Wuppertaler Jobcenter Thomas Lenz: „Das wird uns noch lange beschäftigen“
Wuppertal · Mit in vorderster Front bei der Bewältigung der gesellschaftlichen Folgen der Corona-Krise stehen bundesweit zurzeit die Jobcenter. In Wuppertal kümmern sich 700 Mitarbeiter (550 davon aktuell vom Homeoffice aus) um 51.000 Menschen. Aber dabei wird es nicht bleiben.
Jobcenter-Chef Thomas Lenz spricht gegenüber der Rundschau von „dramatisch steigenden Fallzahlen“: Gab es „früher“ 100 bis 150 neue Kunden pro Woche, sind es zurzeit 300 bis 400 zusätzlich, die Grundsicherung beantragen (müssen). Darunter zahlreiche Künstler und Solo-Selbständige, denen der Boden ihrer Einnahmen weggebrochen ist – sowie außerdem viele Menschen, denen ihr Kurzarbeitergeld nicht ausreicht, um eine Familie zu ernähren, so dass sie mit Geld des Jobcenters die entstandene Lücke füllen müssen.
Im Jobcenter gab es bereits im Februar einen kleinen Krisenstab, um sich auf die anbahnende Corona-Welle vorzubereiten – danach ging alles viel schneller, als alle erwartet hatten: Mitte März fand eine sonntägliche Krisensitzung statt, denn schon tags darauf mussten alle Geschäftsstellen geschlossen werden. Thomas Lenz: „Das war ein riesiger Einschnitt, denn schließlich betreuen wir jeden Tag Tausende von Kunden im Face-to-Face-Kontakt. Wir haben alle 51.000 Kunden beziehungsweise alle 26.000 Bedarfsgemeinschaften persönlich angerufen und informiert. Außerdem haben wir unsere Homepage komplett auf auch mehrsprachigen Online-Betrieb umgestellt.“
Damals wie heute stehe eine Sache für das Jobcenter ganz im Vordergrund. „Es muss garantiert sein, dass die Menschen ihr Geld bekommen. Und das funktioniert auch“, so Lenz. Weiterbewilligungen und alle Neuanträge automatisiert zu bearbeiten sei eine große Herausforderung gewesen – aber das habe geklappt. Messlatte dafür: Beim Beschwerde-Management des Jobcenters, das in Sachen Kritik ja nicht immer auf Rosen gebettet ist, herrscht zurzeit annähernd komplette Stille.
Der Arbeitsalltag im Jobcenter hat sich angesichts von Corona komplett verändert: Die Mitarbeiter sind nun auch samstags und abends im Einsatz und erreichbar, rufen verstärkt von sich aus ihre Kunden an, klären Sachverhalte, um Verzögerungen und Ärger schon im Vorfeld zu minimieren. Dass es trotzdem manchmal knirscht, lässt sich, so Lenz zur Rundschau, nicht vermeiden: „Das Sozialgesetzbuch II, das unsere Arbeit regelt, ist unvorstellbar kompliziert geworden, Mitarbeiter machen auch Fehler, und Kunden präsentieren eben nicht immer alle kompletten Unterlagen.“
Bitter an der Corona-Krise ist nach Auffassung des Jobcenter-Leiters unter anderem die Tatsache, dass alle Arbeitsmaßnahmen, in denen viele Hartz IV-Bezieher für soziale Träger tätig sind, auf Anweisung des Bundes eingestellt werden mussten. Thomas Lenz: „Dadurch verlieren diese Menschen ihre kleinen, aber wichtigen Hinzuverdienste, einen entscheidenden Teil ihrer sozialen Kontakte und den Rahmen, der ihren Tag mit dem Gefühl, gebraucht zu werden und etwas Sinnvolles zu tun, strukturiert.“
Wichtig war in diesem Zusammenhang übrigens auch, eben jene sozialen Träger, die diese Maßnahmen durchführen – etwa die GESA, die Caritas und andere – zu sichern. Denn die Träger erhalten ihr Geld für die Durchführung der Maßnahmen nur dann, wenn diese auch stattfinden. Thomas Lenz: „Es ist ganz entscheidend, dass die Sozialträger nicht in Schieflage geraten, denn die brauchen wir, wenn Corona vorbei ist, erst recht.“
In eine weitere Wunde legt Lenz den Finger: „Die Hilfsprogramme, die Land und Bund dankenswerterweise schnell aufgelegt haben, waren natürlich teilweise mit der heißen Nadel gestrickt. 9.000 Euro für Solo-Selbständige beispielsweise: Müssen die Jobcenter dieses Geld anrechnen? Dazu gab es am Anfang fast alle zwei Stunden neue und widersprüchliche Informationen. Erst jetzt steht fest, dass wir das Geld nicht anrechnen müssen.“
Lenz blickt recht positiv auf die Gegenwart und sorgenvoll in die Zukunft: „Bis auf wenige Einzelfälle bekommen wir im Moment alles sehr gut gehandelt. Je länger das aber alles dauert und wenn dann auch viele Betroffene aus der Gastronomie, die sich jetzt noch über Wasser halten können, zu uns kommen müssen, befürchte ich eine neue Dramatik. Fest steht jedenfalls: Das wird uns alles noch lange beschäftigen.“