Interview mit Oberbürgermeister Andreas Mucke „Wie schaffen wir diese Krise?“

Wuppertal · Kein Stadtchef der Welt hätte sich träumen lassen, einmal eine Krise wie jetzt die aktuelle Corona-Phase vor der Brust zu haben. Da geht es auch Wuppertals Oberbürgermeister Andreas Mucke nicht anders. Was es zu tun gibt, wie er sich fühlt und wie er die Zukunft sieht – darüber sprach Rundschau-Redakteur Stefan Seitz mit Andreas Mucke.

Oberbürgermeister Andreas Mucke hat übrigens auch einen eigenen Podcast: Unter dem Titel „Mucke hörbar“, mit dem der Podcast im Netz zu finden ist, spricht er in regelmäßigen Abständen mit der Wuppertaler Journalistin Yvonne Peterwerth über aktuelle Themen rund um Wuppertal – zurzeit natürlich vor allem über Corona und alle damit verbundenen Aspekte.

Foto: Max Höllwarth

Rundschau: Stimmt das oft zu hörende Vorurteil, Sie hätten jetzt weder Termine noch Sitzungen und damit sozusagen eine ruhige Zeit?

Mucke: Ganz im Gegenteil. Draußen findet zwar offiziell fast nichts mehr statt, aber 70 bis 80 Prozent meiner Arbeit läuft ja sonst auch ohnehin im Rathaus. Jeder Tag ist ausgefüllt mit Besprechungen, Krisenstabssitzungen, Organisationsaufgaben, wie etwa der Bestellung von Schutzmaterial. Darüber hinaus mache ich mir auch ein Bild von der Lage durch Besuche unserer Fachbereiche, zum Beispiel im Gesundheitsamt, bei der Feuerwehr und im Ordnungsamt. Außerdem möchte ich wissen und auch sehen, wie es in der Stadt zugeht, was die Menschen bewegt. Die Tage sind total gefüllt, die Krise muss rund um die Uhr gemanagt werden. Das bedeutet für alle eine große Anspannung und kaum eine Möglichkeit, sich zu erholen.

Rundschau: Wie kommen Sie mit dem Druck in dieser Zeit klar?

Mucke: Ich bin es ja schon länger gewohnt, oft 15 bis 16 Stunden am Tag zu arbeiten. Aber so eine Phase ist etwas ganz anderes. Es geht darum, Ruhe auszustrahlen und den Kopf frei zu haben für die richtigen Entscheidungen, die zu treffen sind. Dafür bin ich ja da. Hektik zu verbreiten, nützt gar nichts und niemandem. Für mich selbst versuche ich, noch Zeit fürs Joggen, Radfahren oder Motorradfahren zu finden, um ein bisschen zu entspannen.

Rundschau: Schlafen Sie noch gut?

Mucke: Ja, aber man fühlt sich nicht wirklich erholt. Es rattern zu jeder Zeit viele Fragen im Kopf: Wie schaffen wir die Krise und welche Konsequenzen ergeben sich für Wuppertal? Wie tief muss die Infektionsrate sinken, um die Einschränkungen lockern zu können? Es gibt eben für all das keine Regiebücher. Es ist anstrengend, durchgängig nur auf Sicht fahren zu können.

Rundschau: Was glauben Sie, wie es in der nächsten Zukunft weitergeht?

Mucke: Die Bundesregierung hat ja aktuell einige Einschränkungen gelockert, richtigerweise aber an dem Kontaktverbot festgehalten. Die schrittweise Wiederaufnahme des Unterrichts in den Schulen muss vernünftig und verantwortungsvoll geplant werden. Die Wiedereröffnung eines Teils des Einzelhandels bedarf ebenfalls begleitender Schutzmaßnahmen. Großveranstaltungen sind ja weiterhin bis mindestens Ende August nicht zugelassen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Wir werden noch viele Monate mit vielen Einschränkungen leben müssen. Ich habe einen kleinen Arbeitskreis mit Experten, unter anderem aus unserer Uni, einberufen. Es geht darum, was diese Corona-Krise in den kommenden Jahren mit der Gesellschaft, den Familien, den Arbeitsplätzen, dem Handel und der Wirtschaft insgesamt im Tal machen wird. Und wie Wuppertal damit umgehen sollte.

Rundschau: Die Folgen für Wuppertal werden immens sein ...

Mucke: Das werden sie. Wir verlieren Millionen an Steuereinnahmen. Geld, das nicht wiederkommen wird. Deswegen fordere ich, dass das Land den Kommunen mit echtem Geld, und nicht nur mit Krediten, helfen muss. Jeden Freitag berate ich mich in einem Wirtschaftskrisenstab per Videokonferenz über die Lage. Hier legen wir auch gemeinsam Maßnahmen fest. Die Themen dort sind sehr vielfältig und betreffen das gesamte Spektrum von Wirtschaft und Arbeitsmarkt.

Rundschau: Der Verein „Tacheles“ und die Initiative „Seebrücke“ kritisieren die Beschränkung der Demonstrationsfreiheit. Beide wollen trotz Kontaktverbot gegen die Zustände im griechischen Flüchtlingslager Moria öffentlich protestieren. Wie antworten Sie darauf?

Mucke: Das Versammlungsrecht ist ein hohes Rechtsgut, das durch unser Grundgesetz geschützt ist. Das Anliegen, minderjährige Flüchtlinge aus den Lagern in Griechenland bei uns aufzunehmen, unterstütze ich ausdrücklich. Und wir sind hier auch schon tätig geworden. In der aktuellen Krise müssen wir allerdings zwischen dem Recht auf Versammlungsfreiheit und dem Schutz von Leben und Gesundheit sorgfältig abwägen. Und deshalb dürfen Versammlungen nur in Ausnahmefällen und unter Beachtung von Schutzmaßnahmen genehmigt werden. (Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat das Ordnungsamt am Freitag angewiesen, der „Seebrücke“ eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Zu diesem Zeitpunkt war das Interview schon geführt, Anm. der Red.)

Rundschau: Gibt es denn bei all dem auch Positives zu sagen?

Mucke: Ja, ganz viel sogar! Ich lobe Bund und Land ausdrücklich für ihre Hilfen und deren Geschwindigkeit. Unsere Demokratie funktioniert. Deutschland zeigt sich als großartiger Staat, in dem niemand im Stich gelassen werden soll. Ganz im Gegensatz zu den USA beispielsweise. Mit den Zuständen dort möchte ich nicht tauschen. Und bei uns hört man von den Rechtspopulisten gar nichts mehr, was mich auch nicht wundert, denn Populisten haben keine Antworten auf echte Probleme.

Rundschau: Was lehrt uns diese Krise Ihrer Meinung nach?

Mucke: Dass wir trotz umfassender Digitalisierung und Technisierung eine verletzliche Gesellschaft sind. Dass Solidarität, Respekt, bürgerschaftliches Engagement und Hilfsbereitschaft einen riesigen Stellenwert in unserer Stadt haben. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei all denjenigen bedanken, die in dieser Krise Großartiges leisten und unsere Heldinnen und Helden des Alltags sind. Dass Regeln offen und transparent kommuniziert werden müssen, wenn man von Menschen verlangt, dass sie sie in dieser Phase einhalten. Und dass unsere Stadt funktioniert. Die Kommunen sind für mich der Schlüssel zur Lösung dieser Krise. Die Wuppertalerinnen und Wuppertaler verstehen das auch, und sie machen das Beste daraus. Und mit Blick auf die Stadtverwaltung, die gerne kritisiert wird, sage ich: In der Krise läuft das wie am Schnürchen. Da ist ein tolles Team am Start!