Interview zum Abschied Sozialdezernent Kühn: „Ich habe fast nur gute Dinge erlebt“

Wuppertal · Dr. Stefan Kühn, Wuppertals Dezernent für Soziales, Jugend, Schule und Integration, ist seit 24 Jahren im Amt. Jetzt hört er auf. Am 3. Mai hat der bald 62-Jährige seinen letzten Arbeitstag. Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit Kühn, der in Köln geboren wurde, am Niederrhein aufwuchs und seit Ende 1982 in Wuppertal lebt.

Stefan Kühn im Gespräch.

Foto: Simone Bahrmann

Rundschau: Hat das Thema „Soziales“ immer schon zu Ihrem Wesen gehört?

Kühn: „Ich habe mich schon als Jugendlicher sozial engagiert. Nach der Berufsausbildung war ich Zivildienstleistender bei der Lebenshilfe und habe danach Sozialwissenschaften studiert. Das soziale Miteinander der Menschen in unserer Gesellschaft hat mich immer interessiert.“

Rundschau: Haben Sie ganz unbekanntes Land betreten, als Sie im Juli 2000 zum Dezernenten gewählt wurden?

Kühn: „Damals hatte ich schon fünf Jahre Erfahrung als SPD-Stadtverordneter und war später zwei Jahre Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion. Dezernenten hatte ich schon erlebt, konnte mir also schon etwas darunter vorstellen. Trotzdem hatte ich große Manschetten vor dieser Aufgabe. Entwickelt hat sich das Ganze aber dann zum, wie ich es immer gesagt habe, schönsten Beruf von ganz Wuppertal.“

Rundschau: Warum ist das so?

Kühn: „Weil man so unglaublich viele Begegnungen mit Menschen hat. Mit Haupt- und Ehrenamtlern, die sich alle für Wuppertal engagieren. Weil man sieht, wie viel Teamarbeit bewirken kann, wie wichtig Leidenschaft ist. Diese Kontakte waren immer meine Kraftquelle. Die vielen Herausforderungen in einem so großen Aufgabenfeld lassen sich nur meistern, wenn man sich als Teil eines Teams versteht. Zwar nicht als Kumpeltyp, aber erst recht nicht als ,Big Boss’.“

Rundschau: Welche Aufgaben fallen Ihnen ein, die nicht einfach zu lösen waren?

Kühn: „Besonders das Kita-Thema. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nur mit einem ausreichenden Angebot an Kita-Plätzen möglich. Vor einigen Jahren gab es für die Unter-Dreijährigen fast gar nichts. Jetzt sind es immerhin 4.500 Plätze. Und für fast alle Kinder über drei Jahre gibt es mittlerweile einen Platz in der Kita. Wir haben große Fortschritte gemacht, obwohl wir immer noch hinterherhängen. Dass der Bedarf noch weiter ansteigt, zeigt ja auch, dass sich viel mehr Menschen zutrauen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Wir werden da sozusagen ständig von unserem eigenen Erfolg eingeholt.“

Rundschau: Noch etwas, dass Sie eine Erfolgsgeschichte nennen würden?

Kühn: „Die Stadtteilentwicklung. Durch das Förderprogramm ,Sozialer Zusammenhalt‘ konnten am Ostersbaum, in Oberbarmen, Wichlinghausen und Heckinghausen viele Projekte realisiert werden. Dabei habe ich gelernt: Stadtentwicklung besteht aus zwei großen Säulen. Einmal solchen Großprojekten wie dem neuen Döppersberg. Andererseits aber auch aus den „Lichterwegen“ am Ostersbaum, der Sanierung von Spielplätzen und Grünflächen und neuen Orten der Begegnung. Dann erleben die Menschen ihren Stadtteil als Heimat.

Rundschau: Apropos Heimat. Ein „echter“ Wuppertaler sind Sie ja nicht. Aber geworden sind Sie einer, oder?

