Wuppertal und das Engels-Jahr - ein Besuch in Trier "Ab Mai wird hier überall gefeiert!"
Wuppertal / Trier · "Engels in Wuppertal ist eine ganz andere Party als Marx in Trier." Das sagte Engels-Jahr-Kurator Hans-Dieter Westhoff beim Auftaktabend zu "Engels 2020" im Historischen Zentrum Wuppertal. Weniger Geld, weniger Touristen, weniger wohl organisiert.
Aber stimmt das überhaupt? Läuft es in Trier wirklich so viel besser?
Rundschau-Redakteurin Nicole Bolz und Fotograf Max Höllwarth haben sich zu Beginn des Marx-Jahres auf Spurensuche in der Mosel-Metropole begeben, wo in diesem Jahr der 200. Geburtstag des berühmten Stadtsohnes gefeiert wird.
Eine halbe Stunde. So lange dauert es, bis wir das erste Mal über Marx stolpern. Oder sagen wir besser, bis wir unsere Köpfe nach ihm verrenken müssen. Wir stehen unweit der Porta Nigra und halten Ausschau nach dem ehemaligen Wohnhaus von Karl Marx. Es ist kalt, es schneit und wir müssen die Köpfe schon bewusst in die Höhe strecken, um die Gedenktafel zu erspähen. Auffälliger ist da der Schriftzug des Ein-Euro-Shops, der heute in diesem Haus beheimatet ist. Was für eine Ironie!
"Ja", gibt Rudolf Hahn zu, "momentan sieht man noch nicht so viel vom Marx-Jahr in unserer Stadt." Hahn ist Kurator des Marx-Jahres und hat früher die Volkshochschule in Trier geleitet. Er gilt als gut vernetzt. Mitte 2015, als klar wurde, "wir brauchen ein umfangreiches Jubiläumsprogramm zum 200. Geburtstag von Karl Marx", kamen Vertreter der Stadt auf ihn zu. Ob er sich vorstellen könne, sich federführend darum zu kümmern. Er konnte. Für ihn stand fest: Marx braucht viel Aufmerksamkeit. Viel Vermittlung. "Marx ist noch immer eine eher umstrittene Person in Trier", sagt Rudolf Hahn: Für die einen ein Held und kühner Vordenker — für die anderen Quell allen Übels. Und im Gedächtnis der Trierer kaum richtig präsent. "Vor ein paar Jahren hat es eine Umfrage nach dem bekanntesten Trierer gegeben, da hat Marx den ersten Platz gemacht", erzählt Hahn. Das habe geholfen, ihn wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken. Und daran möchte man in dem großen Jubiläumsjahr anknüpfen.
Wie das aussehen soll, darüber haben sich die wichtigsten Vertreter aus Kultur, Politik, Universität, politischen Stiftungen, IHK und DGB in Trier seit Herbst 2015 immer wieder an Runden Tischen verständigt. Hahn spricht dabei von "Global Playern". "Wir wollten das Thema möglichst breit streuen, um möglichst viele miteinzubeziehen." Das hat funktioniert. Inzwischen stehen etwa 300 Einzelveranstaltungen auf seiner Liste — von der Marx-Weinprobe bis zum Marx-Musical. Was all das kostet, kann Hahn nicht sagen: Geld kommt aus vielen Fördertöpfen, die die einzelnen Veranstalter zum Teil selbst anzapfen. Insgesamt verfügt Trier über das stolze Budget von fünf Millionen Euro. "Einschließlich Eintritt und Sponsorengelder." 1,5 Millionen davon kommen vom Bund, 750.000 Euro vom Land und 250.000 Euro von der Stadt. "80 bis 85 Prozent der Veranstaltungen sind damit finanziert", sagt Hahn und erklärt: "Ein Großteil des Geldes fließt in die großen Ausstellungen."
Die größte davon ist die Landesausstellung "Karl Marx 1818—1893. Leben. Werk. Zeit" im Rheinischen Landesmuseum Trier und dem Stadtmuseum Simeonstift, die pünktlich zu Marx' Geburtstag am 5. Mai eröffnet wird. Auf einer Fläche von 1.600 Quadratmetern gibt es 400 Leihgaben aus zehn Ländern. Dazu kommt eine Sonderschau im Museum am Dom, die sich dem Menschen Marx und der Arbeit widmet. Sowie eine neue Dauerausstellung im Karl-Marx-Haus, das derzeit, ähnlich wie das Wuppertaler Engels-Haus, aufwändig renoviert und erst mit der Ausstellung eröffnet wird. Für all dies wurde eine eigene Ausstellungs-GmbH gegründet.
