Buchhandlung im Bahnhof Barmen 2. Gleissperrung: "Werden wir nicht überleben"
Wuppertal · Die erneute Vollsperrung des Bahnbetriebs in Wuppertal trifft viele Menschen. Ein Unternehmen aber ist davon besonders geschädigt: Für die Zeitungs- und Buchhandlung im Barmer Bahnhof ist die Sperrung existenzbedrohend.
Thomas Leipoldt (68) ist seit 1980 Eigentümer der rund 100 Jahre alten Bahnhofsbuchhandlung mit Tabakwaren, Café und Lotto-Annahmestelle. 15 Personen sind dort beschäftigt, an 365 Tagen im Jahr ist geöffnet, mindestens 90 Stunden in der Woche von 5.30 Uhr bis 20 Uhr, samstags und sonntags von 7 Uhr bis 19 Uhr. Täglich besuchen im Durchschnitt 1.000 Kunden den Laden. Ein urbaner Treffpunkt aller Bevölkerungsschichten — das pure Leben von früh bis spät. Zudem ein Schmuckstück Barmens, aufwendig restauriert nach dem Kauf des Bahnhofs durch den Wiener Opernsänger Kurt Rydl, den Schwager von Thomas Leipoldt. In der Unterführung zu den Gleisen erklingt sogar Musik und auf die Sauberkeit wird penibel geachtet.
Jetzt aber steht das Familien-Unternehmen vor dem Aus. Thomas Leipoldt: "Wir hatten während der 16 Tage ohne Bahnverkehr über Ostern einen Umsatzverlust bis zu 70 Prozent. Nun stehen uns in den Sommerferien über sechs Wochen ohne Bahnbetrieb bevor. Das werden wir nicht überleben." Ein Reduzieren der Öffnungszeiten ist ausgeschlossen, denn als Bahnhofsbuchhandlung ist man vertraglich verpflichtet, 365 Tage im Jahr zu öffnen. Leipoldt hat das Desaster keineswegs kampflos hingenommen: "Wir haben sogar an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geschrieben, an die Industrie- und Handelskammer und den Oberbürgermeister. Helfen konnte uns im Grunde niemand."
Besonders peinlich war die Reaktion aus Düsseldorf: Es kam der Anruf eines Mitarbeiters aus dem Wirtschaftsministerium. "Er hat uns wörtlich gesagt, für Einzelschicksale sei keine Hilfe vorgesehen. Dann hat er uns, angeblich auf den Rat von Frau Kraft, kundgetan, wir könnten doch kurzfristig Insolvenz anmelden oder einen Unternehmensberater hinzuziehen." Als Leipoldt um die schriftliche Variante dieses ungewöhnlichen Ratschlages bat, kam nichts mehr. Er ist empört: "Unser Unternehmen war immer gesund, jetzt stehen wir ohne unser Verschulden vor diesem Problem. Es war fest vorgesehen, den Betrieb in die nächste Generation zu führen."
Der neun Jahre lang als Nautiker zur See gefahrene Unternehmer ist tief getroffen und verfällt in Sarkasmus: "Wenn wir eine Fledermaus, eine Kröte und ein Molch wären, hätten wir Chancen auf einen Baustopp oder andere Veränderungen. Die Bahn AG aber hat die Variante der Vollsperrung gewählt, weil der günstigste Anbieter das so gefordert hat. Eine andere Lösung mit Teilsperrungen hätte sehr geholfen. Normalerweise gibt es für Katastrophen von staatlichen Stellen doch schnelle und unbürokratische Hilfen. Für unser Einzelhandelsgeschäft ist das eine Katastrophe."
Wuppertals Oberbürgermeister Andreas Mucke antwortete immerhin besorgt und berichtete von bevorstehenden Gesprächen mit der Deutschen Bahn. Und er sagte spontan zu, den beliebten Außenbereich während der Vollsperrung erweitern zu dürfen. Thomas Leipoldt: "Bei der ersten Vollsperrung über Ostern haben die Leute sogar geglaubt, es gäbe uns schon gar nicht mehr."