Interview mit Nils Hensdiek Das künftige „Schwebodrom“ bietet „unendlich viele Details“

Wuppertal · Barmen bekommt in diesem Sommer eine neue Attraktion. In einem historischen Kaiserwagen können Besucher mit einer 3D-Brille ins Jahr 1929 reisen. Die virtuelle Zeitreise erstellt das Bielefelder Unternehmen „mediaprojekt“. Teil des Projektteams für das „Schwebodrom“ ist Nils Hensdiek. Er spricht mit Redakteurin Nina Bossy über die virtuelle Erschaffung des historischen Wuppertals.

Das 1906 erbaute Thalia-Theater brannte beim Bombenangriff auf Elberfeld aus. 1967 wurde es abgerissen, heute steht dort die Zentrale der Stadtsparkasse. Jetzt ist es eines von vielen Gebäuden, das am Rechner neu entsteht und künftig das virtuelle Wuppertal aus dem Jahr 1929 im „Schwebodrom“ bereichern wird.

Foto: mediaprojekt

Rundschau: Der Job von Ihnen und Ihrem Team ist es, ein virtuelles Wuppertal entlang der Schwebebahn zu erstellen. Was muss Ihr Stadtbild können, damit Sie als Experte zufrieden sind und wir als Zuschauerinnen und Zuschauer es als möglichst real empfinden?

Hensdiek: „Das Stadtbild muss als realistisch und authentisch empfunden werden. Das beginnt bei den Gebäuden, umfasst aber auch unendlich viele Details. Alles muss stimmig wirken. Die Architektur der Gebäude, die Bauweise, die Straßenlaternen, Geschäftsschilder usw. Vor allem aber gilt es, dem Stadtbild Leben einzuhauchen. Menschen, Fahrzeuge, geschäftiges Treiben, O-Töne – all das kommt zusammen, um ein realistisches Gesamtbild zu erzeugen, das die Besucher und Besucherinnen in eine andere Zeit versetzt.“

Nils Hensdiek von „mediaprokekt“. Das Unternehmen erstellt das virtuelle Stadtbild für das Schwebodrom.

Foto: mediaprojekt

Rundschau: Vom ersten Pixel bis zum fertigen Film, wie lange brauchen Sie und Ihr Team, um das virtuelle Stadtbild fertigzustellen?

Hensdiek: „Erst einmal handelt es sich um keinen Film. Es ist ein Virtual-Reality-Erlebnis, in dem, mit Hilfe einer VR-Brille, die Besucher und Besucherinnen Teil des Ganzen werden. Sie können den Kopf drehen und wenden und erleben alles in 360 Grad. Dazu kommt das auditive Erleben: O-Töne, Gespräche der Mitreisenden, die Geräusche der Schwebebahn. All das zusammengenommen, gehen wir von einem Produktionszeitraum von rund einem Jahr aus.“

Rundschau: Sie erschaffen nicht nur ein virtuelles Wuppertal, sondern Sie und Ihr Team erwecken auch die Vergangenheit wieder zum Leben. Wie war das Wuppertal der 1920er Jahre? In welche Art von Stadt werden die Besucherinnen und Besucher auf ihrer virtuellen Reise eintauchen?

Hensdiek: „Das Wuppertal der 20er Jahre war vor allem industriell geprägt. Industrie beherrschte das gesamte Stadtbild. Fabriken, rauchende Schornsteine und schlechte Luft. Die Stadtvereinigung wird ein großes Thema gewesen sein. Gefühlsmäßig wird den Menschen vielleicht bewusst gewesen sein, dass sich eine Krise anbahnen könnte, aber noch war der Börsencrash nicht geschehen und die Weltwirtschaftskrise lag in der Zukunft.“

Rundschau: Zwischen der Reise und der Gegenwart liegt der Zweite Weltkrieg, der durch die Zerstörung das Stadtbild stark verändert hat. Welche Gebäude haben Sie wiedererrichten dürfen?

Hensdiek: „Oh, da gibt es einige. Das wunderschöne Thalia-Theater im Zentrum von Elberfeld und auch das Stadttheater in Barmen. Oder auch den gesamten Komplex der Schwerindustrie im Westende, der ist heute ja architektonisch komplett verschwunden. Und natürlich den Döppersberg mit dem alten Kaiser-Wilhelm-Denkmal und den anliegenden Hotels und Stadtgebäuden.“

Rundschau: Für die Erstellung des virtuellen Stadtbilds müssen Sie auch historisch sehr sauber arbeiten. Wie haben Sie recherchiert?

Hensdiek: „Wir hatten großes Glück, dass vor der Stadtvereinigung das gesamte Stadtgebiet durch umfangreiche Luftaufnahmen dokumentiert worden ist. Das war uns eine große Hilfe. Außerdem erhielten wir kräftige Unterstützung durch das Katasteramt und die Wuppertaler Stadtwerke und deren Archive sowie vom Wuppertal Marketing, dem ISG Barmen-Werth e.V. und der Zeitreise Schwebebahn GmbH. Ansonsten haben wir uns auf die Suche gemacht – nach alten Fotos, Postkarten, Modemagazinen, Autokatalogen, um jedes Detail möglichst authentisch abbilden zu können.“

Wuppertal-Barmen bekommt ein „Schwebodrom“​
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Barmen bekommt ein „Schwebodrom“

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Foto: Christoph Petersen

Rundschau: Das virtuelle Stadtbild bietet den weiten Blick über das Tal und auch kleine Details, die direkt neben der Schwebebahn entlang passieren. Was für Szenen werden die Besucherinnen und Besucher da erleben?

Hensdiek: „Hier ist die Planung noch nicht ganz finalisiert. Aber wir werden eine lebendige Stadt erleben. Flanierende Spaziergänger, Arbeiter, Straßenverkäufer, das Markttreiben an der Alexanderbrücke. Vielleicht geschieht ein kurioser Unfall. Auf jeden Fall nutzen wir auch die direkte Umgebung der Besucher und Besucherinnen, um Geschichten zu erzählen. Die Atmosphäre in der Fahrgastkabine und Mitfahrende, die ihre Stadt kommentieren und ihre ganz eigenen Gedanken mit uns teilen.“

Rundschau: Wenn Sie durch Ihre eigene Arbeit reisen, was ist Ihr schönster Moment?

Hensdiek: „Es gibt nicht den einen schönsten Moment. Aber es ist immer wieder faszinierend, wenn ganz viele Einzelteile plötzlich eine komplette Szenerie ergeben. In der Produktion brechen wir alles auf kleine Einheiten herunter, die erst am Ende zusammengefügt werden. Und erst dann sieht man das große Ganze.“