konzern wurden von der Stadt zum Beispiel als mobile Radaranlagen tiefgreifend umgebaut. Allein der Ausbau der Radaranlagen ist teuer, man rechnet zurzeit mit einer Summe von 80.000 Euro für fünf Fahrzeuge. Dazu käme für die Rückgabe der Rückbau der Fahrzeuge auf den Auslieferungsstand, auch der wird eine bis jetzt unbekannte Summe verschlingen – sofern die Serienteile überhaupt noch lieferbar sind. Kühle Rechner bei der Stadt sprechen hier schon von wirtschaftlichen Totalschäden.

Der VW-Konzern wehrt sich mit allen rechtlichen Mitteln gegen diese Forderungen. Allein schon die Klage vor dem Landgericht in Wuppertal sei nicht zulässig – für Firmenkunden, auch für die „öffentliche Hand“, gelte laut Kaufvertrag Braunschweig als vereinbart. Nur, so Rechtsanwalt Seidel und Logistikleiter Klaus Steinbrink für die Stadt Wuppertal, betreffe das normale Mängelrügen. Beim Abgasskandal aber rede man von Betrug und Täuschung, diese Fahrzeuge hätten schon bei Lieferung nie eine gültige Betriebserlaubnis gehabt.

Ein zweiter Punkt ist die Mehrwertsteuer. Volkswagen liefert zu Netto-Preisen, die Mehrwertsteuer kommt beim Kauf dazu, die Stadt Wuppertal ist aber – im Gegensatz zu sonstigen Firmenkunden – nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Bei einer Rücknahme würde VW korrekterweise nur den Nettopreis erstatten. Auf der Steuer bliebe die Stadt Wuppertal sitzen und klagt diese Schadenssumme nun ebenfalls ein.

Alles verjährt, sagt VW. Bekannt seien der Abgasskandal und auch die betroffenen Autos schon 2015 gewesen, bis Ende 2018 hätte Wuppertal klagen müssen, um der Frist zu genügen. Stimmt nicht, sagt die Stadt, Informationen, dass sie davon betroffen sein könnten, habe sie erst 2016 erreicht – geklagt habe sie Ende 2018, also fristgerecht.

In pragmatischer Voraussicht sah das Gericht bei den konträren Ansichten einen Rechtsstreit über mehrere Jahre und viele Instanzen voraus. Zur Aufforderung, sich besser gütlich und außergerichtlich zu einigen, erklärten beide Parteien ihre Bereitschaft – in einem Parallelverfahren mit der stadteigenen AWG haben sich die hier streitenden Parteien schon kennen gelernt; man sieht also gute Chancen. Eine pauschale Abstandszahlung des Konzerns könnte den Streit verkürzen, die Fahrzeuge könnten dann zum Ärger Wuppertaler Raser weiter verwendet werden.

Eine so schnelle Einigung in den nächsten drei Wochen, wie von der Stadt gewünscht, wird es wohl kaum geben, dazu sind die rechtlichen Probleme zu komplex. Bis zum 8. Juli erwartet das Gericht nun noch Schriftsätze, am 22. Juli wird eine erste Entscheidung über die Zuständigkeit des Gerichts verkündet.