Kühn: „Ja, unbedingt. Über all die Jahrzehnte ohnehin. Und wer als Dezernent 24 Jahre im Dienst und überall in der Stadt unterwegs ist, Menschen begegnet, Gespräche führt, gemeinsam nach Lösungen für Probleme sucht, der stellt fest, wie nahbar die Menschen sind. Gar keine Motzköppe übrigens! Dass Wuppertal für mich auf diese Art zur Heimat werden konnte, das empfinde ich als Privileg. “

Rundschau: Inklusive WSV ...

Kühn: „Natürlich. Ich gehe immer wieder mit Fan-Schal ins Stadion. Auch da kommt man mit vielen Menschen ins Gespräch. Und immer gilt: Liebe kennt keine Liga. Dass man übrigens einem Idol wie Günter Pröpper einfach so auf der Straße begegnen und sich gegenseitig begrüßen kann, das gibt es ja auch nicht überall.“

Rundschau: Wer von schönen Dingen spricht, muss auch die dunkleren nennen. Mir fällt der „Fall Talea“ von 2008 ein.

Kühn: „Das war ganz, ganz schrecklich. Das Jugendamt nimmt ein Kind in bester Schutzabsicht aus seiner Familie, gibt es zu einer Pflegemutter, und dort wird es getötet. Das war eine brutale und tragische Erfahrung, eine bittere Niederlage. Wenn auch festgestellt wurde, dass das Jugendamt keine Schuld trifft, erzählt dieser Fall doch etwas von der Ohnmacht eines Amtes. Ich erfuhr von Taleas Tod um die damalige Osterzeit. Jedes Jahr, wenn es Ostern wird, erinnere ich mich wieder daran. So etwas vergisst man nicht.

Rundschau: Dass Wuppertals Finanzlage so schwierig ist, hat Sie nie vom positiven Denken abgehalten?

Kühn: „Sozialdezernent in Düsseldorf zu sein, hätte ich langweilig gefunden. Viel schlimmer als der Mangel an Geld ist doch der Mangel an Ideen und Kreativität. Und daran mangelt es gerade in Wuppertal nicht.“

Rundschau: Beim Thema Schulen, das seit 2015 zu Ihrem Dezernat gehörte, hat all diese Kreativität allerdings nicht gefruchtet ...

Kühn: „Ja, das ist keine Erfolgsgeschichte. Ich räume ein, dass wir den Schulentwicklungsplan von 2018 bisher nicht umsetzen konnten. Wuppertal ist seit einigen Jahren eine wachsende Stadt. Daher brauchen wir dringend mehr Schulraum. Da ist leider zu wenig realisiert worden.“

Rundschau: Sie sind seit 24 Jahren Teil der Stadtverwaltung, auf die besonders gern geschimpft wird. Was sagen Sie?

Kühn: „Dass die Verwaltung kritisiert wird, das kenne ich immer schon. Aber dieses Ausmaß an Verwaltungsbeschimpfung gab es früher nicht. Mein reales Erleben ist dies: In der Verwaltung arbeiten viele tausend engagierte Menschen voller Energie und Verantwortung. Unter anderem bei der Feuerwehr, der Altenpflege und der Rufbereitschaft des Jugendamtes. Es gibt keine Sekunde des Jahres, in der sich nicht Beschäftigte der Stadt für Menschen einsetzen. Und denken Sie an Corona, Flüchtlinge, Hochwasser: All diese Krisen wurden auch durch die Verwaltung gut gemanagt.“

Rundschau: Was kommt nun?

Kühn: „Ich habe nicht vor, mich zu langweilen. Soziales, Integration, Kultur, Stadtteilentwicklung, da gibt es so viele Vereine, Initiativen und Projekte. Ich habe in Wuppertal fast nur gute Dinge erlebt. Hier wimmelt es vor Ideen, bei denen ich mich gerne einbringen möchte.“