Ewige Stadt, vergängliche Liebe

Wuppertal · Hanns-Josef Ortheil schickt in "Rom, Villa Massimo" einen Wuppertaler in den deutsch-italienischen Kunst-Kosmos.

Der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil hat ein Stück seiner Kindheit in Wuppertal verbracht.

Foto: Peter von Felbert

Seit über 100 Jahren gibt es in Rom die "Deutsche Akademie Villa Massimo". Jedes Jahr leben hier immer wieder andere, ganz unterschiedliche deutsche Künstler jeweils ein Jahr lang als Stipendiaten. Sich und ihr Werk sollen sie weiterentwickeln in dieser Zeit — und den Spirit Roms dabei spüren.

„Rom, Villa Massimo“ ist im Verlag Langen-Müller erschienen und kostet im Buchhandel 22 Euro.

Foto: Verlag Langen-Müller

Hanns-Josef Ortheil, einer der bekanntesten deutschen Gegenwartsautoren, war 1991 selbst Stipendiat in der Villa. Jetzt hat der 64-Jährige, der einen Teil seiner Kindheit in Wuppertal verbrachte, mit "Rom, Villa Massimo" einen Roman geschrieben, in dem die Absonderlichkeiten von Kunst(-betrieb) und Künstlern, das außergewöhnliche Ambiente der Villa Massimo, die Geheimnishaftigkeit der Lyrik und das schwer zu Fassende der Liebe, vor allem aber diese außergewöhnlich-einmalige Stadt Rom im Mittelpunkt stehen.

Ortheil gelingt es auf seinen 269 Seiten, die mit ganz zurückhaltenden Rom-Fotos seiner Tochter Lotta Ortheil illustriert sind, den Leser stets festzuhalten: Leichtfüßig, lässig, unaufgeregt — und zum Ende hin mit einer Verdichtung, die zeigt, wie es ist, wenn einer, der große Literatur kann, über die Liebe schreibt.

Und weil der 36-jährige Lyriker Peter Ka aus Wuppertal Ortheils Hauptfigur ist, ist dieser Text auch ein Buch über Wuppertal. Aber eben eines, wie es das bisher noch nie gegeben hat.

Dieser Peter Ka, Einzelgänger, Asket und Sprach-Purist, ist als Lyriker schon kein Unbekannter mehr, hat sich um die Villa Massimo beworben — und landet nun in Rom. Anfangs "fremdelt" er. Dann aber, Seite für Seite, saugt er Rom auf, das römische Leben — sowie im Schlepptau davon auch das Leben in der Künstler-Kolonie, die oft wirkt wie ein fremder Planet. Und die Begegnung(en) mit einer Malerin, die auf ihre Weise ebenso seltsam ist wie Peter Ka selbst, die legt Hanns-Josef Ortheil so dezent und doch deutlich an, dass man vom ersten Moment an weiß: Daraus wird etwas werden. Aber nichts Süßliches.

"Rom, Villa Massimo" ist ein leiser, diffizil geschriebener Text. Das Buch steckt voller Kunst, Geschichte, Beobachtung und schriftstellerischer Selbstironie. Es zeigt die Ängste und Pfauenhaftigkeit, demaskiert (ohne Häme, sondern mit Augenzwinkern) das Getue und Gerede, ohne die der deutsche (nur der?) Kunstbetrieb scheinbar nicht läuft. Und es beschreibt Gelände und Gebäude der Villa Massimo so exakt und lebhaft, dass man sich dort schnell wie zu Hause fühlt.

So geht es auch Peter Ka, und doch macht er etwas anders als die meisten seiner Mit-Stipendiaten: Er entdeckt Rom. Ohne Stadtführer, auf eigene Faust, mit kaum Italienisch. Sehr schnell macht der Wuppertaler Rom zu seiner Stadt, lernt die Sprache, trifft Menschen, nimmt sich sogar ein eigenes Sommerzimmer. Dass er am Ende nach Wuppertal nur noch zurückkehren wird, um dort alle Zelte abzubrechen, damit er in die Ewige Stadt ziehen kann, war absehbar — und ist folgerichtig.

Wann immer es um Rom und die Römer geht, atmet Hanns-Josef Ortheils eigene große Liebe zu dieser Stadt aus jedem Wort. Nur wer eine Stadt und ihre Menschen wirklich gut kennt, kann so über sie schreiben. Das sich über die Jahreszeiten verändernde Licht, die leisen und lauten Geräusche, Wind und Wetter, so viele Parks und Plätze, die ein Normaltourist nie finden wird, die sagenhaft facettenreiche gastronomische Institution der italienischen (und hierzulande komplett unbekannten) "Bar" — das alles zusammen macht "Rom, Villa Massimo" zu einem außergewöhnlichen Buch über eine außergewöhnliche Stadt.

Und doch ist der Roman auch ein Buch über Wuppertal: Peter Ka hat seine Heimatstadt immer im Kopf. Wie er lyrisch-emotional mit ihr umgeht, wie er für seine Kunst-Präsentationen bei Villa-Massimo-Events gefilmte Schwebebahnfahrten, römische Alltagsgeräusche und gesprochen-geschriebene, ganz aufs Wesentliche reduzierte Dichtung miteinander kombiniert, das zeigt, wie es sich anfühlen kann, wenn jemand Wuppertal nimmt als das, was es ist — ein eigenartiger Steinbruch. Die Formen allerdings, die die Schwebebahnstadt in Peter Ka angelegt hat, herauszuarbeiten — dafür braucht es Rom. Und drum ist alles genauso, wie es sein muss.

Das gilt nicht für die Beziehung von Ka zu der Malerin. Oder vielleicht doch. Diese (körperlich nie vollzogene) Liebe, die stets (bis ganz, ganz zum Schluss) uneingestanden bleibt, hält das Getriebe von "Rom, Villa Massimo" in Schwung, gibt dem hochgebildeten Plauderton des Buches ganz wichtige Würze. Die Wege des Herzens, auf die Ortheil seine Leser da führt, ähneln denen, zu deren geographischer Erkundung er Peter Ka durch Rom schickt.

Und während der Griff, mit dem der Autor den Leser hält, fast durchgängig als ein liebevoll (und immer wieder auch verschmitztes) An-die-Hand-Nehmen bezeichnet werden kann, spürt man dann, wenn die Geschichte zwischen der Malerin und Peter Ka dem Ende entgegen geht, rasante Geschwindigkeit, nächtliche Atemlosigkeit, verlorene Verzweiflung, oder ganz kurz: Leidenschaft.

Hanns-Josef Ortheils Stil ist eine ganz eigene Art: "Rom, Villa Massimo" weckt Sehnsüchte. Lohnt sich zu lesen. Sehr.