Urteil Gericht erlaubt Kundgebung der „Seebrücke“
Wuppertal / Düsseldorf · Die Initiative „Seebrücke“ darf am Samstag (18. April 2020) von 12 bis 13 Uhr auf dem Wuppertaler Rathausvorplatz eine Kundgebung zum Thema „leave no one behind - Zur Lage der Geflüchteten an der europäischen Grenze und in den griechischen Lagern“ durchführen.
Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht hat am Freitag (17. April) eine entsprechende einstweilige Anordnung gegen das Wuppertaler Ordnungsamt erlassen, das den Antrag unter Hinweis auf das Versammlungsverbot im Rahmen der Corona-Pandemie abgelehnt hatte. Das Ordnungsamt wurde nun verpflichtet, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. „Wir haben uns entschieden, diesen fahrlässigen Umgang mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit juristisch klären zu lassen und haben gewonnen. ZahlreicheVersammlungen von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten wurden in den letzten Wochen teilweise brutal und widerrechtlich von Ordnungskräften und Polizei aufgelöst. Das wollten wir nicht einfach hinnehmen“, so eine Sprecherin der „Seebrücke“.
In seiner Begründung macht das Gericht zur Auflage, „für eventuelle Schaulustige mindestens 50 weitere medizinische Schutzmasken oder (nicht-medizinische) Alltagsmasken oder Community-Masken bereitzuhalten und bei Bedarf auszugeben“. Außerdem müsse „wenigstens ein Transparent oder sonstiges hinreichend sichtbares Plakat“ zu sehen sein, „auf welchem Schaulustige zur Einhaltung des nötigen Sicherheitsabstands aufgefordert werden“. Entsprechende Maßnahmen hatte die „Seebrücke“ im Vorfeld angekündigt.
In dem Urteil heißt es: „Der Antragsteller selbst hat bereits einige Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerung vor Infektionen zu schützen. So soll die Versammlung mit einer Teilnehmerzahl von maximal 15 Personen auf dem Rathausvorplatz südöstlich des Brunnens ,Das Tal der Wupper‘ bis zur ersten Laterne durchgeführt werden. Eine spontane Teilnahme an der Versammlung soll nicht gestattet werden. Der Versammlungsleiter will solche Personen von der Versammlung verweisen. Eine öffentliche Bewerbung der Versammlung soll nicht stattfinden. Die Teilnehmer der Versammlung sollen, sofern sie nicht in einem Haushalt wohnen, ausreichend Abstand zueinander halten und während der Versammlung einen Mundschutz tragen. Die Hin- und Abfahrt soll getrennt voneinander mit Kfz, Fahrrad oder öffentlichem Nahverkehr sichergestellt werden. Es sollen keine Flugblätter an Passanten verteilt werden oder direkter Kontakt mit Passanten stattfinden.“
Und weiter: „Der Johannes-Rau-Platz (Rathausvorplatz) in Wuppertal-Barmen bietet gerichtsbekannt eine ausreichend große Fläche, um die Einhaltung des Sicherheitsabstandes von mindestens 1,5 Metern zwischen den zu erwartenden Personen zu gewährleisten. Da eine öffentliche Bewerbung nicht stattfinden soll, ist die Wahrscheinlichkeit einer größeren Menschenansammlung aufgrund der Versammlung bereits erheblich reduziert. Auch die kurze Dauer von nur einer Stunde in der Mittagszeit bedingt, dass diese wahrscheinlich nicht von größeren Menschenmengen wahrgenommen wird. Soweit die Antragsgegnerin ausführt, der Rathausvorplatz sei zu der Zeit der beabsichtigten Versammlung stark frequentiert, weil es in der näheren Umgebung zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten nach § 5 Abs. 1 CoronaSchVO gebe, kann das Gericht dem nicht folgen. Bis auf die in § 5 CoronaSchVO genannten Einrichtungen ist der Betrieb von jeglichen Einzelhandelsgeschäften und Gaststätten eingestellt. Auf dem Rathausvorplatz gibt es mehrere Gastronomie-Betriebe, die derzeit geschlossen sind. Auch in der näheren Umgebung befindliche Modegeschäfte sind geschlossen. Dies bedingt bereits eine deutlich geringere Frequentierung in den Fußgängerzonen. Zu berücksichtigen ist insoweit aber auch, dass inzwischen eine entsprechende Sensibilisierung eines Großteils der Bevölkerung stattgefunden hat, weshalb viele ihr Zuhause nur für das Nötigste verlassen und Sicherheitsabstände überwiegend bereits ohne Aufforderung eingehalten werden. Auch der gewählte Standort der Versammlung auf dem gegenüber der zur Einkaufsstraße zurückgesetzten Platz birgt nicht die Gefahr einer Behinderung des fließenden Fußgängerverkehrs. Die Einhaltung der Sicherheitsabstände durch eventuelle Schaulustige hat der Antragsteller durch eine Aufforderung auf Plakaten zusätzlich sicherzustellen. Wenn der nötige Sicherheitsabstand dennoch nicht eingehalten wird, kann der Versammlungsleiter durch das Megafon auf die Anwesenden einwirken. Nötigenfalls ist die Versammlung durch den Versammlungsleiter aufzulösen. Soweit die Antragsgegnerin außerdem ausführt, dass nicht-medizinische Schutzmasken einen Infektionsausschluss nicht erreichten, entspricht dies nicht den aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Das Tragen von (nicht-medizinischen) Alltagsmasken oder Community-Masken schützt insbesondere die Umstehenden vor dem Auswurf von festen oder flüssigen Partikeln durch den (möglicherweise asymptomatischen, aber infektiösen) Träger der Masken.
Grundsätzlich legen sich die Richter wie folgt fest: „Soweit die Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid ausführt, dass sich öffentliche Versammlungen dadurch auszeichnen, dass viele Teilnehmer eng zusammengehen und zusammenrücken, um ihre Kernaussage als geschlossene Einheit zu untermauern, ist dies ein Argument, das für jede Versammlung gilt. Ein Totalverbot von Versammlungen wollte der Verordnungsgeber aber gerade nicht erreichen. Ungeachtet dessen, kann bei einer Versammlung, an der nur so wenige Personen teilnehmen, eine geschlossene Einheit aber auch symbolisiert werden, ohne dass die Teilnehmer eng zusammenrücken. Soweit die Antragsgegnerin meint, es liege nicht im Einflussbereich eines Versammlungsleiters, wie viele Teilnehmer tatsächlich zu einer öffentlichen Versammlung kommen und diese die angedachten Maßnahmen zum Schutz vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus auch tatsächlich beachten und umsetzen, gilt dies nicht für eine Versammlung mit maximal 15 Personen. Bei einer so geringen Personenanzahl kann eine entsprechende Kontrolle durch den Versammlungsleiter gewährleistet werden. (…) Bei Einhaltung dieser Vorgaben sind keine infektionsschutzrechtlichen Umstände mehr ersichtlich, welche den Eingriff in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit rechtfertigen. Die von der Antragsgegnerin genannten Gründe gelten in ihrer Pauschalität für alle öffentlichen Versammlungen und werden im konkreten Einzelfall dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nicht gerecht.“