Wuppertaler Bühnen Braus bricht den Bann
Wuppertal · "Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren", hat Pina Bausch einst gesagt. Jetzt macht sich Wuppertals neuer Theaterintendant Thomas Braus diesen Gedanken zu Eigen und wandelt ihn für das gebeutelte Schauspiel um.
Denn in Shakespeares "Der Sturm" erzählt Regisseur Marcus Lobbes auch eine Geschichte übers Theatermachen selbst.
Diesmal muss er einfach klappen. Der Neustart, der Aufbruch. Nach all den Einsparungen, all der Kritik, dem Kampf, der Wahl der falschen Intendantin zur falschen Zeit. In der Oper hat es schließlich auch funktioniert. Innerhalb einer Spielzeit hat Berthold Schneider es geschafft, das Interesse von Kritikern und Zuschauern zu wecken. Wieder spannend zu sein. Jetzt soll Thomas Braus es ihm gleichtun. All das liegt in der Luft, als sich am Samstagabend der Vorhang für die neue Theater-Spielzeit, für die Ära Braus im Opernhaus öffnet.
"Alles beginnt mit einem leeren Raum und einem Menschen, der eine Geschichte erzählt", so hatte Braus vor ein paar Wochen den Anfang von Theater definiert. Und voilá, da sind wir also. Auf der leeren Bühne sitzt Prospero (Stefan Walz), anfangs noch in Jeans, und führt das Publikum langsam an seine Geschichte heran. Er berichtet, wie sein Bruder Antonio (Aaron Röll) ihn, den rechtmäßigen Herzog von Mailand, vor Jahren entmachtet hat und er sich mit seiner Tochter Miranda auf diese Insel retten konnte. Jetzt lässt er mit Hilfe von Luftgeist Ariel (Thomas Braus) das Schiff seiner damaligen Widersacher durch ein Unwetter sinken — und die politischen Führer aus Mailand und Neapel werden auf Prosperos Insel gespült, wo sie sich gegenseitig aus dem Weg räumen wollen…
Marcus Lobbes inszeniert dieses späte Stück Shakespeares als fortwährendes Spiel mit den Ebenen von Illusion und Realität, das sich auch als eine Art Parabel des (Wuppertaler) Theaters selbst lesen lässt. Diese Geschichte um Politik und Macht, Schiffbruch und Rettung durch die Magie. Aus der anfangs kargen Bühne, auf der Thomas Braus als Ariel (und eben Intendant) Theaternebel verbreitet, und erst nach und nach die Requisiten herbeiholt, wird am Ende ein wirklich stimmungsvolles Bühnenbild (Pia Maria Mackert). "Paradies" steht dann in Leuchtbuchstaben über der Insel, die hier als eine Art gemütliches Lesezimmer unter Palmen daherkommt.
Die Kostüme dazu sind albern-grotesk. Die königlichen Helden in Strumpfhosen tragen hier auch mal Stöckelschuh und wirken — bis auf Prospero — irgendwie geschlechtslos. Königstochter Miranda ist nicht mehr als eine Strohpuppe, in der manchmal der Körper von Jonas Gruber steckt. Und die Schauspieler, die allesamt in Doppelrollen auf der Bühne stehen, sitzen erkennbar im Orchestergraben, ziehen sich um, stellen sich mürrisch dem Publikum vor und verlieren auch selbst mal den Überblick, mit wem sie es gerade bei ihrem Gegenüber zu tun haben. All das bedient Shakespeares Komödien-Spiel mit Verwechslungen, Verwirrungen und Rollenklischees und wird vom Publikum dankbar angenommen.
Das sorgt einerseits immer wieder für Situationskomik, macht es andererseits schwer, dem Plot zu folgen. Große Gefühle haben hier ebenso wenig einen Platz wie düstere Kräfte oder Naturgewalten. Lobbes scheint dies nicht zu interessieren. Ist doch nur Theater! Sein Fokus liegt auf dem Spiel und den Darstellern. Und die sind großartig. Wie Alexander Peiler als Alonso in bester Inge-Meysel-Manier immer mit seinem künstlichen Gebiss hadert, ist ebenso köstlich wie Aaron Rölls ziemlich tuntige Interpretation des Herzogs Antonio. Im Kontrast dazu verleiht Stefan Walz seinem Prospero Würde und Weisheit. Thomas Braus spielt den Wechsel zwischen dem hehren Ariel und dem missgestalteten Caliban mit kleinen Nuancen und großer Freude. Eine Ensemble-Leistung, die Lust auf die Spielzeit macht.
Am Ende gab es viel Applaus, der nicht nur Prospero von seinem Bann erlösen sollte, sondern der auch die Hoffnung weckt, dass sowohl Zuschauer wie Politiker — viele von ihnen waren bei der Premiere dabei — den Neuanfang mittragen. Dass Wuppertal endlich wieder die Liebe zu seinem Theater entdeckt. Braus‘ anschließende Einladung, zusammen mit dem Team zu feiern und zu diskutieren — eine wichtige Geste.