Absehbar war die große Resonanz anfangs übrigens nicht. "Das Ganze hat eine enorme Eigendynamik entwickelt", sagt Hahn. "Alle wollten plötzlich mitmachen". Seine Maxime dabei: Immer alles transparent machen. "Das ist wichtig." Die Grundpfeiler des Programms standen Ende 2016, also gut anderthalb Jahre vor der offiziellen Eröffnung des Marx-Jahres, das am 4. Mai mit einem großen Festakt startet — einen Tag vor dem 200. Geburtstag des Helden der Arbeiterbewegung. Öffentlich sichtbar wird Marx aber schon in den nächsten Wochen. Dann werden verschiedene Plakate auf die große Marx-Sause hinweisen.
Hinter dem Titel "Wir sind Marx" etwa verbirgt sich eine simple, aber sehr bürgernahe Idee. Über die Tageszeitung haben die Organisatoren im vergangenen Jahr die Trierer mit dem Familiennamen Marx aufgerufen, sich zu melden. Der Fotokünstler Claus Bach hat diese Menschen in ihren privaten Lebensräumen porträtiert. Seine Fotos werden dann auf Fahnen über der Fußgängerzone hängen.
Hahn sitzt in seinem Büro, einem alten, verwinkelten Fachwerkhaus unterhalb der Porta Nigra. In der Ecke steht eine der 500 roten Marx-Figuren, die der Künstler Ottmar Hörl zum 130. Todestag von Marx 2013 entworfen hatte. Damals standen alle 500 Figuren eindrucksvoll auf dem Porta-Nigra-Platz. Das wird es diesmal nicht geben. Stattdessen wartet die Stadt auf etwas viel Größeres. Hahn geht zum Fenster und zeigt auf den Simeonstiftplatz. Genau dort soll sie Anfang Mai aufgebaut werden, die viel diskutierte Marx-Statue des chinesischen Künstlers Wu Weishan.
Immerhin ist das Geschenk Chinas an Trier zusammen mit dem Sockel fünfeinhalb Meter hoch und 2,3 Tonnen schwer. "Zu massiv, fanden viele Trierer und wiesen stattdessen nach Wuppertal", erzählt Hahn. Immerhin misst das Engels-Denkmal in Barmen keine vier Meter und auch das Podest ist mit 40 Zentimetern verhältnismäßig zierlich. Dass es auch in Wuppertal im Vorfeld größere Diskussionen um die Statue gab, das ist in Trier weitgehend unbekannt.
Zu den Kritikern der Marx--Statue gehört auch Brigitte Biertz. Sie ist Inhaberin des Karl & Jenny-Marx-Shop in der Karl-Marx-Straße im Karl-Marx-Viertel. "Ihr habt das in Wuppertal mit Engels viel besser gelöst", sagt sie. Überdimensioniert findet sie den Bronze-Marx und nicht zeitgemäß. Biertz betreibt seit vielen Jahren einen Laden für Bio-Fachbedarf. Neben Tüchern, Schals und Pullovern hat die engagierte Frau auch diverse Bücher, Büsten, Jutebeutel und T-Shirts rund um Marx und seine Frau Jenny im Angebot. "Mach den Engels", das steht neben einer kleinen Marx-Büste — und fordert schlicht Kapital.
Biertz erzählt gern vom Viertel und wie es zu seinem Namen kam. Gleichzeitig möchte sie bei der Stadt nicht anecken. "Die Stadt macht viel zu wenig aus Marx", so sei es lange gewesen, erzählen jedenfalls die Trierer. Es sei der Initiative der gleichnamigen Interessengemeinschaft des Viertels zu verdanken, dass die Stadt Trier irgendwann reagierte — und das Gebilde aus 13 Straßen und einem Platz nach dem berühmten Sohn der Stadt benannte.
Ein paar Schaufenster weiter leuchtet Marx' Konterfei aus roten Punkten an der Wand neben der Eingangstür. Hier betreibt der Konzeptkünstler Laas Köhler seit 2015 den Kunstraum KM9 als eigenes Kunstprojekt. "Nein", sagt Köhler, "am offiziellen Programm sind wir nicht beteiligt." Schade sei das, findet er. Denn: "Ich mache Kunst, ich vernetze, ich gestalte meine Stadt, in der ich lebe." Ein bisschen Marx muss trotzdem sein. Ein paar Bilder vom großen Philosophen, eine Büste, ein paar bunte Karten. "Freiheit beginnt da, wo Arbeit aufhört", sagt Marx auf einem Bild und hält ein Glas Wein hoch. "Noch ist es hier ruhig", gibt Köhler zu. "Aber ab Mai wird hier sicher überall gefeiert!"